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arbeite! Ich weiß schon, wovon ich rede.«

      »Ach ja … aber bloß im Büro! Bist ja keine Ärztin!« Tobias fühlte sich hörbar im Vorteil.

      »Das ist hier völlig gleichgültig! Ich sehe doch, wie alle am Limit sind. Weil sie vielen Kranken nicht mehr helfen können!«

      »Jaja, vorbildlich alle Regeln einhalten … als wenn du dich sonst immer an alles hältst. Ich sag nur Autofahren! Aber jetzt: Nicht mehr als zwei Personen … Bravo!« Der Junge klatschte in die Hände, dann: »Weißt du, was der Opa sagt?«

      »Na, was meint dein Opa zur Risikolage?«

      »Opa sagt immer ›… denn was verboten ist, das macht uns gerade scharf!‹«

      Auch das jetzt noch, dachte Bernhard oben auf dem Treppenabsatz, auch das noch, jetzt.

      »Der Opa meint damit sicher nicht, dass man sich und andere anstecken sollte. Kann ich mir nicht vorstellen.«

      »Weißt du was? Du magst Forgiddo nicht, du magst den Rap sowieso nicht und die Stihlers auch nicht. So ist das nämlich.«

      »Quatsch. Sollen die doch glücklich werden in ihrem Tanzsaal.«

      Bernhard hörte den Jungen keuchend atmen, schließlich losbrüllen: »Gar keinen magst du! Mich magst du nämlich auch nicht! Hauptsache Spaß verderben!« Eine Zimmertür wurde zugeknallt. Jemand schlug mit der Faust auf die Arbeitsplatte in der Küche, jemand anderes warf etwas durch die Gegend. Es konnten Bücher sein, die an eine Wand geworfen wurde, an der ein Plakat hing, für ein Konzert mit Forgiddo XL. Bernhard hörte seine Tochter über den Flur laufen und an eine Tür klopfen. »Tobias?« Noch ein paar Gegenstände schlugen dumpf irgendwo auf. Bernhard lauschte nach unten. Hätte er mehr Luft gehabt, er hätte lange den Atem angehalten. Dann wurde nichts mehr geworfen.

      »Hör mal, Tobi, in dem Fall geht es vor allem um den Opa. Dass du dir keine Infektion einfängst und den auch noch ansteckst. Der Opa ist Risikopatient. Hochrisiko.«

      Dass es stimmte, wusste Bernhard. Hören mochte er es nicht.

      »Jetzt versteckst du dich hinter dem Opa. Feige auch noch!«

      »Hat doch mit Feigheit nichts zu tun. Sind doch Tatsachen. Opa ist zweiundsiebzig.« Jetzt hörte Bernhard wieder einen bittenden Ton in der Stimme seiner Tochter. Wie die wieder sanft auf Einsicht setzt, auf Verständnis, statt mal klare Kante zu zeigen!

      »Als wenn das was beweist! Opa ist fit wie ein Turnschuh, guck ihn dir doch an! Nicht so wie Papa mit seinem Bauch!« Bernhard hörte die Tochter schweigen. »Mit wem bin ich denn den Weserradweg runtergefahren? Meinst du, mit Papa?« Tobias klang triumphierend. Ja, wusste Bernhard, und einer von uns beiden hatte ein Elektrorad. Und es war vor zwei Jahren gewesen. »Und wer ist letztes Jahr mit mir hoch zum Beilstein gewandert? Na, du doch wohl nicht!« Bernhard erinnerte sich gern daran, wie stolz sie beide gewesen waren, aber genau so lebhaft an seine Erschöpfung danach. Immer noch schwieg die Tochter. »Also bitte …!«, setzte Tobias nach, als sei der Fall nun entschieden und ihm die Erlaubnis erteilt.

      Annette widersprach endlich doch; langsam und eindringlich. »Dein Opa hat ein paar Krankheiten, die eine Vorbelastung darstellen; weißt du sicher nicht – weiß ich ja auch nur, weil ich nachhake. Muss ich ihm aus der Nase ziehen, er redet da nicht von sich aus drüber. Musst du mir glauben.«

      »Nee, da frag ich ihn selbst!«

      Bernhard zuckte zusammen. Was, wenn er wirklich gefragt würde? Kann ich dem Jungen die Freude verderben? Diesen Rapper wird Tobias im Leben nicht mehr aus der Nähe sehen. Mit dem Burschen in einem YouTube-Video aufzutreten, das all seine Freunde sehen, und zehntausend andere auch … Was Größeres kann’s für den doch gar nicht geben! Bernhard spürte, wie er einen heißen Kopf bekam. Dem Jungen die Freude verderben? Keine angenehme Vorstellung; und überhaupt … Aber andrerseits… Tobias wird schon einen Weg finden zu den Stihlers, das ist halt so.

