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Da­men ein Ge­flüs­ter und Wor­te wie »Pro­sti­tu­ier­te,« »öf­fent­li­cher Skan­dal« wur­de so ver­nehm­lich ge­wis­pert, dass sie auf­schau­te. Sie warf ih­rer Um­ge­bung einen so trot­zi­gen her­aus­for­dern­den Blick zu, dass so­fort tie­fe Stil­le ein­trat, und je­der vor sich hin­schau­te. Nur Loi­seau be­trach­te­te sie mit leb­haf­ter Mie­ne.

      Aber bald be­gann die Un­ter­hal­tung zwi­schen den drei Da­men, wel­che sich durch die Ge­gen­wart die­ser Per­son un­will­kür­lich nä­her zu ein­an­der hin­ge­zo­gen fühl­ten, wie­der leb­haf­ter zu wer­den. Es schi­en ih­nen, als müss­ten sie ihre Wür­de als Gat­tin­nen mit­ein­an­der ver­ei­ni­gen ge­gen­über die­ser Dir­ne, die sich ohne Wahl an je­den ver­kauf­te. Die le­ga­le Lie­be sieht nun ein­mal stets mit Ver­ach­tung auf ihre freie Schwes­ter her­ab.

      Auch die drei Herrn, die dem De­mo­kra­ten Cor­nu­det ge­gen­über sich in ei­nem ge­wis­sen kon­ser­va­ti­ven In­stinkt en­ger an­ein­an­der schlos­sen, spra­chen über Geld­sa­chen mit ei­ner Art von Ver­ach­tung für die Ar­men. Graf Hu­bert er­zähl­te von den Ver­wüs­tun­gen, wel­che die Preus­sen bei ihm an­ge­rich­tet, von den Ver­lus­ten, die sie ihm an sei­nem Vieh­be­stand zu­ge­fügt hät­ten und von der ver­lo­re­nen Ern­te mit dem Selbst­be­wusst­sein ei­nes zehn­fa­chen Mil­lio­närs, der nach ei­nem Jahr schon nicht mehr an der­glei­chen den­ken wird. Herr Carré-La­ma­don, der große Woll-In­dus­tri­el­le, hat­te die Vor­sicht ge­habt, sechs­mal hun­dert­tau­send Fran­cs nach Eng­land zu schi­cken, ein Trop­fen für den Durst, den er sich für alle Fäl­le si­chern woll­te. Was Herrn Loi­seau an­be­traf, so hat­te er es fer­tig ge­bracht, der fran­zö­si­schen In­ten­dan­tur den gan­zen Rest sei­ner ge­wöhn­li­chen Wei­ne, den er noch in sei­nen Kel­le­rei­en hat­te, zu ver­kau­fen, so­dass die Re­gie­rung ihm ein hüb­sches Sümm­chen schul­de­te, das er jetzt in Ha­vre zu er­he­ben hoff­te.

      Alle drei war­fen sich bei die­sem Ge­spräch öf­ters ver­trau­li­che Bli­cke zu. Wenn auch ver­schie­den an Le­bens­stel­lung fühl­ten sie sich doch durch den Geld­punkt ver­bun­den, der so­zu­sa­gen die Frei­mau­rer-Loge al­ler Be­sit­zen­den, al­ler de­rer ist, de­nen das Gold in der Ta­sche klingt, so­bald sie dar­auf klop­fen.

      Der Wa­gen fuhr so lang­sam, dass man ge­gen zehn Uhr mor­gens noch kaum vier Mei­len zu­rück­ge­legt hat­te. Die Her­ren stie­gen drei­mal aus, um bergan zu Fuss zu ge­hen. Man be­gann un­ru­hig zu wer­den, denn man woll­te in Tôtes früh­stücken und es war jetzt sehr zwei­fel­haft, ob man vor Abend noch da­hin ge­lan­gen wür­de. Man sah sich ge­ra­de ver­geb­lich nach ei­nem Wirts­haus an der Stras­se um. als der Om­ni­bus in ei­nem Schnee­h­au­fen ste­cken blieb. Es brauch­te vol­le zwei Stun­den, um ihn wie­der flott zu ma­chen.

      Der Ap­pe­tit wuchs und mach­te sich un­an­ge­nehm be­merk­bar. Und kein Wirts­haus zeig­te sich, kei­ne Wein­schän­ke stand of­fen, da in­fol­ge des An­mar­sches der Preus­sen und des Durch­zu­ges der aus­ge­hun­ger­ten fran­zö­si­schen Trup­pen alle der­ar­ti­ge Ge­schäf­te ge­schlos­sen wa­ren.

      Die Her­ren lie­fen um ir­gend­wel­che Nah­rungs­mit­tel in die Ge­höf­te an der Stras­se, aber es war nicht ein­mal Brot dort zu er­lan­gen. Denn die miss­traui­schen Land­leu­te hat­ten ihre Vor­rä­te aus Furcht vor den plün­dern­den Sol­da­ten ver­bor­gen, die in ih­rem Hun­ger al­les, was sie ent­de­cken konn­ten, ge­walt­sam an sich nah­men.

      Ge­gen ein Uhr Mit­tags er­klär­te Loi­seau, dass er ent­schie­den einen ganz ab­scheu­li­chen Ma­gen­schmerz ver­spü­re. Al­len üb­ri­gen ging es nicht bes­ser, und der hef­ti­ge Es­sens­drang hat­te schliess­lich jede Un­ter­hal­tung zum Schwei­gen ge­bracht.

