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als Erster, Gerry besiegen. Sie hatten vereinbart, dass Liv in den Wald gehen würde, um Pilze zu sammeln. Es blieb nur das Problem, mit wem Taxi gehen würde. Thomas befürchtete, dass die Hündin sich im Wald verlieren könnte. Liv wollte nicht mit ihr an der Leine, wie eine Dame in der Fußgängerzone, durch den Wald marschieren. Schließlich hatten sie beschlossen, dass Taxi mit Thomas auf dem Turm bleiben sollte.

      Gerry wartete schon auf sie in seinem Auto in der Nähe der Hütte. Sie hatte zugestimmt, dass sie zusammen „nur“ auf die Suche gehen würden. Sie konnte sich nicht erklären, warum gerade hier ihre Untreue für Thomas doppelt so demütigend sein sollte. So dachte sie, in dieser Weise seine Würde zu bewahren.

      Doch all das fiel in sich zusammen, als ihr Liebhaber endlich seinen erträumten Bullen schoss. Gerade in ihrer Gegenwart. Als er in der Nähe die raue Stimme des Tieres hörte, griff er ihren Arm bis er schmerzte und flüsterte: „Keinen Schritt weiter. Bleib hier stehen. Hier werde ich dich finden“, und verschwand.

      Plötzlich merkte sie, dass der Wald furchterregend war. Selbst am Tage war es dunkel. Auch bei Windstille raschelte immer etwas zwischen den Zweigen.

      Sie setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und starrte in die Richtung, in die Gerry verschwunden war, sehnsüchtig mit der ganzen Weiberangst. Dann dieser schreckliche Schuss und die noch schrecklichere Stille, minutenlang. Was war geschehen? Plötzlich überfiel sie eine idiotische Vorahnung – Thomas hatte ihn erschossen! Sie verstand es, es war absurd, doch das Absurde hörte nicht auf, furchterregend zu sein. Sie wollte nach Gerry rufen, doch sie ahnte, ihre eigene Stimme wäre noch finsterer als die finstere Stille. Endlich das Geräusch eines knackenden Zweiges, so nah, dass es sich wie ein Schuss anhörte. Gerry erschien. Ohne Waffe, mit den von getrocknetem Blut roten, widerlichen Händen.

      „Komm, ich habe ihn -“

      „Ich will es nicht sehen“, grölte sie, jetzt schon selbstsicher genug, um beleidigt zu sein und Rache für ihre Angst zu nehmen. Und auch dafür, dass ein Vieh für ihn wichtiger war als sie.

      „Aber wir müssen zurück. Ich habe mich so beeilt, zu dir zu kommen, dass ich mein Jagdgewehr dort gelassen habe.“ Er war so glücklich, dass er ihre Aufregung nicht bemerkte.

      Die Größe des erlegten Tieres. Demütigung der königlichen Krone des Geweihs. Doch es war sein Werk, das Werk ihres Liebhabers. Das Gewehr, das am Baum angelehnt gewesen war, hatte er vergessen. Als sie sich hinunterbeugte und das Geweih berührte, spürte sie, dass er sich ihr genähert hatte. Sie erlebte eine merkwürdige Mischung aus Begierde und Abscheu. Sie knieten auf dem Gras. Er küsste sie tief. Er war schon über ihr, schon in ihr. Das Kleid schob er hoch über die Brüste. Diese blutgetränkte Hand. Er nahm sie leidenschaftlich wie nie zuvor, gewaltig und unbesiegbar.

      Zurück kamen sie wie vereinbart. Zuerst Liv, die er einen halben Kilometer vor der Hütte aussteigen ließ, eine halbe Stunde später Gerry.

      Thomas war bereits da. Aufgebracht, als hätte er einen Löwen erlegt, berichtete er, dass er eine „fantastische Begegnung“ gehabt hatte.

      „Ich saß auf dem Beobachtungsturm – ihr wisst, ich mag das nicht, doch hatte ich mich vom Förster überreden lassen“, – ja, du magst das nicht, aber du wolltest um jeden Preis besser sein als Gerry — „also dort oben mit Taxi am Bein und in tiefen Gedanken versenkt, wurde ich vom leisen Knurren der Hündin geweckt. Nicht weit vom Turm erschien ein Hirsch. Noch bevor ich mein Gewehr greifen konnte, bewegte er sich in unsere Richtung. In diesem Moment, als ich anfing zu zielen, erhob er sein Haupt und begann an einem Zweig zu knabbern. Durch das Fernglas des Gewehres sah ich sein Auge und seine Wimpern. Versteht ihr, seine Wimpern, jedes einzelne Haar. Ich konnte nicht schießen. Taxi hätte das nicht ausgehalten. Als sie bellte, dachte ich, der Wald fällt in sich zusammen, so wie der Bulle begann zu galoppieren“, erzählte er wie im Fieber.

      Sie dachte: Dieser Versager! Taxi hat gebellt und er schaffte es nicht, sein Gewehr herauszuholen und diese Erzählung über seine Gnade ist nur eine Ausrede. In Wirklichkeit sind die alle gnadenlos.

