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längsten achtundvierzig Stunden meines Lebens sein.“

      „Ihre Geduld wird reich belohnt werden“, sagte Dr. Berends. „Herr Ahlert wird Ihnen persönlich dafür danken.“

      10

      Tilla war Sekretärin in einer kleinen Anwaltskanzlei. Da sie in ihrem Zustand nicht arbeiten konnte, sie hätte mehr Schaden als Nutzen angerichtet , rief sie an und bat um eine Woche unbezahlten Urlaub.

      Dr. Lenz, ihr Arbeitgeber, wusste von dem Raubüberfall. Dass Tilla mit dem Supermarktleiter befreundet war, war ihm allerdings neu.

      „Das tut mir leid für Sie, Frau Deltgen“, sagte er mit seiner nasalen Stimme. „Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist.“

      Als kleines Trostpflaster wandelte er den unbezahlten Urlaub in einen bezahlten um.

      „Vielen Dank“, sagte die junge Frau.

      „Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen“, verlangte ihr Chef.

      Tilla bedankte sich wieder und legte auf. Niemand konnte ihr helfen. Sie musste diese Last, die schmerzhaft drückte, allein tragen. Am liebsten hätte sie sich ins Bett gelegt und achtundvierzig Stunden geschlafen.

      Aber ihr Geist kam nicht einmal für fünf Minuten zur Ruhe. Eine Vielzahl von Gedanken wirbelte durch ihren Kopf, und immer wieder plagten sie schreckliche Gewissensbisse, weil sie in Erwägung gezogen hatte, sich von Volker zu trennen.

      Er rang in der Wiesen-Klinik immer noch mit dem Tod, und sie hatte ihn verlassen wollen. Ihn! Da sie ihn doch so sehr liebte. Es hatte erst zu dieser Katastrophe kommen müssen, damit ihr bewusst wurde, wie sehr sie Volker Ahlert liebte.

      Es gab keine Zweifel mehr. Tilla wusste nun ganz genau, dass sie Volker mehr in ihr Herz geschlossen hatte als Elmar Spira. Es war nicht Mitleid, dass sie sich zu Volker mehr hingezogen fühlte.

      Es war unverkennbar Liebe!

      Ich muss reinen Tisch machen, sagte sich die blonde Frau. Ich muss Elmar die Wahrheit sagen. Er muss erfahren, dass ich Volker liebe. Diese Aufrichtigkeit bin ich ihm schuldig.

      Mit schneller klopfendem Herzen sah sie das Telefon an. Ihr war klar, dass sie ihn nicht mit einer kurzen Erklärung am Telefon abspeisen durfte.

      Er hatte ein Anrecht auf eine persönliche Aussprache. Das würde Tilla bestimmt nicht leichtfallen, aber sie war pflichtbewusst genug, um sich davor nicht zu drücken.

      Er freute sich über ihren Anruf.

      „Können wir uns heute sehen?“, fragte Tilla.

      „Sehr gern“, antwortete Elmar. „Wann?“

      „Jetzt gleich?“, fragte die Sekretärin. Sie wollte die Sache nicht auf die lange Bank schieben.

      „Das geht leider nicht“, sagte der Mann bedauernd. „Ich muss noch mal in die Schule, kurze Besprechung mit dem Direktor. Vielleicht hat der Aushilfslehrer Elmar Spira die Chance, fest angestellt zu werden. Wäre nicht schlecht, was?“

      „Oja, das wäre schön für dich“, sagte Tilla gedämpft. Sie spielte mit dem Telefonkabel.

      „Wie wär’s, wenn du mich von der Schule abholen würdest?“

      „In Ordnung. Wann soll ich da sein?“, fragte Tilla.

      Elmar nannte die Uhrzeit. „Ich habe eine Überraschung für dich.“

      Ich auch, dachte Tilla traurig. Aber meine Überraschung ist wenig erfreulich.

      „Dann bis später“, sagte die blonde Frau.