      Annettes Stimme, unten im Flur: »Wenn du meinst, dass das angenehm ist für einen alten Menschen, dir zu sagen: ›Stimmt, ich bin wirklich ziemlich krank, und wenn es die Medikamente nicht gäbe, wäre ich längst … also nimm bitte künftig immer Rücksicht auf mich…!‹ Kannst Opa ja fragen, wenn er nachher kommt, viel Freude dabei.« Einen Moment lang blieb Annette im Schweigen vor Tobias’ Tür stehen, ehe sie in die Küche zurückkehrte. Bernhard hörte sie dort wirtschaften. Jedes ihrer Geräusche kam ihm laut vor, bis zu dem Ruf aus Tobias’ Zimmer, durch die verschlossene Tür. Der war lauter.

      »Du drehst dir alles, wie du’s haben willst! Wenn du mich nicht fährst, geh ich halt so! Aus dem Fenster! Kannst mich ja nicht anschnallen!«

      Rasche Schritte aus der Küche, dann energisch: »Pass auf, mein Lieber: Wenn du das Haus verlässt, stürzt der Himmel ein. Ich sag’s dir.« Pause, Abwarten.

      »Alles Sprüche. Was soll das denn heißen, ›Stürzt der Himmel ein.‹ Joke! Werden wir ja sehen.«

      Stimmt, Sprüche. Annette unten in der Küche fand das auch. Recht hat er. Sind so Sprüche. Ich wüsste doch gar nicht, was ich machen würde. Sie öffnete eine Dose mit geschälten Tomaten.

      Bernhard hörte, wie die Masse in einen Topf platschte und die Blechdose in den Abfallbehälter polterte. Anschließend zischte es: Hackfleisch wurde angebraten. Da haben wir es ja, stellte er grimmig fest, schon knickt sie ein. Sprüche, nichts als Sprüche. Gekämpft, um zu verlieren. Sein Herz klopfte.

      Das Herz seiner Tochter pochte auch, schlug ihr bis zum Hals. Er kann ja jeden Moment da sein. Wenigstens soll das Essen bereit sein, wenn der Vater vom Arzt kommt. Jedenfalls halb fertig. Aber dann hatte Annette eine Idee, wie der Himmel zumindest erschüttert werden könnte. Sie klopfte an die Tür ihres Sohnes, mehrfach. Wartete. Irgendwann ein Knurren, sie atmete auf.

      »Festbinden kann ich dich nicht. Will ich gar nicht, fänd ich ja schrecklich. Aber zurückholen kann ich dich – Pass auf: Sobald du das Haus verlässt, rufe ich die Polizei an. Ich denk, die schaffen das, pünktlich zum Konzertbeginn bei Stihlers zu sein.«

      »Machst du nie. Wär dir doch peinlich wegen Stihlers, wenn die Stress mit der Polizei kriegen. Und Forgiddo kriegt auch Ärger.«

      »Der bezahlt das Bußgeld aus der Portokasse. Und Stihlers sind erwachsene Leute. Die werden ja wohl zu ihrer Einladung stehen können?«

      »Dir macht das wohl gar nichts aus, allen den Abend zu verderben, auch den anderen Jungs, ALLEN? Wie krank bist du denn?«

      Bernhard hörte, dass sein Enkel den Tränen nahe war. Liebe Güte, was die Annette da wieder anstellt!

      Die Stimme der Tochter zitterte, obwohl Annette das unterdrücken wollte. »Die anderen Jungs haben vielleicht keinen Opa zu Hause, der Hochrisikopatient ist – weiß ich ja nicht. Das müssten deren Eltern verantworten. Oder die Jungs selbst, wenn sie fit sind im Kopf. Mir egal, was mit denen ist. Im Grunde hast du es in der Hand, was passiert: Kannst ja gehen oder kannst es lassen. Hast Zeit zum Überlegen. Ist erst halb sechs.«

      Ruhig bleibt sie schon, Donnerwetter, und so entschlossen … Oben auf dem Treppenabsatz stehend, hörte der Vater seine Tochter in die Küche zurückgehen, zurückstampfen. So fest tritt die sonst nicht auf; Mannomann. Leise zog er die Tür des Wohnzimmers hinter sich zu, lehnte sie aber nur an, damit der Schnapper nicht klickte. Und was mach ich jetzt? Er legte sich aufs grüne Sofa, Tu ich halt, als hätt ich fest geschlafen, wenn ich höre, dass einer kommt.

      Fast wäre ihr das Hackfleisch verbrannt! Annette wedelte den Rauch fort und atmete tief durch. Ein wenig stolz war sie auf sich, darüber staunte sie. Freuen … freuen konnte sie sich nicht. Ich könnt grad heulen. Irgendwas, überlegte sie, irgendwas werd ich doch wohl finden, das ihn tröstet, das die Sache ausgleicht. Wenn bloß erst der Abend heute vorbei ist. Irgendwas ganz Tolles. Irgendwas. »Könntest oben schon mal den Tisch decken«, rief sie laut und störte sich nicht daran, dass es stumm blieb. War doch klar gewesen.

      Wenige Meter entfernt

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