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      »Die Kinder?«

      »Ja, das erste Mal die Kinder. Wir haben Angst um Max und Luna. Ich werde wahrscheinlich in ein Hotel ziehen, damit ich sie nicht anstecken kann.«

      »Das … das tut mir leid!«

      »Papa, ich habe das erste Mal Angst, dass wir gegen das Virus verlieren.«

       03.07.2024

      »Ist das nicht toll, Kim? Sie haben einen Impfstoff gefunden! Ich kann hier bald raus!«, sagte Thomas.

      »Ich weiß! Ich freue mich für dich, Papa«, sagte Kim.

      »Du, ich habe nachgedacht. Da Mama nicht mehr da ist, gibt es hier nichts mehr für mich. Was hältst du davon, wenn ich nach München ziehe?«

      »Ich … ich weiß nicht.«

      »Du weißt nicht?«

      »Das hat nichts mit dir zu tun. Aber der neue SARS-CoV-3 bedroht die Kinder. Diesmal ist es andersherum! Auch wenn du gegen Covid-19 geimpft bist, kannst du Überträger sein! Die Kinder sind jetzt mit Lana in Quarantäne. Ich wohne im Hotel.«

      »Dann könnten immer noch wir beide uns sehen.«

      »Ja, könnten wir.«

       15.08.2024

      Thomas stand etwas unschlüssig vor der Wohnungstür, den Trolley in der einen Hand, den Schlüssel in der anderen. Er seufzte, steckte ihn ins Schloss, öffnete. Mit kleinen Schritten drang er in die Wohnung ein, die er vor anderthalb Jahren verlassen hatte. So viel war passiert. Tränen standen ihm in den Augen.

      Er drückte die Tür so leise wie es ging ins Schloss. Hoffte, dass keiner der Nachbarn mitbekommen hatte, dass er zurück war. Es wäre ihm zu viel gewesen, jetzt mit einem von ihnen sprechen zu müssen. Wer weiß, wer von denen überhaupt noch hier wohnte. Das Virus zerstörte Leben, riss Familien auseinander, verlegte Wohnorte.

      Er schleppte sich von Zimmer zu Zimmer. Warf jeweils einen skeptischen Blick hinein, beschränkte seine Schritte auf den Flur. Das Schlafzimmer. Ein einseitig bezogenes Doppelbett, ungemacht. Er wandte sich ab. So weit war er noch nicht. Er betrat die Küche. Ein Blick in den Kühlschrank blieb ihm zunächst verwehrt. Als er die Tür einen Spalt geöffnet hatte, schlug ihm ein Gestank entgegen, dass er sie sofort wieder schloss.

       Und jetzt?

      Noch im Mantel setzte er sich an den Küchentisch und vergrub seinen Kopf in den Händen.

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       02.09.2024

      »Ich wohne jetzt wieder zu Hause«, sagte Kim.

      »Zu Hause? … Was ist mit den Kindern?«, fragte Thomas.

      »Sie sind jetzt im Ghetto«, sagte Kim. »Jetzt, da die Alten alle geimpft werden und nach und nach zurückkommen, haben sie das erste Münchener Ghetto mit Kindern gefüllt.«

      »Oh. Aber ich mag es nicht, wenn du es als ›Ghetto‹ bezeichnest. Ich war doch nicht im Ghetto!«

      »Nicht?«

      »Ist Lana bei ihnen?«

      »Nein, das geht nicht. Nur Fachkräfte sind erlaubt. Ich habe mich beworben. Vielleicht klappt es ja.«

      »Das wäre gut … wie geht es ihnen denn?«

      »Den Umständen entsprechend. Sie vermissen ihre Mutter. Und mich. Denke ich. Sie haben mich jetzt schon seit über einem Vierteljahr nicht mehr gesehen.«

      »Das ist alles schrecklich! – Ich könnte jetzt zu euch kommen.«

      »Wenn es klappt, bin ich übermorgen im Ghetto. Dann ist nur noch Lana hier.«

      »Ach so.«

       25.09.2024

      »Kim? Wo bist du?«

      »Im Ghetto.«

      »Du klingst müde.«

      »Ich bin müde. Nach jahrelangem Kampf gegen einen übermächtigen Feind kann man schon mal müde werden.«

