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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Aber bald begann die Unterhaltung zwischen den drei Damen, welche sich durch die Gegenwart dieser Person unwillkürlich näher zu einander hingezogen fühlten, wieder lebhafter zu werden. Es schien ihnen, als müssten sie ihre Würde als Gattinnen miteinander vereinigen gegenüber dieser Dirne, die sich ohne Wahl an jeden verkaufte. Die legale Liebe sieht nun einmal stets mit Verachtung auf ihre freie Schwester herab.
Auch die drei Herrn, die dem Demokraten Cornudet gegenüber sich in einem gewissen konservativen Instinkt enger aneinander schlossen, sprachen über Geldsachen mit einer Art von Verachtung für die Armen. Graf Hubert erzählte von den Verwüstungen, welche die Preussen bei ihm angerichtet, von den Verlusten, die sie ihm an seinem Viehbestand zugefügt hätten und von der verlorenen Ernte mit dem Selbstbewusstsein eines zehnfachen Millionärs, der nach einem Jahr schon nicht mehr an dergleichen denken wird. Herr Carré-Lamadon, der große Woll-Industrielle, hatte die Vorsicht gehabt, sechsmal hunderttausend Francs nach England zu schicken, ein Tropfen für den Durst, den er sich für alle Fälle sichern wollte. Was Herrn Loiseau anbetraf, so hatte er es fertig gebracht, der französischen Intendantur den ganzen Rest seiner gewöhnlichen Weine, den er noch in seinen Kellereien hatte, zu verkaufen, sodass die Regierung ihm ein hübsches Sümmchen schuldete, das er jetzt in Havre zu erheben hoffte.
Alle drei warfen sich bei diesem Gespräch öfters vertrauliche Blicke zu. Wenn auch verschieden an Lebensstellung fühlten sie sich doch durch den Geldpunkt verbunden, der sozusagen die Freimaurer-Loge aller Besitzenden, aller derer ist, denen das Gold in der Tasche klingt, sobald sie darauf klopfen.
Der Wagen fuhr so langsam, dass man gegen zehn Uhr morgens noch kaum vier Meilen zurückgelegt hatte. Die Herren stiegen dreimal aus, um bergan zu Fuss zu gehen. Man begann unruhig zu werden, denn man wollte in Tôtes frühstücken und es war jetzt sehr zweifelhaft, ob man vor Abend noch dahin gelangen würde. Man sah sich gerade vergeblich nach einem Wirtshaus an der Strasse um. als der Omnibus in einem Schneehaufen stecken blieb. Es brauchte volle zwei Stunden, um ihn wieder flott zu machen.
Der Appetit wuchs und machte sich unangenehm bemerkbar. Und kein Wirtshaus zeigte sich, keine Weinschänke stand offen, da infolge des Anmarsches der Preussen und des Durchzuges der ausgehungerten französischen Truppen alle derartige Geschäfte geschlossen waren.
Die Herren liefen um irgendwelche Nahrungsmittel in die Gehöfte an der Strasse, aber es war nicht einmal Brot dort zu erlangen. Denn die misstrauischen Landleute hatten ihre Vorräte aus Furcht vor den plündernden Soldaten verborgen, die in ihrem Hunger alles, was sie entdecken konnten, gewaltsam an sich nahmen.
Gegen ein Uhr Mittags erklärte Loiseau, dass er entschieden einen ganz abscheulichen Magenschmerz verspüre. Allen übrigen ging es nicht besser, und der heftige Essensdrang hatte schliesslich jede Unterhaltung zum Schweigen gebracht.
Von Zeit zu Zeit fing einer an zu gähnen, und ein anderer folgte ihm darin sofort. Und der Reihe nach öffnete jeder, je nach Charakter, Lebensart und sozialer Stellung entweder geräuschvoll oder leise den Mund, um dann schnell mit der Hand die Öffnung zu bedecken, aus der ein warmer Hauch entströmte.
