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zur festgelegten Zeit lud sich automatisch auf den Kommunikator. Einmal als Barcode zur optischen Identifikation und zusätzlich als elektronisches Signal. Letzteres diente der Kommunikation mit den diversen Schnittstellen draußen. Stellten diese Sensoren einen Konflikt mit den zentral gespeicherten Daten fest, lösten sie sofort Alarm aus.

      Befriedigt stellte Huang fest, dass alles seine Ordnung hatte. Dies zu überprüfen lag in der Verantwortung jedes Einzelnen. So schrieben es die Erlässe zur Gesundheitsschutzverordnung vor.

      Huang zog sich seine Schutzmaske über Mund und Nase und schlenderte gemächlich zur Eingangstür. Er hatte gerade seine Jacken übergezogen, als ihm der Kommunikator grünes Licht gab. Er drückte die Klinke und trat hinaus.

      »Das Erweiterungsmodul, Chérie«, erinnerte ihn Mireille.

      Richtig, das hatte er vergessen. Es empfahl sich, den handflächengroßen Ergänzungsbildschirm einzustecken, wenn man die Wohnung verließ. Wegen der Benachrichtigungen und Hinweise, die man zur eigenen Sicherheit unterwegs bekam.

      Die Ergänzung lag auf dem Tischchen bei der Garderobe. Huang schob sie in die Jackentasche.

      »Auf Wiedersehen, Chérie, genieße deinen Spaziergang und sei vorsichtig«, hörte er noch Mireilles Stimme in seinem Rücken, bevor er die Tür hinter sich schloss.

      Huang benutzte die Treppe. Er mied den Aufzug. Die Kabine konnte eine Brutstätte für Erreger sein, trotz der integrierten Desinfektionsfunktion. Das Haustor unten war mit einem optischen Schloss versehen. Der Barcode am Kommunikator entriegelte es.

      Auf der Straße galt ein Einbahnsystem für Fußgänger. Die vorgeschriebene Gehrichtung war in Abständen von einigen Schritten durch weiße Pfeile am Boden markiert. Huang wollte nach links gehen, also musste er auf die andere Seite wechseln. Fahrzeuge gab es fast keine. Aber es galt, den Mindestabstand zu anderen Personen einzuhalten. Neun Meter waren empfohlen, sechs das gesetzliche Minimum.

      Der Kommunikator gab einen Warnton ab. Huang schaute sich um. Von rechts näherte sich ein Passant seinem Standort. Er machte einen Schritt zurück in die Eingangshalle und schloss das Glasportal bis auf einen schmalen Spalt. Die Person ging vorbei. Es handelte sich um eine Frau.

      Huang wartete noch einige Sekunden und trat dann wieder hinaus. Jetzt war die Luft rein. Im Umkreis von mindestens 20 Meter niemand in Sicht. Rasch überquerte er die Straße.

      Die Ergänzung des Kommunikators gab ein vibrierendes Summen von sich. Huang holte es aus der Tasche. »Erholsamen Spaziergang«, stand auf dem Display. »Achten Sie bitte auf die Regeln des Social Distancing. Die Vernunft ist unsere Waffe.«

      Mit den Jahren entwickelte Huang ein ziemlich sicheres Augenmaß für die sechs bis neun Meter. Das Epidemiegesetz verpflichtete ihn lediglich, der Person vor ihm nicht zu nahe zu kommen. Was hinter seinem Rücken vorging, entzog sich seiner Verantwortung. Er warf trotzdem gelegentlich einen wachsamen Blick über die Schulter. Manche Leute neigten einfach zum Leichtsinn.

      Huang schritt entspannt dahin. Seit eine Virenpandemie der nächsten folgte, hatte sich das Straßenbild grundlegend verändert: im fußgängerfreundlichen Sinn. In der Mitte verlief eine nur einspurige Fahrbahn, die an manchen Stellen um Ausweichbuchten erweitert war. Das reichte, denn Privatfahrzeuge gab es so gut wie keine mehr. Nicht, dass diese verboten waren. Jeder konnte eines oder mehrere besitzen. Aber wozu? In der Stadt machten sie wenig Sinn. Wer nicht vom Homeoffice aus arbeitete, wurde per Firmenshuttle zum Arbeitsplatz befördert, und die Einkäufe kamen per Zustellservice ins Haus. Geselligkeiten mit Familie und Freunden fanden im Allgemeinen in virtuellen Wohnzimmern am Großbildschirm statt. Ansonsten benötigte man einen triftigen Grund und eine Genehmigung der Gesundheitspolizei, um die unmittelbare Nachbarschaft zu verlassen. Für die paar Gelegenheiten taten es Taxis oder Beförderungsdienste.

      Ein autonomer Lieferscooter kam piepsend auf Huang zu. Er bewegte sich etwa in doppeltem Schritttempo. Für diese Gefährte und andere mobile Dienste verlief ein 1,4 Meter breiter, blau eingefärbter Fahrstreifen entlang der Hausfassaden, wo sich die Lastaufzüge befanden. Die Fahrtrichtung verlief entgegengesetzt zur Gehrichtung auf der jeweiligen Straßenseite. Der Bereich für die Fußgänger erstreckte sich zwischen dem Scooter-Weg und der Fahrbahn.

