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die man uns auf den Schutz des Him­mels und die Klug­heit der Men­schen ein­zu­flös­sen sucht.

      Bald klopf­ten an je­der Hau­stü­re klei­ne Ab­tei­lun­gen, die dann im In­nern ver­schwan­den. Es war die Ein­quar­tie­rung, die der Be­sitz­nah­me folg­te. Den Be­sieg­ten er­wuchs jetzt die Pf­licht, sich den Sie­gern ge­fäl­lig zu zei­gen.

      Nach ei­ni­ger Zeit, als der ers­te Schre­cken ein­mal über­wun­den war, trat aufs Neue eine ge­wis­se Be­ru­hi­gung ein. In vie­len Fa­mi­li­en ass der preus­si­sche Of­fi­zier mit bei Ti­sche. Häu­fig zeig­te er sich als wohl­er­zo­ge­ner Mann, der aus Höf­lig­keit Frank­reichs Lob sang und sein Be­dau­ern aus­sprach, ge­gen das­sel­be kämp­fen zu müs­sen. Man war ihm dank­bar für sein Zart­ge­fühl; und zu­dem konn­te man nicht wis­sen, ob man nicht dem­nächst sei­ner Für­spra­che be­durf­te. Wenn man sich gut mit ihm stell­te, wür­de man viel­leicht we­ni­ger Ein­quar­tie­rung er­hal­ten. Und warum über­haupt je­man­den be­lei­di­gen, von dem man gänz­lich ab­hän­gig war? Das wäre eher ver­mes­sen als kühn ge­we­sen. – Sch­liess­lich sag­te man sich auch, – in­dem die be­kann­te fran­zö­si­sche Gast­freund­lich­keit zum Grun­de die­nen muss­te, – dass es wohl ge­stat­tet sei, im In­ne­ren des ei­ge­nen Hau­ses ge­gen den frem­den Krie­ger höf­lich zu sein, vor­aus­ge­setzt dass man sich öf­fent­lich vor je­der Ver­trau­lich­keit hü­te­te. Draus­sen frei­lich kann­te man sich nicht, wäh­rend man zu Hau­se ger­ne plau­der­te, so­dass der Deut­sche je­den Abend ein Stünd­chen län­ger blieb, um sich am Fa­mi­li­en­le­ben zu be­tei­li­gen.

      Die Stadt selbst nahm all­mäh­lich ihr ge­wöhn­li­ches Aus­se­hen wie­der an. Die Fran­zo­sen gin­gen zwar selbst noch nicht aus, aber die preus­si­schen Sol­da­ten schwärm­ten durch die Gas­sen. Im Üb­ri­gen schie­nen auch die Of­fi­zie­re der blau­en Husa­ren, wel­che mit ei­ner ge­wis­sen An­mas­sung ihre Sä­bel auf dem Trot­toir schlep­pen lies­sen, nicht mein Ver­ach­tung ge­gen die ein­fa­chen Bür­ger zu he­gen, als die Of­fi­zie­re der Chas­seurs die das Jahr vor­her in dem­sel­ben Café ge­zecht hat­ten.

      Im­mer­hin lag et­was in der Luft, et­was ei­gen­tüm­lich Frem­des; et­was selt­sam un­er­träg­li­ches, wie ein Dunst, der sich ver­brei­tet; der Dunst der In­va­si­on. Er er­füll­te die Woh­nun­gen und öf­fent­li­che Plät­ze, gab den Spei­sen sei­nen Bei­ge­schmack und mach­te ei­nem den Ein­druck, als sei man auf Rei­sen fern bei ei­nem ge­fähr­li­chen Wil­den-Stamm.

      Die Sie­ger ver­lang­ten Geld, sehr viel Geld. Die Ein­woh­ner zahl­ten stets; sie wa­ren ja wohl­ha­bend. Aber je rei­cher ein nor­man­ni­scher Kauf­mann ist, umso schwe­rer wird ihm je­des Op­fer, das er brin­gen soll, de­sto schmerz­li­cher trennt er sich von je­dem Geld­stück­chen, das er in an­de­re Hän­de wan­dern sieht.

      Un­ter­des­sen fisch­ten zwei oder drei Mei­len un­ter­halb der Stadt bei Crois­set, Diep­pe­da­le oder Biess­art die Fi­scher und Boots­leu­te hin und wie­der den Leich­nam ei­nes Deut­schen auf, der durch einen Dolch­stich, durch einen Stein­hieb den Hin­ter­kopf, durch einen Sturz von der Brücke sein Le­ben ein­ge­büsst hat­te. Der Schlamm des Flus­ses be­deck­te die­se Op­fer ei­ner furcht­ba­ren aber ge­rech­ten Ra­che, ei­nes stum­men Hel­den­muts, ei­nes stil­len Über­falls, ge­fähr­li­cher als die of­fe­ne Schlacht und ohne den ver­dien­ten Lohn des Ruh­mes.

      Der Hass ge­gen den frem­den Ein­dring­ling drückt eben man­chem Furcht­lo­sen, der be­reit ist für eine Idee zu ster­ben, die Waf­fe in die Hand.

