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in diesem Gebäude sein würden. Wie hatte ich mir einbilden können, auch nur eine winzige Kenntnis von all der Literatur dieser Welt zu haben.

      Onkel Alfred tätschelte mir die Hand, lächelte mir väterlich zu und ließ dann meinen Arm los, um die schwere Tür zu öffnen.

      Ich hielt den Atem an, bemühte mich um Haltung; den Kopf hoch erhoben, straffte ich die Schultern und betrat das Gebäude.

      Stille umfing mich, als mein Onkel die Tür hinter uns schloss und alle Geräusche von außen aussperrte. Der Wind, der in den Bäumen geraschelt hatte, das Krächzen der Krähenvögel, das Klappern der weit entfernten Kutschen. Hier drin war es so leise, dass man einen Stecknadelkopf hätte fallen hören können.

      Die wuchtigen Schritte meines Onkels hallten wie Hammerschläge durch das Foyer und ich folgte ihm schnell.

      Ich hob den Blick, mein Herz setzte aus, meine Augen konnten kaum glauben, was sie sahen. Das Foyer war groß, wurde von einem U-förmigen Tresen aus schwarzbraunem Holz dominiert, der in der Mitte des Vorraums stand und an dem zwei junge Männer leise arbeiteten.

      Dahinter öffnete sich eine runde Halle, groß wie ein Theater, mit einer gläsernen Kuppel als Dach. Und obwohl die unendlichen Verzierungen aus Schnitzereien und goldenen Applikationen sicher sehenswert gewesen wären, wurde meine Aufmerksamkeit nur von den Büchern gefangen genommen.

      Die Regale gingen einmal an der gesamten Wand entlang, geschwungen, sodass sich Nischen ergaben, die die einzelnen Themenbereiche voneinander trennten. Sie waren so hoch, dass man lange Leitern verwenden musste, um an die oberen vier oder fünf Regalbretter zu gelangen. Zwei Treppen führten hinauf auf einen breiten Rundgang, an dem sich das Ganze nur weiter fortsetzte.

      Bücher über Bücher, Seiten, Wörter, der Geruch von Papier und Staub in der Luft, und ich wusste, dass ich mein Herz an diesen Ort verlieren würde.

      Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich nach vorne getreten war, bis ich beinahe mit einem Studenten zusammenstieß, der etwas ungeschickt einen Stapel Bücher an seinen Platz manövrierte.

      »Entschuldigung«, murmelte ich und klang dabei schon viel zu laut für diesen Ort der Ruhe und des Wissens.

      Der Mann nickte mir nur zu und setzte sich an einen der unzähligen Tische, die in der runden Halle aufgestellt waren. Auch andere saßen hier, gebeugt über dicke Gesetzbücher, Lexika, fremdländische Literatur, Baupläne und lasen, schrieben und lernten.

      Wäre ich ein Mann, so würde ich längst hier sitzen und studieren, alles Wissen in mich aufsaugen. So wie mein Bruder Henry. Aber ich war kein Mann und auch wenn es am anderen Ende von London seit Neuestem auch eine kleine Universität für Frauen gab, war das Studieren für Frauen immer noch eine nicht besonders angesehene Tätigkeit. Wie ich gelesen hatte, waren bisher auch die Studienfächer sehr begrenzt und für mich bisweilen noch nichts dabei, das mich wirklich angesprochen hätte.

      Henry hatte behauptet, die Universität für Frauen wäre ein Witz im Gegensatz zu dieser hier und es würden noch viele Jahre vergehen müssen, ehe sich daran etwas ändern würde.

      Ich reckte den Hals, sah von einem zum anderen Studenten und versuchte unter ihnen meinen Bruder zu erkennen. Doch er war nicht hier.

      Onkel Alfred räusperte sich neben mir und ich schreckte zusammen. Ihn hatte ich ganz vergessen, und auch den Grund unseres Besuches. Eigentlich war alles in den Hintergrund getreten, als ich die Bücher gesehen hatte. Selbst meine Angst vor dem, was vor mir lag, war den Schmetterlingen in meinem Bauch gewichen.

      »Ah, da ist er ja«, flüsterte mein Onkel mir zu und ich sah in die Richtung, in die er flüchtig zeigte.

      Auch ohne diese Geste, wäre ich sehr schnell darauf gekommen, dass der Mann, der gerade die Treppe nach unten kam, niemand geringerer als der Bibliothekar sein konnte.

      Er unterschied sich deutlich von den gebeugten Studenten mit den rauchenden Köpfen. Auffallend groß, war seine Haltung gerade, die Gestalt leicht hager. Er hatte sehr dunkles Haar, keinen Bart und konnte nicht älter als dreißig sein, was erklärte, warum mein Onkel ihn zu einem Jungspund erklärt hatte. Er war für eine so leitende Position wirklich noch sehr jung. Seine Schritte machten fast keine Geräusche und obwohl er mit der Nase in einem Buch steckte, waren seine Füße so trittsicher auf den breiten Stufen, als hätte er sie schon Hunderte Male begangen. Sein Anzug war dunkelbraun, schlicht, passend. Im Gesicht trug er eine Brille, die ihm bis auf die Nasenspitze gerutscht war.