      Die Bewölkung riss ein wenig auf und vereinzelte Sonnenstrahlen brachen durch. Huang erreichte die weite Kreuzung mit der Hauptstraße. Die Häuser wichen zurück und dahinter sah er in der Ferne die Silhouetten der Wolkenkratzer in den Neubauvierteln jenseits des Flusses. Ein Gebäude überragte alle anderen um ein gutes Stück. Die Glasfassade glitzerte in der Sonne. Es handelte sich um den lokalen Firmensitz des führenden Versandhandelshauses. Das vertraute Markenzeichen hob sich an der Turmspitze gegen den Himmel ab. Die anderen Bürotürme gehörten Konzernen aus den Bereichen Pharmaindustrie, Biotechnologie, Medizintechnik, Finanzwesen, Elektronik und Datenverarbeitung. Alles Bereiche, die seit Eintreten des permanenten Gesundheitsnotstandes boomten.

      Diese innovativen Unternehmen boten ihren Mitarbeitern jetzt Office-Homes, statt sie vom Homeoffice aus arbeiten zu lassen. Huang hatte Dokumentationen über den Alltag in diesen Hochhäusern gesehen. Für das Firmenpersonal waren sie Wohn- und Arbeitsplatz in einem, ausgestattet mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten. Jeder bekam seine eigene Dienst-Garçonnière mit integriertem Büro. Dank dieser praktischen Einzimmerwohnungen brauchte das Personal die Firma nicht mehr zu verlassen.

      Wieder meldete sich der Kommunikator. »Helfen Sie, die Schutzmaßnahmen einzuhalten. Halten Sie die Augen offen. Melden Sie Verstöße. Die Einheit macht uns stark.«

      Huang wandte seine Aufmerksamkeit den Schaufenstern zu. Er wollte sich ein neues Paar Schuhe zulegen. Zwar existierten praktisch keine Einzelhandelsgeschäfte mehr, die großen Versandfirmen hatten aber die Läden samt Auslagen übernommen. Eine gemeinsame Initiative mit der Kommunalverwaltung, um das lebendige Stadtbild zu erhalten.

      In den Lokalen gab es zwar kein Personal, in den Schaufenstern waren die Produkte aber real ausgestellt. Huang zog das den digitalen Abbildungen in den Onlineshops vor. Besonders wenn es um Bekleidung ging.

      Ein paar hundert Meter weiter oben auf der Hauptstraße befand sich ein Schuhgeschäft. Es gehörte zu einem der internationalen Modeversandhäuser. Die Auswahl war überwältigend. Trotzdem fand Huang in den Auslagen nichts, das seinem Geschmack entsprach. Kein Wunder, wenn man das Angebot aus eineinhalb Metern Entfernung betrachten musste. Denn es war ein Vergehen, auf dem Scooter-Weg, der die Häuserfront entlangführte, herumzustehen. Huang empfand das als störend.

      Der Kommunikator summte. »Danke für Ihre Bereitschaft, sich den unvermeidlichen Einschränkungen im Kampf gegen die Viren zu fügen. Einsicht ist unser Schutz.«

      Man könnte glauben, das Ding kann Gedanken lesen. Huang beschloss, ins Geschäft hineinzugehen und sich dort umzusehen. Beim Eingang markierten Zebrastreifen den Übergang über den Scooter-Weg. Die Anzeige über dem Portal leuchtete grün, was besagte, dass sich niemand drinnen befand. In einem Laden durfte sich nämlich laut Schutzverordnung immer nur eine einzelne Person aufhalten. Huang hielt seinen Kommunikator an das elektronische Schloss und die Schiebetüren glitten auf.

      »Willkommen in unserem Schuhparadies, Herr Huang«, begrüßte ihn eine weibliche Stimme mit italienischem Einschlag. »Wir freuen uns auf ihren Besuch.«

      Auch im Laden standen die Schuhe in Regalen und Vitrinen hinter Glas. Aber man konnte wenigstens nahe heran. Huang brauchte etwas Warmes für die Spaziergänge im Winter. Gefütterte Halbstiefel im Schaukasten mit den neuesten Modellen fanden sein Gefallen. Nicht eben billig, aber angesichts der jüngsten Gehaltserhöhung konnte er es sich leisten.

      Huang hielt seinen Kommunikator an das Minidisplay mit dem Preis und der Modellnummer. Sofort piepste das Erweiterungsmodul in seiner Tasche. Auf dessen Display erschien ein fertig ausgefülltes Orderformular. Sogar die Schuhgröße stimmte. Huang bestätigte mit der Eingabe seines persönlichen Passwortes. Fertig. Die Anzeige versprach die Lieferung für den nächsten Vormittag.

      »Danke für Ihren Einkauf, bellissimo, ausgezeichnete Wahl«, verkündete die unsichtbare Verkäuferin. »Wir empfehlen für die Pflege ihrer neuen, hochwertigen Winterschuhe das umweltfreundliche, virenabweisende

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