      „Sag mal, bedrückt dich irgendetwas?“, wollte Elmar wissen. „Deine Stimme hört sich so fremd an. Hast du was?“

      „Ja“, gab Tilla zu. „Aber ich möchte nicht am Telefon darüber reden.“ Damit Elmar nicht in sie dringen konnte, legte sie schnell auf.

      Zur vereinbarten Zeit wartete sie dann vor dem Schulgebäude auf den Lehrer. Er kam strahlend aus dem Haus. Der Wind zerzauste sein schwarzes Haar.

      „Heute ist ein Glückstag für mich!“, rief er schon von weitem. „Ich könnte vor Freude die ganze Welt umarmen.“

      Deine Freude wird nicht lange vorhalten, dachte Tilla niedergeschlagen. Denn ich bin hier, um sie beträchtlich zu trüben.

      „Der Aushilfslehrer ist gestorben“, sagte Elmar. Er war so übermütig, dass ihm nicht auffiel, wie traurig Tilla war, und das Wort „gestorben“ hörte sie überhaupt nicht gern, denn sie brachte es, ohne es zu wollen, sogleich mit Volker Ahlert in Zusammenhang, und ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.

      „Ab kommendem Monat gehöre ich dem Lehrerkader dieser Schule an“, sagte Elmar glücklich.

      „Ich gratuliere“, sagte Tilla.

      „He, ein bisschen mehr darfst du dich schon freuen“, meinte der Mann lachend. „Und du darfst deine Gratulation auch mit einem Kuss besiegeln.“

      Tilla küsste ihn ohne jedes Gefühl, doch auch das fiel Elmar Spira nicht auf. Er hielt sich nach wie vor für einen beneidenswerten Glückspilz.

      „Und nun zu meiner Überraschung“, sagte er und schob seine Hand unter Tillas Arm. Er führte die Frau zum Parkplatz und blieb vor einem silbergrauen Audi Quattro stehen. „Wie gefällt er dir?“, wollte er wissen.

      „Ein schönes Auto“, sagte Tilla. „Aber nicht billig.“

      „Seit ich ihn zum ersten mal sah, träumte ich davon, ihn zu besitzen“, gestand Elmar. „Aber für die schmale Brieftasche eines Aushilfslehrers war er unerschwinglich.“

      „Daran wird sich wohl auch weiter nichts ändern“, sagte Tilla. „Du wirst als angestellter Lehrer nicht das Gehalt eines Bankdirektors beziehen.“ Sie sah sich nach Elmars altem VW Käfer um, konnte ihn aber nicht entdecken. „Wo ist dein Wagen?“

      „Du stehst davor“, sagte Elmar.

      „Du machst Witze“, entschlüpfte es der Frau.

      „Ganz und gar nicht. Seit heute Vormittag gehört dieser tolle Wagen mir“, gestand der Lehrer strahlend.

      Tilla sah ihn entgeistert an. „Du musst den Verstand verloren haben.“

      Elmar lachte herzlich. „Aber wieso denn?“

      „Heute Vormittag warst du noch Aushilfslehrer. Vielleicht hast du geahnt, dass man dich anstellen wird. Vielleicht hast du es sogar gewusst. Aber das war kein Grund, sich Hals über Kopf in so hohe Schulden zu stürzen.“

      „Ich habe meine Ersparnisse zusammengekratzt und eine ansehnliche Anzahlung geleistet.“

      „Und nun wirst du für den Rest deines Lebens Raten zahlen?“

      Elmar lachte. „Du übertreibst. Ich werde überhaupt keine Raten zahlen.“

      „Dann wird man dir deinen silbernen Traum wieder wegnehmen. Vielleicht ist das nicht einmal so schlecht. Damit bringt man dich wenigstens zur Vernunft. Wie kann man nur so schrecklich unverantwortlich sein, Elmar? Du bist Lehrer. Du solltest für deine Schüler ein untadeliges Vorbild

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