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auslöst. Es geht dabei um die Aufführungs- resp. die Vollzugsmomente des Textes sowie die damit verbundenen Veränderungsprozesse. Sowohl die repräsentative als auch die performative Dimension des Textes wirken zusammen, sie sind nicht klar trennbar. Das Was der Darstellung ist notwendig an konkrete Akte und Vollzüge gebunden, die es hervorbringen und immer neu aktualisieren, das Wie wiederum lässt sich nur durch das hindurch fassen, was die Darstellung selbst hervorbringt, oder unter Umständen auch hintertreibt.“32 Mit diesen Beobachtungen wird die enge Verknüpfung des kulturwissenschaftlichen Diskurses mit demjenigen der Literaturwissenschaften deutlich.

      2.2.3 Neuere und ältere Literaturwissenschaft

      Auch in der Literaturwissenschaft entwickelt sich ein eigener Begriff des Performativen resp. von Performativität und einige der oben beschriebenen Diskurse haben sich auf das literaturwissenschaftliche Verständnis ausgewirkt: „In der Literaturtheorie ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass das, was Literatur tut, mindestens genauso viel Beachtung verdiene wie das, was sie sagt […].“1 Jonathan Culler vergleicht die literarische mit der performativen Äusserung und stellt fest, dass beide sich nicht auf eine bereits gegebene Situation beziehen und beide weder wahr noch falsch sind. Zusammenfassend parallelisiert Culler:

      Kurzum, das Performative lässt einen Sprachgebrauch mit einem Mal zentral erscheinen, der bis dahin immer nur als marginal gegolten hat – einen aktiven, weltentwerfenden Sprachgebrauch, der Ähnlichkeiten zur literarischen Sprache aufweist –, und es bringt uns dazu, Literatur als Handlung oder Ereignis aufzufassen.2

      Auf den Aspekt der Literatur als Ereignis wird später zurückzukommen sein. Es stellt sich zuerst die Frage, inwiefern die literarische Sprache performativ ist bzw. im Sinne von Austins Sprechakttheorie glücken oder nicht glücken kann. Durch das Modell des Performativen wird nach Culler die Aufmerksamkeit auf die Konventionen gelenkt, die es einer Äusserung ermöglichen, ein Versprechen oder eben Literatur (z.B. ein Sonett) zu sein: „Das Glücken einer literarischen Äusserung könnte somit auch von ihrem Verhältnis zu den Konventionen einer literarischen Gattung abhängen. Fügt sie sich den Regeln und gelingt dementsprechend als Sonett oder geht sie daneben?“3 Weitergedacht könnte das bedeuten, dass ein literarisches Werk erst dann geglückt ist, „wenn es durch Veröffentlichung, Lektüre und allgemeine Anerkennung in vollem Umfang zu Literatur geworden ist, genauso wie eine Wette erst dann zur Wette wird, wenn sie als solche anerkannt wird.“4

      Das Glücken eines Sprechaktes hängt laut Austin u.a. davon ab, ob er in einem angemessenen Kontext gesprochen wird und z.B. durch die Institution der Kirche oder des Gesetzes legitimiert ist. In gleicher Weise funktionieren auch Texte, die institutionell eingebunden sind (bspw. Gesetzestexte oder Urkunden). Geht man davon aus, dass ein Text das tut, wovon er handelt bzw. die darin thematisierte neue Wirklichkeit auch aussertextuell herstellt (also performativ ist), so stellt sich die Frage, ob und inwiefern auch literarische Texte, die institutionell nicht gebunden sind, die Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erschaffen.

      Der Begriff des Performativen in der Literaturwissenschaft entwickelt sich vom Sprechakt hin zu Schreib- und Leseakten. Einer der Gründe dafür ist die ursprüngliche Eingrenzung des Begriffs des Performativen auf „realweltliche“ Äusserungen (Austin sieht in der Literatur und im Theater nur „parasitäre Formen“ von Sprache). Roland Barthes und Jacques Derrida sind für diese Entwicklung prägend: „Roland Barthes […] setzt Performativität mit Selbstreferentialität gleich. Im Akt des Schreibens, den er als ein Performativ (im Sinne Austins) auffasst, habe die Äusserung keinen anderen Inhalt (keinen anderen Äusserungsgehalt) […] als eben den Akt, durch den sie sich hervorbringt.“5 Barthes sieht das Schreiben als ursprungslos und als Gewebe, bestehend aus unzähligen Zitaten an.6 Auch bei Derrida besteht ein Text aus Zitaten und der Fokus rückt vom Schreiben auf das Lesen: im Leseakt werden diese Zitate in den Leser eingeschrieben.7 Um nochmals mit Culler zu sprechen:

