Скачать книгу

fuhr herum. »Geht es Gunilla besser?«

      »Den Umständen entsprechend«, antwortete Dr. Daniel. »Sie hat zwar viel Blut verloren, aber ihr Zustand ist nicht lebensbedrohlich.« Er schwieg einen Moment. »Beantworten Sie meine Frage jetzt auch?«

      »Selbstverständlich«, entgegnete Franz. »Baumgartner ist mein Name. Gunilla und ich… nun… wir waren einst verlobt. Doch dann tauchte dieser Helmut auf, und sein betörender Charme war natürlich weit interessanter als mein solider Lebenswandel.«

      Dr. Daniel deutete den bitteren Unterton in Franz Baumgartners Stimme richtig: Er liebte Gunilla noch immer.

      »Normalerweise dürfte ich mit Ihnen nicht darüber sprechen, aber um Frau Heidenraths Leben zu retten, ist mir mittlerweile beinahe jedes Mittel recht«, meinte Dr. Daniel. »Herr Baumgartner, wie groß schätzen Sie Ihren Einfluß auf Frau Heidenrath ein?«

      Verständnislos sah Franz ihn an. »Ich weiß es nicht. Wir haben uns vor knapp drei Monaten zum ersten Mal seit Jahren wiedergesehen. Warum fragen Sie mich so etwas?«

      Dr. Daniel atmete tief durch. Er war im Begriff seine Schweigepflicht zu verletzen, doch Gunillas Leben stand auf dem Spiel, und das rechtfertigte in seinen Augen diesen Verstoß durchaus.

      »Frau Heidenrath hatte gerade eine Fehlgeburt, und es ist mir nur mit Mühe gelungen, ihr Leben zu retten«, erklärte Dr. Daniel. »Eine weitere Schwangerschaft würde ihren sicheren Tod bedeuten…«

      »Ich verstehe nicht ganz, weshalb Sie da mit mir sprechen«, fiel Franz ihm ins Wort. »Nicht ich bin mit Gunilla verheiratet, sondern Helmut Heidenrath.«

      »Das weiß ich sehr wohl, doch leider ist mit Herrn Heidenrath in diesem Punkt nicht zu reden. Er weiß, welcher Gefahr er seine Frau aussetzt, tortzdem ist er nicht bereit, auf weitere Kinder zu verzichten, weil er um jeden Preis einen Sohn haben will. Bitte, Herr Baumgartner, tun Sie mir den Gefallen, und versuchen Sie Frau Heidenrath davon zu überzeugen, daß sie sich sterilisieren lassen muß.«

      Franz schwieg betroffen. Natürlich war ihm klar, daß Dr. Daniel ihm das alles nicht hätte sagen dürfen, doch er sah auch die außergewöhnlich schwierige Situation, in der der Arzt steckte. Und für das Leben seiner Patientin war ihm jetzt offenbar fast jedes Mittel recht.

      »Ich werde es versuchen, Herr Doktor«, erklärte Franz. »Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.«

      *

      Schon am ersten Tag war die neueröffnete Praxis des Kinderarztes Dr. Markus Leitner brechend voll, trotzdem nahm er sich eine Stunde Zeit, um seinen ehemaligen Schulfreund Wolfgang Metzler zu besuchen.

      »Du wirst übrigens schon ganz dringend erwartet«, erklärte Dr. Metzler, nachdem sie sich eine Weile über private Dinge unterhalten hatten.

      »So?« Lächelnd zog Markus die Augenbrauen hoch. »Willst du mich hier in der Klinik etwa auch noch einspannen?«

      »Ausgezeichnet kombiniert«, meinte Dr. Metzler. »Wir brauchen dringend einen guten Kinderarzt, der sich unsere Neugeborenen anschaut und etwas umgänglicher ist als der werte Kollege aus der Kreisstadt. Aber das nur ganz nebenbei. Auf der Station liegt ein Achtjähriger mit Lungenentzündung. Penicillin-Behandlung wurde bereits eingeleitet, aber ich wäre dir trotzdem dankbar, wenn du dir den Jungen einmal anschauen würdest.« Er schilderte Rudis schwierige familiäre Situation und fügte dann hinzu: »Sei also bitte ein bißchen nett zu ihm.«

      »Ich bin zu meinen kleinen Patienten immer nett«, verwahrte sich Dr. Leitner. »Gerade bei Kindern kann ein barscher, unsensibler Arzt sehr viel zerstören.«

      Zusammen mit Dr. Metzler ging er auf die Station, betrat das Krankenzimmer aber allein.