      »Was ist los?«

      »Kriegst du denn gar nichts mit? Wir haben einen SARS-CoV-3 Ausbruch im Ghetto. Es ist schlimm! Hier leben über zehntausend Kinder. Die ersten Hundert sind infiziert. Und sie lassen niemanden raus!«

      »Warum?«

      »Weil fast jeder Erwachsene ein stiller Überträger von Covid-21 sein kann! Da können wir sie auch gleich an die Schlachtbank führen!«

      »Dann … dann bleiben sie halt im Ghetto. Ich werdet das schon wieder in den Griff bekommen!«

      »Dann weißt du sicherlich auch, was vor zwei Wochen im Berliner Kinder-Ghetto passiert ist! Bei Kindern ist es ungleich schwerer, die Infektionsketten zu unterbrechen. Die Ärzte kämpfen noch – in Berlin. Aber ich habe die Reports gesehen. … Sie werden wahrscheinlich die Hälfe der Kinder verlieren!«

      »Und … und wie geht es Max und Luna?«

      »Bis jetzt sind sie okay. Aber was heißt das schon? Wer weiß, wie es morgen aussieht!«

      »Wenigstens bist du bei ihnen. Sie sind nicht alleine. Du kannst auf sie aufpassen. Die anderen Kinder im Ghetto haben das nicht.«

      »Ja, sicher. Es geht ihnen richtig gut! … Uns geht es gut…«

      »Kim … weinst du?«

      WIR SIND FÜR SIE DA!

      von Armin Möhle

      Anton Bauza verspürte ein Kribbeln in der rechten Hüfte, als er sich im Bett aufsetzte. Er drehte sich herum, stellte die Füße auf dem Boden auf und erhob sich. Ein stechender Schmerz durchfuhr das rechte Bein. Ächzend ließ er sich auf das Bett zurückfallen.

      Was war das? Eine Fehlfunktion der MedBots?

      Er atmete tief durch und stemmte sich hoch. Der Schmerz peinigte erneut sein Bein und konzentrierte sich auf das Hüftgelenk. Anton Bauza biss die Zähne zusammen, stützte sich an der Wand ab und humpelte aus der Schlafnische in die Wohnküche. Er kniff die Augen zusammen, da sich ein dünner, wallender Grauschleier in sein Sehfeld gelegt hatte, ohne sein gewohntes Sehvermögen dadurch wieder herstellen zu können. Er verspürte ein Kratzen in der Kehle.

      Anton Bauza ließ sich in den Wellness-Sessel fallen und musste zweimal niesen.

      Er räusperte sich. »Ich will mit dem Gesundheitsdienst reden«, wies er die Halb-KI seines Appartements an. »Sofort!«

      Bauza wusste um seine Erkrankungen, und in einem war er sich auch sicher: Er war nicht dement. Er kannte seine Ansprüche. Und als ehemaliger leitender Mitarbeiter eines großen IT-Unternehmens war es gewohnt, sich durchzusetzen. Medizinische Versorgung bis zur Vollendung seines achtzigsten Lebensjahres hatte er durch seinen Rentenanspruch erworben, vier weitere Jahre hinzugekauft. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer seines Geburtsjahrgangs lag bei 87 Jahren. Es könnte also passen. Und wenn nicht … Die Euthanasie war kostenlos.

      Der holografische Monitor baute sich vor ihm auf. Das Symbol des Gesundheitsdienstes erschien, ein Äskulapstab auf blauen Hintergrund, der von den Flaggen der Vereinigten Staaten von Europa linker Hand und den deutschen Republiken rechter Hand flankiert wurde.

      Das Emblem verschwand und machte einer blonden Frau mittleren Alters Platz, die Bauza an seine Ex-Frau erinnerte und vor einer Karte der Vereinigten Staaten von Europa stand.

      »Guten Morgen, Herr Bauza!«, sagte die Frau. »Sie können mich Emma nennen. Was kann die Deutsche Health Division für Sie tun?«

      Anton Bauza räusperte sich. »Ich habe den Eindruck, dass meine MedBots ausgefallen sind.

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