      Da üb­ri­gens die Ein­dring­lin­ge schliess­lich, wenn­gleich sie un­be­ding­ten Ge­hor­sam ge­gen alle ihre Be­feh­le ver­lang­ten, in kei­ner Wei­se die schreck­li­chen Gerüch­te be­stä­tig­ten, wel­che ih­rem Sie­ges­mar­sche vor­aus­ge­lau­fen wa­ren, so fass­te man wie­der Mut, und der Ge­schäfts­sinn be­gann sich all­mäh­lich wie­der im Her­zen der ein­hei­mi­schen Kauf­leu­te zu re­gen. Ei­ni­ge von ih­nen hat­ten wich­ti­ge An­ge­le­gen­hei­ten in Ha­vre ab­zu­wi­ckeln, wel­ches die fran­zö­si­sche Ar­mee noch be­setzt hielt. Sie hoff­ten die­sen Ha­fen zu er­rei­chen, in­dem sie sich auf dem Land­we­ge nach Diep­pe be­ga­ben, um sich dort ein­zu­schif­fen.

      Durch Ver­mitt­lung der deut­schen Of­fi­zie­re, de­ren Be­kannt­schaft sie ge­macht hat­ten, er­lang­ten sie vom kom­man­die­ren­den Ge­ne­ral die Er­laub­nis zur Abrei­se.

      So wur­de denn ein großer vier­spän­ni­ger Om­ni­bus für die­se Rei­se ge­nom­men, an der sich zehn Per­so­nen be­tei­lig­ten. Die Ab­fahrt soll­te an ei­nem Diens­tag Mor­gen noch vor Ta­ge­s­an­bruch statt­fin­den, um je­des Auf­se­hen zu ver­mei­den.

      Um halb fünf tra­fen sich die Rei­sen­den im Hofe des Hôtel de Nor­man­die, wo der Wa­gen be­reit­stand. Sie wa­ren noch schlaf­trun­ken und zit­ter­ten un­ter ih­rer Um­hül­lung vor Käl­te. An­fangs war ein Er­ken­nen in der Dun­kel­heit schwer mög­lich; die zu­sam­men­ge­raff­ten dich­ten Win­ter­klei­der lies­sen alle die Leu­te wie be­hä­bi­ge Pfar­rer in lan­gen Su­ta­nen aus­se­hen. Zwei Her­ren er­kann­ten sich in­des­sen und ein drit­ter trat auf sie zu. »Ich brin­ge mei­ne Frau fort« sag­te der eine. »Ich eben­falls.« »Und ich auch.« »Wir wer­den nicht nach Rou­en zu­rück­keh­ren; und wenn die Preus­sen sich Ha­vre nä­hern soll­ten, ge­hen wir nach Eng­land,« füg­te der ers­te hin­zu. Alle hat­ten die­sel­be Ab­sicht, die ih­rer gleich­ar­ti­gen Ge­müts­be­schaf­fen­heit ent­sprach.

      Der Wa­gen war noch nicht an­ge­spannt. Zu­wei­len tauch­te eine klei­ne La­ter­ne, die ein Stall­knecht trug, aus ei­ner fins­te­ren Türe auf, um gleich dar­auf in ei­ner an­de­ren wie­der zu ver­schwin­den. Man hör­te Pfer­de­ge­tram­pel und lau­tes Flu­chen aus dem In­nern des Stall­ge­bäu­des. Leich­tes Schel­len­ge­klin­gel be­wies, dass man das Ge­schirr auf­leg­te. Bald wur­de die­ses Ge­klin­gel zu ei­nem deut­li­chen fort­ge­setz­ten Läu­ten, wel­ches je nach der Be­we­gung des Tie­res zu­wei­len ganz auf­hör­te, um dann plötz­lich umso lau­ter wie­der zu be­gin­nen, wäh­rend der Bo­den un­ter dem Huf­ei­sen wie­der­hall­te.

      Plötz­lich wur­de die Türe zu­ge­macht; je­des Geräusch ver­schwand. Auch die frös­teln­den Bür­ger schwie­gen; starr und un­be­weg­lich stan­den sie um­her.

      Der Schnee fiel in dich­ten Flo­cken un­abläs­sig nie­der; er hüll­te alle Ge­stal­ten, alle Ge­gen­stän­de mit sei­ner ei­si­gen Mas­se ein. Bei der tie­fen Gra­bes­s­til­le, in der die Stadt noch ruh­te, hör­te man nur die­ses un­be­stimm­te ein­för­mi­ge Ge­rie­sel des Schnees. Es war mehr eine Emp­fin­dung wie ein Geräusch, die­ses Er­zit­tern leich­ter Ato­me, die den gan­zen Luf­traum er­füll­ten und lang­sam die Erde be­deck­ten.

      Der Mann mit der La­ter­ne er­schi­en aber­mals und zog am Zü­gel ein ver­dros­sen da­hin­schrei­ten­des Pferd hin­ter sich her. Er stell­te es an die Deich­sel und leg­te die Strän­ge an, wo­bei er sich mehr­fach ver­si­cher­te, dass am Ge­schirr al­les in Ord­nung sei. Da er in der einen Hand die La­ter­ne hal­ten muss­te, so brauch­te er ziem­lich viel Zeit zu die­ser Be­schäf­ti­gung. Als er sich end­lich um­wand­te, um das zwei­te Pferd zu ho­len, be­merk­te er die re­gungs­los da­ste­hen­den schon ganz in Schnee gehüll­ten Rei­sen­den.

      »Wa­rum stei­gen Sie nicht ein? Sie sind doch im Wa­gen we­nigs­tens ge­schützt,« frag­te er er­staunt.

      In der Tat, dar­an hat­te noch kei­ner

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