Fett-Kloss hatte sich mehrmals vorgebeugt, als sehe sie nach irgendetwas unter ihren Röcken. Sie zauderte einen Augenblick, blickte ihre Nachbarin an, und richtete sich dann ruhig wieder auf. Die Gesichter der Reisenden waren bleich und verzerrt Loiseau schwor, dass er tausend Francs für ein Schinkenbrötchen geben würde. Seine Frau machte eine Gebärde, als wollte sie etwas einwenden; aber sie beruhigte sich wieder. Sie litt immer darunter, wenn sie von Geldverschleuderung reden hörte; selbst ein Scherz über diesen Gegenstand war ihr verhasst. »Ich fühle mich tatsächlich unwohl; wie konnte ich nur vergessen mir was zum Frühstücken mitzunehmen?« diesen Vorwurf machte sich jeder einzelne im Wagen.
Cornudet hatte allerdings eine Feldflasche voll Rum bei sich. Er bot dieselbe herum, aber man dankte ihm kühler Zurückhaltung. Nur Loiseau nahm einen Schluck. »Das tut auf alle Fälle gut«; sagte er die Flasche mit Dank zurückgebend »es wärmt und vertreibt den Hunger.« Der Alkohol machte ihn guter Laune und er schlug vor, es zu machen wie die Schiffbrüchigen und den wohlgenährtesten Passagier aufzuessen. Diese deutliche Anspielung auf Fett-Kloss missfiel den wohlerzogenen Leuten, und es antwortete ihm niemand; nur Cornudet lächelte. Die beiden Ordensschwestern hatten mit dem Rosenkranz-Gebet aufgehört. Sie sassen regungslos, die Hände in ihren weiten Ärmeln vergraben und der Blick hartnäckig zur Erde gesenkt. Ohne Zweifel opferten sie dem Himmel ihr Leid auf.
Endlich gegen drei Uhr, als der Wagen durch eine endlose Ebene fuhr, auf der weit und breit kein Haus zu entdecken war, bückte sich Fett-Kloss hastig und zog unter der Bank einen umfangreichen Korb hervor, der mit einer Serviette bedeckt war.
Sie entnahm demselben zunächst einen Porzellanteller, einen zierlichen silbernen Becher, dann eine große Terrine, in welcher zwei ganze in Gelee eingemachte Hühner waren. Ausserdem bemerkte man in der Tiefe des Korbes noch allerlei leckere Sachen verpackt, Pasteten, Früchte und Eingemachtes; kurz es war ein Reisevorrat für reichlich drei Tage, ohne eine Wirtshausküche in Anspruch nehmen zu müssen. Sie holte sich ein Hühnerflügelchen heraus und begann dasselbe zu einem jener Brödchen, die man in der Normandie »Regence’s« nennt, zierlich zu verspeisen.
Aller Blicke waren auf sie gerichtet. Der leckere Duft verbreitete sich mehr und mehr und kitzelte den Geruchssinn der Mitreisenden, deren Mund unwillkürlich wässerig wurde, während die Kinnladen sich schmerzhaft zusammenzogen. Der Abscheu der Damen gegen diese Dirne steigerte sich zur völligen Wut; man hätte sie am liebsten umgebracht oder sie samt ihrem Becher, ihrem Korb und ihren Esswaren zum Wagen hinaus in den Schnee geworfen.
Loiseau verzehrte indessen die Hühner-Terrine mit seinen Blicken. »Madame sind vorsichtiger gewesen, als wir übrigen,« sagte er. »Es gibt eben Damen, die an alles denken.« Sie sah zu ihm auf. »Wenn Sie Lust haben, mein Herr«; sagte sie »es ist fatal, wenn man von früh morgens an nichts zu essen hat.« Er verbeugte sich. »Meiner Treu, wenn ich offen sein soll, so nehme ich dankend an; ich kann mir nicht mehr helfen.