      Es ließ sich schwer sagen, wie ich seinen ersten Eindruck auf mich beurteilen sollte. Ich hatte etwas so anderes erwartet und trotzdem schien er voll und ganz hierher zu passen.

      »Mr Reed«, sprach Onkel Alfred ihn an und er hob zögernd den Blick von den Zeilen seines Buches.

      Als er meinen Onkel entdeckte, sah ich ihn verhalten seufzen und er stoppte das Rollen mit den Augen gerade noch rechtzeitig, dass es nicht zu offensichtlich war. Aber ich hatte es dennoch gesehen.

      »Mr Crumb. So schnell hatte ich Sie nicht wiedererwartet«, sagte er und seine Stimme klang höflich und überrascht. Das passte so gar nicht zu den feinen Ausdrücken in seinem Gesicht, die allesamt eine angespannte Genervtheit signalisierten. Genau wie auch bei meinem Onkel, wenn er die letzten Tage von Mr Reed gesprochen hatte. Die beiden mussten sich in der Vergangenheit ja ziemlich auf die Nerven gegangen sein.

      »Nein? Wie seltsam. Wo wir doch beide die gleiche Problemlösung verfolgen«, meinte mein Onkel heiter und ich hörte die leichte Prise Ironie so deutlich, dass ich mir ein Grinsen verkneifen musste. »Darf ich vorstellen«, fuhr er fort und legte mir eine Hand auf den Rücken, damit ich einen Schritt nach vorne trat.

      »Das ist Animant Crumb, die Tochter meines Bruders. Sie ist eine hervorragende junge Dame mit Scharfsinn und Witz. Sie ist anständig, höflich und ich kenne kaum jemanden, der so viele Bücher gelesen hat wie sie. Ich denke, dass nicht mal Sie da mithalten können«, lobte mein Onkel mich in den Himmel und ich war für einen Moment etwas irritiert über die Wahl seiner Worte. Warum genau erzählte er ihm das alles?

      Mr Reed nahm seine Brille von der Nase, faltete sie zusammen und hakte den einen Bügel an den Ausschnitt seiner schlicht bestickten Weste. Sein Blick wanderte recht skeptisch von meinem Onkel zu mir, weil auch ihm nicht klar war, worauf das alles hinauslaufen sollte.

      »Und ich habe beschlossen, sie als Ihre neue Assistentin einzustellen«, rief Onkel Alfred ein bisschen zu laut für diese geweihten Hallen und einige Studenten drehten ihre Köpfe zu uns. Doch offensichtlich machte ihm das alles viel zu viel Spaß, als dass er darauf achten wollte. Sein Blick lag ganz auf Mr Reeds Zügen, dessen Gesichtsfarbe sich von normal zu ungesund blass wandelte, nur um Sekunden später in wutrot umzuschlagen.

      »Auf. Ein. Wort!«, zischte Mr Reed ihm verbissen zu, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte wie ein Feldmarschall auf die Treppe zu, die er gerade heruntergekommen war.

      Auf Onkel Alfreds Lippen erschien ein diabolisches Grinsen, kaum dass sich der Bibliothekar umgedreht hatte, und er folgte ihm mit großen Schritten.

      Ich hatte keine Ahnung wohin mit mir, stand einfach nur da, während die Herren mich verließen, und sah mich den Blicken der herumsitzenden Studenten ausgeliefert, die mich ansahen wie einen bunten Hund. Es war nicht sehr nett von den beiden, mich einfach hier zurückzulassen, und ich raffte kurz entschlossen meinen Rock, um ihnen zu folgen.

      Ich sah sie gerade noch hinter einer Tür verschwinden, die seitwärts von dem oberen Rundgang abging, als ich die oberste Stufe erreichte. Da sich hier oben niemand weiter aufhielt und die Studenten von unten mich nicht sehen konnten, wenn ich nah an den Regalen entlangging, rannte ich das kurze Stück so leise ich konnte und versuchte meinen schnellen Atem zu unterdrücken, als ich mein Ohr an die geschlossene Tür hielt.

      »Das kann ja wohl kaum Ihr Ernst sein!«, hörte ich Mr Reed überdeutlich und er klang wirklich erbost.

      »Doch, es ist mein voller Ernst. Vierundzwanzig Assistenten haben Sie in den vergangenen Monaten abgelehnt, rausgeekelt oder entlassen. Und nun ist es genug!«, brachte mein Onkel ihm nicht weniger aufgebracht entgegen und ich musste mich mit der

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