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Du bist doch ein tapferes Mädchen, und du willst doch auch, daß ich Kai wiederbringe, nicht?«

      Ja, das wollte Heike aus tiefem Herzen.

      »Geh ruhig, Old Henry, und suche Kai. Er… er steckt sicherlich irgendwo am Flußufer. Bring ihn wieder her! Ich habe ihm ja gesagt, daß du uns nicht fortschickst. Aber er wollte nicht auf mich hören. Er sagt, dir bliebe keine andere Wahl.« Heike blickte voller Vertrauen zu ihm auf, und flüsternd fügte sie hinzu: »Aber ich glaube, du bist ein… ein großer, starker Mann, der es schon schafft. Du schaffst es für uns, nicht, Old Henry? Weißt du, ich… ich möchte so gern bei dir bleiben.«

      Olsen streichelte sanft ihr verschwitztes Haar und erwiderte Heikes Blick sehr ernsthaft.

      »Ich werde es für euch schaffen, Heike, das ist richtig. Ich bin sehr froh, daß du mir vertraust. Aber nun muß ich gehen, sonst wird es dunkel. Es wird dann schwierig, Kai und Bimbo zu finden.«

      Heike kroch ein wenig tiefer unter ihre Decke. »Geh nur«, wisperte sie.

      *

      Er durchsuchte zunächst den Garten, dann sein Boot, ehe er sich durch das Schilf kämpfte.

      Hier entdeckte er Spuren von Kai und Bimbo. Sie führten geradewegs am Fluß entlang zur nächsten Brücke. Aber hatte Kai die Brücke überquert?

      Olsen blieb stehen und beobachtete das andere Flußufer. Dort drüben lag der kleine Ort Gieselwerder, den Kai oft mit seiner Mutter besucht hatte, weil ihm die Kirche drüben so gut gefiel. Ob er dort ist? fragte sich Olsen in drängender Unruhe.

      Es begann schon zu dämmern, als er vor dem Portal der Kirche stand.

      Er betrat das Innere, in dem es um diese Zeit still und menschenleer war.

      Trotzdem bemerkte Olsen die kleine, verlorene Gestalt des Jungen sofort.

      Obwohl er sich bemühte, leise zu gehen, entstand unter seinen Schritten ein klapperndes Geräusch, das Kai herumfahren ließ.

      Olsen war darauf gefaßt, daß der Junge an ihm vorbei durch das Kirchenportal entwischen würde, und er wollte ihm schon den Weg vertreten.

      Aber Kai dachte anscheinend nicht an Flucht. Ruhig blickte er dem Mann entgegen, und in der Dämmerung wirkte sein Gesicht sehr blaß und angespannt.

      »Hallo, Kai!« murmelte Olsen und ließ sich an seiner Seite auf der Bank nieder.

      Er fühlte sein Herz hart gegen die Rippen pochen und seine Knie eigentümlich zitterig werden.

      »Ich bin froh, daß du hier bist«, sagte er rauh und legte seine Hand flüchtig über die gefalteten Bubenhände.

      »Ich dachte mir, daß du herkommen würdest«, entgegnete Kai leise und blickte nach vorn. »Ich möchte dich etwas fragen, Old Henry.«

      »Frag nur, mein Junge!«

      »Warum hast du meinen Vati immer so… so schlecht behandelt? Du warst sehr unfreundlich zu ihm, leugne es nicht!«

      Schwer hob Olsen die Schultern und ließ sie wieder sinken.

      »Es ist mir nie zum Bewußtsein gekommen, mein Junge, aber sollte es so gewesen sein, tut es mir leid. Weißt du, Kai, wenn du ein wenig älter bist, will ich dir alles genau erklären. Heute kann ich dir nur so viel sagen: Ich habe deine Mutter sehr gern gehabt. Ich wollte sie einmal heiraten, aber sie hat deinen Vater lieber gehabt. Immer wenn ihr im Olsenhaus Ferien gemacht habt, mußte ich erleben, was für eine glückliche Familie ihr seid. Ich hingegen war einsam, verstehst du? Dabei hätte ich dich gern meinen Sohn genannt, Kai, ja, und Heike meine Tochter.«

      Wie gebannt hielt Kai seinem zwingenden Blick stand.

      »Dann warst du also eifersüchtig auf meinen Vati?«

      Flüchtig schloß Olsen die Augen.