      Sie sorgte sich um sich selbst – zu stark beherrschte Gerry ihre Gedanken. Die Umstände zwangen sie dazu, etwas mehr Distanz zu bewahren. Rechtsanwalt Korbach war mit seinem Sohn Edward gekommen und das, was ihr gehörnter Ehemann nicht sah, konnte dem ewigen, platonischen Verehrer nicht verborgen bleiben. Edward hatte sich gar nicht bemüht, sein Interesse an ihr zu verbergen. Direkt danach, als er aus dem Wagen ausgestiegen war und alle Anwesenden begrüßte, sagte er feierlich: „Meine Damen und Herren. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass Liv und ich Kinder erwarten.“

      Er öffnete den Kofferraum des Wagens, aus dem ein prächtiger junger, goldener Cockerspaniel heraussprang.

      „Ajax, bei Fuß. Ein schöner, antiker Name. Beste Referenzen. Nur zwei Jahre und schon die erste Goldmedaille auf einer erstklassigen Ausstellung.“

      „Taxi, komm hierher. Es ist Zeit, deinen Bräutigam kennenzulernen“, kaufte Liv den Scherz. Sie sah Gerrys wütenden Blick, als er Edward ansah.

       Fantastisch, er soll auch leiden.

      Gerry hatte eine Vorahnung. Er begann über Jäger, die mit Haushunden zur Jagd gehen, zu scherzen. Seinen Otto hatte er zu Hause gelassen, obwohl er ein guter Jagdhund war.

      Es war eine gute Zeit für Liv. Sie genoss die ruhige Anbetung des Ehemannes, das begehrliche Gezappel des Liebhabers und die ständige Bereitschaft dieses Dritten. Sie blühte in ihrem weiblichen Wohlstand auf.

      Gerry war der Wichtigste, doch das Schönste war, er durfte das nicht erfahren, sie durfte es ihm nicht zeigen. Und es war gut so. Es tat gut, einem Mann, der über eine angeborene Hochmut und Selbstsicherheit verfügte, in Unsicherheit zu halten. Nur Thomas war frei davon. Gerade jetzt lebte er als der offiziell Herrschende im Kreis der Prätendenten auf. Ihn hatte sie verschont. Gerry dagegen wurde von ihr in Sachen Eifersucht trainiert. Es reichte aus, dass sie nach dem Abendessen schnell aufstand, ihren Ehemann an die Hand fasste und mit ihm nach oben ging. Sie wusste, was mit den anderen geschehen würde. Gerry war beherrscht, Edward dagegen - frustriert. Und sie? Sie war im Prinzip ihrem Mann treu. Die Episode bei dem erschossenen Hirschbullen? Es war eigentlich ohne ihre Zustimmung passiert. Edward? Mühte er sich nicht seit einem Jahr ohne Erfolg? Thomas sollte auf sie stolz sein, so wie auch sie auf sich stolz war.

      Und Thomas war auch stolz. Er war in Balance, nachsichtig, Herr im Hause. Gewichtiger. Nicht nur für seine Kumpel. Seine literarischen Minderwertigkeitsgefühle hatte er abgeworfen. Einmal bei Regen, als die Jagd nicht möglich war, begann er zu lesen. Noch einmal las er Das kurze und glückliche Leben des Francis Macomber von Ernest Hemingway. Dort befreit sich ein Mann in einem mutigen Akt von einem attackierenden Tier und von der Dominanz seiner Frau – und wird von ihr sofort erschossen.

      Thomas schloss das Buch und sagte, als hätte er eine Story eines minderbegabten Kollegen durchgeblättert: „Na ja, der alte Ernest hatte nicht immer die besten Ideen. Ich muss dir sagen, ich hätte diese Situation anders gelöst.“

      „Und wie?“, fragte sie zögerlich, beschäftigt mit eigenen Gedanken. Sie war glücklich. Wer wusste schon, ob ihr Mann nicht vielleicht besser als so ein Hemingway war. Eigentlich stünde ihr so ein Mann zu. Sie war doch rein und treu. Sie hatte sich nicht ihr Bildnis in den Augen der begeisterten Männer angeschaut. Genauso wenig hatte sie ihre Entzückung künstlich angefeuert.

      Nach dem regnerischen Tag hatte sich das Wetter verbessert. Es war sogar wärmer als sonst zu dieser Jahreszeit. Sie hatten sich alle entschlossen, ein einstündiges Sonnenbad am Ufer des Waldsees zu nehmen. Man konnte von ihr nicht verlangen, dass sie es in einem Kleid tat. Dank ihrer Intuition hatte sie, Mitte September, einen Bikini mitgebracht. Und das er so war wie er war? Nicht sie selbst, sondern die aktuelle Mode hatte ihn so ausgeschnitten, dass die Beine bis zur Hüfte und die beiden Gesäßhälften enthüllt waren. Es wirkte auf sie belustigend, als sie sah, dass Gerry die ganze Zeit seinen Rücken bräunte und seine Vorderseite im Sand versteckte, um nicht zu zeigen, wie sehr er von ihrer Erscheinung beeindruckt war. Und dass der junge Korbach, trotz der herbstlichen Kälte, immer wieder ins Wasser sprang. Nur ihr Herr, gesättigt und befriedigt, streifte am Ufer des Sees

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