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Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina
Читать онлайн.Название Animant Crumbs Staubchronik
Год выпуска 0
isbn 9783959913928
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Animant wird uns sicher dorthin begleiten«, versprach Tante Lillian also an meiner statt und auch sie sah mich erwartungsvoll an.
Unsicher stützte ich meine Hand auf der Armlehne des Sofas ab und drückte mich auf die Füße hoch. Wenn alle im Raum standen, wäre es unhöflich gewesen, einfach sitzen zu bleiben.
Meine Gefühle waren noch durcheinander, während der Teil meines Kopfes, der rein analytisch dachte, eine Ungereimtheit in den Worten meiner Tante fand.
»Moment. In sechs Tagen? Sagte Onkel nicht, dass Sie nach Glasgow reisen würden? Welche Kutsche der Welt schafft es denn in sechs Tagen nach Schottland und wieder zurück?«, platzte es lauter aus mir heraus, als ich beabsichtigt hatte, und trotz der Unhöflichkeit, die ich damit an den Tag legte, begann Mr Boyle zu lachen.
»Keine Kutsche, Miss Crumb, da haben Sie recht. Aber ein Luftschiff sehr wohl«, antwortete er und sein Blick veränderte sich. Ungewollt hatte ich das Thema gewechselt und fühlte mich gleich ein wenig leichter ums Herz. Als ob ein unangenehmer Druck, den alle Anwesenden auf mich gelegt hatten, verschwunden wäre.
Meine Augen wurden groß, als ich mir seiner Aussage bewusst wurde. Das war doch unfassbar! »Ein Luftschiff?«, fragte ich entgeistert und trat näher auf Mr Boyle zu. »Ich habe darüber gelesen, aber noch keins mit eigenen Augen gesehen.«
»Was haben Sie denn gelesen?«, interessierte er sich und ich bekam einen kleinen Euphorieschub. Das hatte mich wahrlich noch kein Mann in meinem Alter gefragt.
»Louis Sanders’ Abhandlung vom Fliegen, Vom Bau bis zum Flug von den Thill-Brothers«, ratterte ich runter und dann fiel mir noch ein drittes Buch ein, das auch detaillierte Beschreibungen des Fliegens mit einem Luftschiff enthielt, aber sicher nicht als Sachbuch zählte. »Und Claire’s Reise zum Mond«, sagte ich trotzdem und wartete darauf, dass Mr Boyle etwas antwortete. Ich hoffte, ich hatte ihn nicht überfordert. Wenn er keines der Bücher kannte, dann würde er sich für unwissend halten. Und zum ersten Mal wollte ich nicht, dass ein Mann sich in meiner Gegenwart vor den Kopf gestoßen fühlte.
»Erstaunliche Fachliteratur«, merkte Mr Boyle an und grinste dann schelmisch. »Vor allem das Letzte«, witzelte er und ich kniff verstimmt die Lippen aufeinander.
Ich mochte es gar nicht, wenn man sich wegen der Bücher, die ich gelesen hatte, über mich lustig machte.
»Wie gefiel Ihnen das Ende?«, erkundigte sich Mr Boyle jedoch und ich fasste mich rasch wieder. »Robert entscheidet sich für seine Claire und gibt das Fliegen um ihretwillen auf. Romantische Lektüre, die für junge Frauen wie geschaffen ist, scheint mir«, merkte er an und ich blinzelte erstaunt.
»Sie haben es gelesen?«, wollte ich wissen, obwohl es offensichtlich war. Schließlich kannte er das Ende.
»Das habe ich. Und?«, blieb er an seiner Frage dran und ich schüttelte den Kopf.
Ich konnte mich genau erinnern, wie ich den Schluss gelesen hatte und danach verwirrt und wütend das Buch auf meinen Nachttisch knallte. »Ich muss Sie enttäuschen. Ich fand das Ende schrecklich«, berichtete ich und nun war es Mr Boyle, den ich mit meiner Aussage ins Staunen versetzte. »Eine Frau, die von ihrem Liebsten verlangt, das wichtigste Gut seines Lebens aufzugeben, kann ihn nicht wahrlich lieben!«, empörte ich mich und sah, wie Tante Lillian sich neben mir ein Grinsen verkniff.
»Eine wirklich ungewöhnliche Meinung für eine junge Frau«, meinte Mr Boyle und ich wusste genau, was er meinte. Ich kannte die jungen Dinger aus meinem kleinen Städtchen und sie alle hatten nur hübsche Kleider, Liebesbriefe, Rosen und anderen romantischen Firlefanz im Kopf.
