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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Bald klopften an jeder Haustüre kleine Abteilungen, die dann im Innern verschwanden. Es war die Einquartierung, die der Besitznahme folgte. Den Besiegten erwuchs jetzt die Pflicht, sich den Siegern gefällig zu zeigen.
Nach einiger Zeit, als der erste Schrecken einmal überwunden war, trat aufs Neue eine gewisse Beruhigung ein. In vielen Familien ass der preussische Offizier mit bei Tische. Häufig zeigte er sich als wohlerzogener Mann, der aus Höfligkeit Frankreichs Lob sang und sein Bedauern aussprach, gegen dasselbe kämpfen zu müssen. Man war ihm dankbar für sein Zartgefühl; und zudem konnte man nicht wissen, ob man nicht demnächst seiner Fürsprache bedurfte. Wenn man sich gut mit ihm stellte, würde man vielleicht weniger Einquartierung erhalten. Und warum überhaupt jemanden beleidigen, von dem man gänzlich abhängig war? Das wäre eher vermessen als kühn gewesen. – Schliesslich sagte man sich auch, – indem die bekannte französische Gastfreundlichkeit zum Grunde dienen musste, – dass es wohl gestattet sei, im Inneren des eigenen Hauses gegen den fremden Krieger höflich zu sein, vorausgesetzt dass man sich öffentlich vor jeder Vertraulichkeit hütete. Draussen freilich kannte man sich nicht, während man zu Hause gerne plauderte, sodass der Deutsche jeden Abend ein Stündchen länger blieb, um sich am Familienleben zu beteiligen.
Die Stadt selbst nahm allmählich ihr gewöhnliches Aussehen wieder an. Die Franzosen gingen zwar selbst noch nicht aus, aber die preussischen Soldaten schwärmten durch die Gassen. Im Übrigen schienen auch die Offiziere der blauen Husaren, welche mit einer gewissen Anmassung ihre Säbel auf dem Trottoir schleppen liessen, nicht mein Verachtung gegen die einfachen Bürger zu hegen, als die Offiziere der Chasseurs die das Jahr vorher in demselben Café gezecht hatten.
Immerhin lag etwas in der Luft, etwas eigentümlich Fremdes; etwas seltsam unerträgliches, wie ein Dunst, der sich verbreitet; der Dunst der Invasion. Er erfüllte die Wohnungen und öffentliche Plätze, gab den Speisen seinen Beigeschmack und machte einem den Eindruck, als sei man auf Reisen fern bei einem gefährlichen Wilden-Stamm.
Die Sieger verlangten Geld, sehr viel Geld. Die Einwohner zahlten stets; sie waren ja wohlhabend. Aber je reicher ein normannischer Kaufmann ist, umso schwerer wird ihm jedes Opfer, das er bringen soll, desto schmerzlicher trennt er sich von jedem Geldstückchen, das er in andere Hände wandern sieht.
Unterdessen fischten zwei oder drei Meilen unterhalb der Stadt bei Croisset, Dieppedale oder Biessart die Fischer und Bootsleute hin und wieder den Leichnam eines Deutschen auf, der durch einen Dolchstich, durch einen Steinhieb den Hinterkopf, durch einen Sturz von der Brücke sein Leben eingebüsst hatte. Der Schlamm des Flusses bedeckte diese Opfer einer furchtbaren aber gerechten Rache, eines stummen Heldenmuts, eines stillen Überfalls, gefährlicher als die offene Schlacht und ohne den verdienten Lohn des Ruhmes.
Der Hass gegen den fremden Eindringling drückt eben manchem Furchtlosen, der bereit ist für eine Idee zu sterben, die Waffe in die Hand.
Da übrigens die Eindringlinge schliesslich, wenngleich sie unbedingten Gehorsam gegen alle ihre Befehle verlangten, in keiner Weise die schrecklichen Gerüchte bestätigten, welche ihrem Siegesmarsche vorausgelaufen waren, so fasste man wieder Mut, und der Geschäftssinn begann sich allmählich wieder im Herzen der einheimischen Kaufleute zu regen. Einige von ihnen hatten wichtige Angelegenheiten in Havre abzuwickeln, welches die französische Armee noch besetzt hielt. Sie hofften diesen Hafen zu erreichen, indem sie sich auf dem Landwege nach Dieppe begaben, um sich dort einzuschiffen.
Durch Vermittlung der deutschen Offiziere, deren Bekanntschaft sie gemacht hatten, erlangten sie vom kommandierenden General die Erlaubnis zur Abreise.
So wurde denn ein großer vierspänniger Omnibus für diese Reise genommen, an der sich zehn Personen beteiligten. Die Abfahrt sollte an einem Dienstag Morgen noch vor Tagesanbruch stattfinden, um jedes Aufsehen zu vermeiden.
Um halb fünf trafen sich die Reisenden im Hofe des Hôtel de Normandie, wo der Wagen bereitstand. Sie waren noch schlaftrunken und zitterten unter ihrer Umhüllung vor Kälte. Anfangs war ein Erkennen in der Dunkelheit schwer möglich; die zusammengerafften dichten Winterkleider liessen alle die Leute wie behäbige Pfarrer in langen Sutanen aussehen. Zwei Herren erkannten sich indessen und ein dritter trat auf sie zu. »Ich bringe meine Frau fort« sagte der eine. »Ich ebenfalls.« »Und ich auch.« »Wir werden nicht nach Rouen zurückkehren; und wenn die Preussen sich Havre nähern sollten, gehen wir nach England,« fügte der erste hinzu. Alle hatten dieselbe Absicht, die ihrer gleichartigen Gemütsbeschaffenheit entsprach.
Der Wagen war noch nicht angespannt. Zuweilen tauchte eine kleine Laterne, die ein Stallknecht trug, aus einer finsteren Türe auf, um gleich darauf in einer anderen wieder zu verschwinden. Man hörte Pferdegetrampel und lautes Fluchen aus dem Innern des Stallgebäudes. Leichtes Schellengeklingel bewies, dass man das Geschirr auflegte. Bald wurde dieses Geklingel zu einem deutlichen fortgesetzten Läuten, welches je nach der Bewegung des Tieres zuweilen ganz aufhörte, um dann plötzlich umso lauter wieder zu beginnen, während der Boden unter dem Hufeisen wiederhallte.
Plötzlich wurde die Türe zugemacht; jedes Geräusch verschwand. Auch die fröstelnden Bürger schwiegen; starr und unbeweglich standen sie umher.
Der Schnee fiel in dichten Flocken unablässig nieder; er hüllte alle Gestalten, alle Gegenstände mit seiner eisigen Masse ein. Bei der tiefen Grabesstille, in der die Stadt noch ruhte, hörte man nur dieses unbestimmte einförmige Geriesel des Schnees. Es war mehr eine Empfindung wie ein Geräusch, dieses Erzittern leichter Atome, die den ganzen Luftraum erfüllten und langsam die Erde bedeckten.
Der Mann mit der Laterne erschien abermals und zog am Zügel ein verdrossen dahinschreitendes Pferd hinter sich her. Er stellte es an die Deichsel und legte die Stränge an, wobei er sich mehrfach versicherte, dass am Geschirr alles in Ordnung sei. Da er in der einen Hand die Laterne halten musste, so brauchte er ziemlich viel Zeit zu dieser Beschäftigung. Als er sich endlich umwandte, um das zweite Pferd zu holen, bemerkte er die regungslos dastehenden schon ganz in Schnee gehüllten Reisenden.
»Warum steigen Sie nicht ein? Sie sind doch im Wagen wenigstens geschützt,« fragte er erstaunt.
In der Tat, daran hatte noch keiner