      Aber das, argumentiert Derrida, was Austin im Verweis auf so genannte „Normalbedingungen“ ausgrenzt, sind genau die vielfältigen Möglichkeiten, sprachliche Elemente zu wiederholen – und zwar „unernst“, aber auch ernsthaft wie etwa in einem Beispiel oder einem Zitat […] Die Wiederholbarkeit ist ein Grundmerkmal von Sprache, und gerade Performative funktionieren nur dann, wenn sie als Versionen oder Zitate regelgeleiteter Formeln erkannt werden wie etwa: „Ja, ich will“ oder: „Ich verspreche es“.8

      Derrida spricht von einer Grundeigenschaft der Sprache, die er als „generelle Iterabilität“ bezeichnet. Erst durch die Möglichkeit der Wiederholung bekannter Handlungsgewohnheiten (in ernsten wie auch unernsten Kontexten) kann Sprache Handlungen vollziehen und ist nicht nur Übermittler von Informationen.9

      Silvia Sasse unterscheidet zwischen zwei möglichen Herangehensweisen in der Literaturwissenschaft: Einerseits spricht man von Performativität oder der Performanz literarischer Texte:

      […] und bezieht sich auf das Konzept literarischer Performativität bzw. Performanz: auf die Literarizität oder Rhetorizität von Sprache. Oder man bezieht sich auf Texte in Performanz, wobei es sich dann um das mediale, situative Bewegen von Texten in Aufführungssituationen, beim Lesen, in Installationen, Aktionen, Filmen handelt – also in künstlerischen Prozessen oder in Prozessen, in denen diese literarischen Texte auftauchen, etwa in den Medien, in der Literaturwissenschaft oder auch vor Gericht.10

      Zum ersten Punkt (literarische Performativität bzw. Performanz) führt Sasse die von der Sprechakttheorie inspirierte Forschung „zur Wirkungsästhetik und Rezeptionsästhetik literarischer Texte“ an. Auf der anderen Seite kann man von Performance und Performanz in Verbindung mit literarischen Texten sprechen, wenn Texte in bestimmte Kontexte, die den Text kommentieren, gestellt werden. Es geht dann nicht mehr um ihre Textualität, sondern um den Prozess des Aufführens, Ausstellens und Lesens:

      Dann erscheint die Ereignishaftigkeit von Texten in konkreten Lesesituationen, Installationen oder Aufführungen mit der Ereignishaftigkeit des Textes, seine Performanz mit einer anderen Performanz oder Performance konfrontiert. Dabei trifft das raumzeitliche Verhältnis des Textes auf den Raum und die Zeit des Vortrags (konkret erzählte Zeit auf Erzählzeit), die Stimmen des Textes auf die Stimme, die den Text spricht.11

      Obwohl Erika Fischer-Lichte in ihrer Einführung in die Performativität klar einen Schwerpunkt auf den Aufführungsbegriff setzt, widmet sie einen Teil ihrer Ausführungen dem Performativen in der Literatur. Sie grenzt dabei literarische Texte von institutionell gestützten Texten wie z.B. Gesetzestexten oder heiligen Texten ab, ebenso von sog. „verkörperten Texten“ wie slam poetry etc., denen eine Aufführungssituation zugrunde liegt.12 Fischer-Lichte sieht in der Literaturwissenschaft die Hauptfrage in Bezug auf das Performative darin, „inwiefern literarische Texte etwas zu erzeugen vermögen, was sie selbst noch nicht sind.“13 Sie fasst zusammen – und daran lässt sich auch für eine Lektüre der Prosa-Edda anschliessen – was sie unter darunter versteht, literarische Texte unter der Perspektive des Performativen zu betrachten:

      [das] heisst also, ihre Verfahren offenzulegen, mit denen sie eine neue, ihre eigene, Wirklichkeit konstituieren, und den Möglichkeiten nachzuspüren, wie sie durch diese Wirklichkeit auf ihre Leser einzuwirken vermögen, und vermittelt über die Leser ein kulturelles Wirkpotenzial zu entfalten. Wie sich gezeigt hat, sind literarische Texte – auch in dieser Hinsicht Sprechakten, symbolischen körperlichen Handlungen und Praktiken und Aufführungen vergleichbar – von Unvorhersehbarkeit der Lektüre, Ambivalenzen und transformativer Kraft gekennzeichnet, die den Leser für die Zeit der Lektüre und vielleicht sogar über sie hinaus nachhaltig zu verwandeln vermag.14

      In ihrer Einführung fasst Fischer-Lichte zwei Prämissen für die Untersuchung zur Performativität von Texten zusammen: Einerseits wird Lesen als ein Akt der Inkorporation vollzogen und kann damit als Verkörperungsprozess begriffen werden. Weil der Leser in die Welt des Textes eintaucht, kommt er in einen liminalen Zustand, der verschiedene Transformationen ermöglicht.15

      Zusammenfassend kann man den Diskussionsverlauf in den Literaturwissenschaften als eine Verschiebung der Perspektive weg von der Textbedeutung hin zur Textwirkung beschreiben. Es geht nicht mehr um die Repräsentations- oder Bedeutungsfunktion von Texten,

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