      »Ja, Kai, das ist richtig. Ich war ganz einfach eifersüchtig und darum oft gereizt und vielleicht ungerecht.«

      »Nein! Nein, das stimmt nicht!« rief Kai gedämpft und legte rasch seine Hand über Olsens Finger. »Ungerecht warst du nie. Im Gegenteil, mein Vati hatte manchmal unrecht. Er… er war immer ein wenig hitzig. Ja, so war mein Papi nun mal.«

      Da klangen wieder Tränen durch, die Olsen schmerzten und ihm seine folgenden Worte schwer machten.

      »Kai…«

      Er zögerte und blickte vor sich in das Kirchenschiff. »Kai, glaubst du, es könnte gehen mit uns? Willst du… mein Sohn sein?«

      Die schmächtige Gestalt an seiner Seite fuhr heftig zusammen. Dann stammelte Kai atemlos: »Dein… dein Sohn? Aber das heißt ja, wir… wir brauchten nirgendwohin.«

      Schweigend nahm Olsen ihn bei der Hand und verließ mit ihm die Kirche.

      Draußen holte er tief Luft und meinte ruhig: »Das stimmt nicht ganz, Kai. Du müßtest schon irgendwohin. Du müßtest bei mir bleiben. Willst du bei mir bleiben – als mein Sohn?«

      Fast wirkte Kai erwachsen, als er mit seiner hellen Knabenstimme ernsthaft entgegnete: »Ja, das will ich, Old Henry. Aber Heike mußt du auch zu dir nehmen. Wir lassen uns nicht trennen.«

      »Dennoch wolltest du ohne sie fort?«

      Olsen schüttelte sein Haupt, während ein flüchtiges Lächeln die Strenge seiner Züge milderte.

      Trotzdem empfand Kai seine Worte als einen versteckten Vorwurf. Er senkte den Blick, kraulte Bimbo hinter den Ohren und meinte: »Ja, aber ich wollte es nicht lange. Schon auf der Brücke wollte ich umkehren, als mir die Kirche einfiel, die meine Mami so gern besucht hat. Da dachte ich mir, ich gehe mal hinein und – und bete für die Eltern. Und… und ich habe auch für Heike gebetet, daß sie morgen wieder gesund ist.«

      Das war ein Hinweis, der Olsen zur Eile trieb.

      »Komm, Junge, wir müssen uns auf den Weg machen, deine Schwester ist ja allein. Sie macht mir Sorgen, Kai, das will ich dir nicht verheimlichen. Wir müssen sicherlich noch einen Arzt rufen.«

      Erschreckt verhielt Kai den Schritt.

      »Aber dann erfährt man doch von uns!«

      Olsen nahm seine Hand und erwiderte geduldig: »Das läßt sich nicht ändern, denn Heikes Gesundheit geht ja vor. Du, mein Sohn, wirst dich damit abfinden müssen, daß ich euer weiteres Schicksal in die Hände nehme. Vielleicht müßt ihr sogar für kurze Zeit in ein Heim, aber das wird nicht für lange sein.«

      Kai stapfte gedankenvoll neben ihm am Fluß entlang, bis er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, die Olsens Herz erwärmte.

      »Weißt du, Old Henry, ich bin sehr froh darüber, daß du meine Mami einmal heiraten wolltest. Wenn du sie lieb hattest, wirst du uns doch auch mögen.«

      Olsen nickte und erwiderte: »Ich habe euch sehr lieb, aber ihr macht mir auch eine Menge Kummer. Ich denke dabei jetzt mehr an Heike. Hoffentlich ist sie brav im Bett geblieben.«

      Da stoppte Kai seinen Schritt. Er wies zum Haus, das nun zwischen den Bäumen auftauchte und dessen Fenster sämtlich erhellt waren.

      Im nächsten Moment rannten Kai und Old Henry auch schon los.

      *

      In der Diele brannte wohl Licht, aber es war niemand zu sehen. Olsen und Kai blickten einander fragend an.

      »Sie lag in ihrem Bett«, raunte Olsen schließlich und hob ratlos die Schultern. »Wieso brennt hier nun Licht?«

      Kai zuckte gleichfalls die schmalen Schultern und packte Bimbo am Halsband, denn der Spaniel wollte sofort die Treppe hochstürmen.

      Olsen jedoch wollte zunächst in die Küche, aus der ein heller Lichtschein drang, denn die Tür stand weit offen.

      Ein sonderbarer, ihm vertrauter Geruch stieg Old Henry in die Nase, ohne daß er ihn näher identifizieren konnte.

      »Vielleicht hat Heike Durst bekommen«, sagte er zu Kai und schritt

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