»Das sagt sie nur, weil sie keine Ahnung von der Liebe hat«, behauptete Tante Lillian plötzlich und ihre Worte verletzten mich, obwohl ich eigentlich wusste, dass sie es nicht böse meinte.
»Ich habe über die Liebe gelesen«, gab ich von mir und riss mich zusammen, um nicht zu streng zu sprechen.
»Liebes«, sagte Tante Lillian zu mir und legte mir gutmütig eine Hand auf den Arm. »Manchmal reicht es nicht, nur darüber zu lesen.«
Das Dritte oder das, in dem ich mein Herz verlieren würde.
Der Morgen war so eisig, dass mir die kalte Luft unter den Reifrock zog und mir die Beine schlotterten, obwohl ich meine langen Wollstrümpfe trug.
Der Himmel war wolkenverhangen und blieb düster, auch nachdem die Sonne aufgegangen war.
Nach der Morgentoilette hatte Tante Lillian mir beim Anziehen geholfen, da ich zu nervös gewesen war, um auch nur einen Knopf mit meinen zittrigen Fingern zu schließen. Ich trug eine einfache cremefarbene Bluse aus Baumwolle und einen dunklen karierten Rock aus schwerer Wolle. Beides waren Teile, die meiner Mutter kein bisschen zusagten, weil sie ihrer Meinung nach so farblos und lebensverneinend schienen. Doch ich glaubte, dass sie nur fürchtete, dass ich damit viel zu streng aussah und deshalb die jungen Herren abschreckte, die von den Damen des Landadels fröhliche Papageienpracht gewohnt waren.
Ich fühlte mich sehr wohl in meinen Kleidern, viel wohler als in irgendeinem eng geschnürten Rüschending, und freute mich sehr darüber, dass Tante Lillian mich angesehen und mir gesagt hatte, dass ich in meiner Aufmachung älter und reifer wirkte. Anschließend hatte sie mir die Haare hochgesteckt und mir ihre schmalen Perlohrringe geliehen.
Und obwohl ich mich angemessen angezogen fühlte, war mein Kopf unruhig, mein Magen flau und mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Onkel Alfred lief neben mir, hatte mir den Arm geboten, damit ich mich unterhaken konnte, und ich war froh über die Stütze.
Der gepflasterte Weg ging von Onkel Alfreds Haus nur ein Stück die Straße nach unten und bog anschließend durch einen schmiedeeisernen Durchgang in einen Park, der bereits zum Universitätsgelände gehörte.
Mein Onkel zeigte auf mehrere große, stattliche Gebäude aus rostrotem und dunkelgrauem Stein und benannte sie für mich, während mir beinahe die Augen aus dem Kopf fielen vor lauter Staunen.
Das letzte Mal, dass ich hier gewesen war, lag schon eine Weile zurück und ich hatte damals die ganze Zeit mit der Nase in Oliver Twist gehangen, um danach unseren restlichen Aufenthalt in London damit zu verbringen, nach Straßenkindern Ausschau zu halten. Der Bibliothek waren wir nicht einmal nahe gekommen, aus der Angst meiner Eltern heraus, mich dort drin zu verlieren und nie wiederzufinden.
Der Park, durch den wir schlenderten, war weitläufig, durchzogen von hell gepflasterten Wegen, gesäumt mit verknöcherten alten Platanen, die schon beinahe alle Blätter verloren hatten. Von Grünflächen umfasst, ragte die Universität in den verhangenen Himmel. Die Gebäude waren prachtvoll konstruiert, mit schmalen Säulen, Türmchen und silbernen Zinnen, wie es so typisch für London war. Sie hatten Hunderte schmale Fenster, große hölzerne Tore und strahlten allesamt eine so machtvolle Aura aus, dass ich Ehrfurcht empfand vor all dem Wissen, das hier auf dem Campus vermittelt wurde und von dem ich lediglich nur eine leise Ahnung hatte.
Dazwischen wimmelte es nur so von jungen Männern. Es war noch recht früh und doch waren sie schon alle unterwegs. Zu den morgendlichen Vorlesungen, zur Cafeteria, die wir rechts zurückließen, oder zu Lerngruppen, die sich überall auf dem Campus und in den Cafés drum herum trafen.
Die Bibliothek lag recht zentral und ich holte ehrfurchtsvoll Luft, als wir den Weg zum Haupteingang entlanggingen.
Die schmuckvolle Fassade ragte vor mir auf, beugte sich mir entgegen und ließ mich meine Kleinheit spüren.
Die Angst, die ich bisher mehr oder minder erfolgreich verdrängt hatte, kroch mit der Kälte des Morgens in meinen Bauch und gab mir