      »Hallo, Rudi«, begrüßte er den Jungen lächelnd. »Ich bin der neue Doc. Markus ist mein Name.«

      Mißtrauisch sah Rudi ihn an. »Tun Sie mir auch so weh wie der andere Doktor?«

      Spontan setzte sich Dr. Leitner zu ihm aufs Bett. »Ich will ganz ehrlich sein, Rudi. Ein bißchen pieksen muß ich dich wohl, und Penicillin-Spritzen sind nun mal leider unangenehm. Aber ich verspreche dir, daß ich dabei so vorsichtig wie möglich sein werde.«

      Rudi nickte, doch seine Gedanken waren schon wieder ganz woanders. »Wann darf Gerrit mich besuchen?«

      »Ist das dein Freund?«

      »Ja, das ist er. Gerrit und Steffi wollen mich adoptieren, aber mein Onkel will mich nicht hergeben, dabei hat er mich gar nicht lieb. Und er hat auch verboten, daß Gerrit zu mir kommt.«

      Impulsiv streichelte Dr. Leitner über Rudis blondes Haar. »Aber du hast große Sehnsucht nach Gerrit, nicht wahr?«

      Rudi nickte, und dabei füllten sich seine großen blauen Augen mit Tränen.

      »Weißt du was, mein Junge? Das nehme ich jetzt einfach auf meine Kappe. Ich werde Gerrit suchen und hierherbringen. Und erst wenn er da ist und deine Hand halten kann, werden wir das mit der Spritze in Angriff nehmen. Dann ist das Penicillin sicher nur noch halb so schlimm für dich.«

      Da schlich sich ein Lächeln auf Rudis schmales Gesichtchen. »Du bist nett, Markus.«

      »Danke für das Kompliment«, meinte Dr. Leitner und stupste Rudi an der Nase, dann stand er auf und verließ das Zimmer. Während er sich auf dem Flur noch umsah, fiel ihm ein Ehepaar auf, das in eine heftige Diskussion vertieft war.

      »Das Geld ist mir mittlerweile schon egal!« zischte die Frau aufgebracht. »Du verdienst genügend, damit wir sorgenfrei leben können! Warum sollen wir uns also weiter mit dem Bengel belasten!«

      »Ich habe aber keine Lust, auf das Erbe zu verzichten«, entgegnete der Mann nicht weniger aufgebracht. »Was glaubst du eigentlich, was wir für einen Reibach machen, wenn Rudi erst mal achtzehn

      ist.«

      »Wenn er achtzehn ist«, spottete die Frau, dann tippte sie sich an die Stirn. »Dann gehört ihm das Vermögen seines Vaters, und wir… wir haben die schönsten Jahre unseres Lebens verpaßt.«

      »Wenn ich es geschickt genug anstelle, wird Rudi nie auch nur einen Pfennig von dem Vermögen sehen. Er…«

      Dr. Leitner hörte nicht mehr zu. Rasch setzte er seinen Weg fort und betrat das Arztzimmer.

      »Entschuldigen Sie«, sprach er den Mann im weißen Kittel an. »Sind Sie Gerrit?«

      Erstaunt sah Dr. Scheibler ihn an. »Ja, warum?«

      Lächelnd streckte Markus die Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Kollege. Ich bin Dr. Leitner, der neue Kinderarzt von Steinhausen, und ich komme gerade von Rudi. Er will Sie sehen.«

      Dr. Scheibler seufzte. »Das wird nicht möglich sein. Ich darf das Zimmer nicht betreten, und daran halte ich mich nur, weil ich Rudi nicht schaden will.«

      »Ich übernehme die Verantwortung«, entgegnete Dr. Leitner. »Außerdem glaube ich, daß ich Ihnen und Rudi helfen kann. Kommen Sie mal mit.« Er wies den Flur entlang. »Sind das da vielleicht Rudis Verwandte, von denen Wolfang mir erzählt hat?«

      Dr. Scheibler blickte in die angegebene Richtung, dann nickte er. »Ja, das sind Kurt und Christa Gerlach. Sie sind wohl auf dem Weg zu Rudi. Angeblich lieben sie ihn ja über alles, aber wenn man sieht, wie sie sich ihm gegenüber benehmen…«

      »Wenn diese beiden etwas lieben, dann nur das Vermögen, das hinter Rudi steht. Wußten Sie davon etwas?«

      Dr. Scheiblers fragendes Gesicht war Antwort genug.

      »Ich habe zufällig ein paar Gesprächsfetzen gehört«, meinte Dr. Leitner, dann lächelte er. »Nun ja, ganz zufällig wohl auch nicht. Die beiden glaubten sich allein, und sie sprachen auch so leise, daß ich Mühe hatte, etwas zu verstehen. Aber einiges habe ich eben doch verstanden, und ich bin bereit, dar-über auszusagen.« Er schwieg kurz. »Damit dürfte der Adoption wohl nichts mehr im Wege stehen, denn mit mir als objektivem Zeugen wird es Ihnen sicher nicht allzu schwerfallen, das Vormundschaftsgericht davon

Скачать книгу