      Von Zeit zu Zeit fing ei­ner an zu gäh­nen, und ein an­de­rer folg­te ihm dar­in so­fort. Und der Rei­he nach öff­ne­te je­der, je nach Cha­rak­ter, Le­bens­art und so­zia­ler Stel­lung ent­we­der ge­räusch­voll oder lei­se den Mund, um dann schnell mit der Hand die Öff­nung zu be­de­cken, aus der ein war­mer Hauch ent­ström­te.

      Fett-Kloss hat­te sich mehr­mals vor­ge­beugt, als sehe sie nach ir­gen­det­was un­ter ih­ren Rö­cken. Sie zau­der­te einen Au­gen­blick, blick­te ihre Nach­ba­rin an, und rich­te­te sich dann ru­hig wie­der auf. Die Ge­sich­ter der Rei­sen­den wa­ren bleich und ver­zerrt Loi­seau schwor, dass er tau­send Fran­cs für ein Schin­ken­bröt­chen ge­ben wür­de. Sei­ne Frau mach­te eine Ge­bär­de, als woll­te sie et­was ein­wen­den; aber sie be­ru­hig­te sich wie­der. Sie litt im­mer dar­un­ter, wenn sie von Geld­ver­schleu­de­rung re­den hör­te; selbst ein Scherz über die­sen Ge­gen­stand war ihr ver­hasst. »Ich füh­le mich tat­säch­lich un­wohl; wie konn­te ich nur ver­ges­sen mir was zum Früh­stücken mit­zu­neh­men?« die­sen Vor­wurf mach­te sich je­der ein­zel­ne im Wa­gen.

      Cor­nu­det hat­te al­ler­dings eine Feld­fla­sche voll Rum bei sich. Er bot die­sel­be her­um, aber man dank­te ihm küh­ler Zu­rück­hal­tung. Nur Loi­seau nahm einen Schluck. »Das tut auf alle Fäl­le gut«; sag­te er die Fla­sche mit Dank zu­rück­ge­bend »es wärmt und ver­treibt den Hun­ger.« Der Al­ko­hol mach­te ihn gu­ter Lau­ne und er schlug vor, es zu ma­chen wie die Schiff­brü­chi­gen und den wohl­ge­nähr­tes­ten Pas­sa­gier auf­zues­sen. Die­se deut­li­che An­spie­lung auf Fett-Kloss miss­fiel den wohl­er­zo­ge­nen Leu­ten, und es ant­wor­te­te ihm nie­mand; nur Cor­nu­det lä­chel­te. Die bei­den Or­dens­schwes­tern hat­ten mit dem Ro­sen­kranz-Ge­bet auf­ge­hört. Sie sas­sen re­gungs­los, die Hän­de in ih­ren wei­ten Är­meln ver­gra­ben und der Blick hart­nä­ckig zur Erde ge­senkt. Ohne Zwei­fel op­fer­ten sie dem Him­mel ihr Leid auf.

      End­lich ge­gen drei Uhr, als der Wa­gen durch eine end­lo­se Ebe­ne fuhr, auf der weit und breit kein Haus zu ent­de­cken war, bück­te sich Fett-Kloss has­tig und zog un­ter der Bank einen um­fang­rei­chen Korb her­vor, der mit ei­ner Ser­vi­et­te be­deckt war.

      Sie ent­nahm dem­sel­ben zu­nächst einen Por­zel­lan­tel­ler, einen zier­li­chen sil­ber­nen Be­cher, dann eine große Ter­ri­ne, in wel­cher zwei gan­ze in Ge­lee ein­ge­mach­te Hüh­ner wa­ren. Aus­ser­dem be­merk­te man in der Tie­fe des Kor­bes noch al­ler­lei le­cke­re Sa­chen ver­packt, Pas­te­ten, Früch­te und Ein­ge­mach­tes; kurz es war ein Rei­se­vor­rat für reich­lich drei Tage, ohne eine Wirts­haus­kü­che in An­spruch neh­men zu müs­sen. Sie hol­te sich ein Hüh­ner­flü­gel­chen her­aus und be­gann das­sel­be zu ei­nem je­ner Bröd­chen, die man in der Nor­man­die »Re­gence’s« nennt, zier­lich zu ver­spei­sen.

      Al­ler Bli­cke wa­ren auf sie ge­rich­tet. Der le­cke­re Duft ver­brei­te­te sich mehr und mehr und kit­zel­te den Ge­ruchs­sinn der Mit­rei­sen­den, de­ren Mund un­will­kür­lich wäs­se­rig wur­de, wäh­rend die Kinn­la­den sich schmerz­haft zu­sam­men­zo­gen. Der Ab­scheu der Da­men ge­gen die­se Dir­ne stei­ger­te sich zur völ­li­gen Wut; man hät­te sie am liebs­ten um­ge­bracht oder sie samt ih­rem Be­cher, ih­rem Korb und ih­ren Ess­wa­ren zum Wa­gen hin­aus in den Schnee ge­wor­fen.

      Loi­seau ver­zehr­te in­des­sen die Hüh­ner-Ter­ri­ne mit sei­nen Bli­cken. »Ma­da­me sind vor­sich­ti­ger ge­we­sen, als wir üb­ri­gen,« sag­te er. »Es gibt eben Da­men, die an al­les den­ken.« Sie sah zu ihm auf. »Wenn Sie Lust ha­ben, mein Herr«; sag­te sie »es ist fa­tal, wenn man von früh mor­gens an nichts zu es­sen hat.« Er ver­beug­te sich. »Mei­ner Treu, wenn ich of­fen sein soll, so neh­me ich dan­kend an; ich kann mir nicht mehr hel­fen.

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