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die er regelmäßig aussendete. Aber Bergner kannte ihn. Ein untrügliches Zeichen war, dass er in den letzten Wochen immer häufiger in den Talkshows auftauchte. Etwaigen Fragen wich er geschickt aus, aber natürlich machte er niemals deutlich, dass er auf keinen Fall zur Verfügung stehen würde. Wenn es so weit war, dann würde Reiter zugreifen, da war sich Bergner sicher. Aber er kannte ja Reiters verwundbare Stelle, war einer der ganz wenigen, die das dunkle Geheimnis aufdecken konnten. Und wenn es nötig werden würde, dann würde er das tun.

      Nachdem er die deutschen Zeitungen überflogen hatte, griff er zur New York Times. Seine Sekretärin hatte einen Artikel mit dem Rotstift angestrichen. „Germany´s new Wirtschaftswunder“ lautete die Überschrift von Judith Johnson, der Berliner Korrespondentin. Er kannte sie. Sie hatte in Harvard Volkswirtschaft studiert und war dann im Journalismus gelandet. Ihr Wort hatte in der internationalen Wirtschafts- und Finanzwelt Gewicht. Aufmerksam las er den Artikel. Den vierten Absatz hatte seine Sekretärin rot umrandet. Dort stand zu lesen, der deutsche Wirtschaftsminister Julius Bergner habe einen wichtigen Anteil am deutschen Aufschwung. Er habe gewiss das Zeug, das Land auch an anderer Stelle zu führen.

      Bergner spürte, wie das Adrenalin in ihm anstieg, seinen Körper durchströmte. Konnte die Frau Gedanken lesen? Verdammt, das war es. Eine unabhängige, glaubwürdige Stimme von außen, die das aussprach, was er selber dachte. Das musste man nutzen.

      Er griff zu seinem Smartphone und öffnete die Twitter-App. Darin war er seit langer Zeit ein Meister, kein Tag ohne einen Eintrag von ihm. „Unser Land ist wieder auf dem Weg nach oben“, schrieb er. „Danke an alle! Und das sieht auch die New York Times so. Interessanter Artikel über unseren Aufschwung. Lesenswert!“ Er drückte auf Senden. Wenige Augenblicke später sah er die ersten Reaktionen, mehrere Likes tauchten auf.

      Bei den Arbeitgebern würde er die Bombe platzen lassen. Das war die richtige Gelegenheit. Er war fest entschlossen, jetzt war endlich der richtige Zeitpunkt gekommen.

      Er war wieder in den Wirtschaftsteil der New York Times vertieft, der sich vor allem mit der Lage Chinas beschäftigte, als Winter erneut auftauchte. Er legte einen Aktendeckel auf Bergners Tischplatte. Bergner schlug ihn auf und sah den Geheimstempel.

      „Die neueste BND-Meldung. Sie sehen weiter Bewegungen beim Thema feindliche Übernahme von NEWTEC. Irgendwer dreht da an dieser Schraube, aber sie wissen immer noch nicht, wer dahintersteckt“, sagte Winter.

      Verdammt, dachte Bergner, das würde er gerade jetzt nicht gebrauchen können. Oder vielleicht doch? Das war doch auch eine Chance, Tatkraft zu beweisen. Nur wie?

       Kapitel 7

       Frankfurt

      Er hatte schlecht geschlafen, sich dann einen starken Kaffee gemacht und saß, unrasiert und in einem verknitterten T-Shirt, am Tisch und versuchte, sich zu konzentrieren. An der Wand gegenüber hing ein großer, rechteckiger Spiegel, der den Raum größer erscheinen ließ, als er war. Peter Conrad betrachtete sich selbst, einen 57-jährigen Mann mit einem starken Bauchansatz, einer Haarlinie, die schon deutlich zurückging und in der die Farbe Grau obendrein dominierte. Dazu trug er eine mittelstarke Brille. Das, so musste er sich eingestehen, war hier und heute die Realität. Das war der Mann, der mit Ewa sein Leben verbringen wollte. 25 Jahre Altersunterschied. Ingrid hatte es ihm bei einer ihrer immer häufiger auftretenden Auseinandersetzungen einmal ins Gesicht gesagt: Wenn du glaubst, du kannst bei einer Jüngeren landen, dann schau doch mal in den Spiegel. Viel Erfolg dabei.

      Genau das tat er gerade. Er schaute, wenn auch widerwillig, in den Spiegel. Er wusste, dass die Stunde der Wahrheit in dem Augenblick gekommen war, als er sie in dieser Nacht eingeweiht hatte. Nachdem er mit Ewa gesprochen hatte, gab es kein Zurück mehr. Er hatte es endlich ausgesprochen, endlich den Mut gefunden, es ihr zu sagen: Die gemeinsame Zukunft, sie und er, er und sie. Und jetzt oder nie.

      Aber dazu brauchte er das Geld. Er musste einen Weg finden, wie er die Übernahme von NEWTEC arrangieren konnte. Das ging, nur so viel war klar, nicht ohne Kurt Friedrich. Alles Weitere musste man dann sehen. Er nahm sein Smartphone und suchte unter den Kontakten nach der Nummer. Gerade war er dabei, den Knopf zu drücken, der den Wahlvorgang auslösen würde, als er das Geräusch an der Tür hörte. Überrascht blickte er auf. Ewa stand in der Tür, den Schlüssel noch in der Hand. Sie war, wie so oft, noch spät in der Nacht verschwunden und es war noch nie vorgekommen, dass sie am nächsten Morgen so früh zurückkehrte. Doch jetzt stand sie da, eine Tüte Brötchen in der Hand. Sie trug enge Jeans und einen schwarzen Hoodie, ihre blonden Haare lugten unter einem schwarzen Basecap hervor und ihre Füße steckten in modischen Sneakern. Ihr Makeup, sonst eher aufdringlich, war dezent. Sie ging auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn.

      „Ich habe uns was mitgebracht, zum Frühstück.“ Sie öffnete die Tüte, präsentierte zwei Croissants und verteilte sie auf den beiden kleinen Tellern, die sie aus der Küche holte. Danach goss sie ihm einen Kaffee aus der vor ihm stehenden Kanne nach und bediente sich dann selber. Conrad war verlegen.

      „Bitte entschuldige meinen Aufzug“, sagte er, „ich wusste ja nicht, dass ich zu dieser Stunde Besuch bekommen würde. Und dann auch noch so einen wunderbaren.“

      Sie lächelte: „Macht doch nichts, wirklich, macht gar nichts.“ Ewa knabberte an ihrem Croissant und nahm einen großen Schluck aus der Tasse.

      „Ich habe nachgedacht“, sagte sie dann. „Wirklich eine interessante Geschichte, die du mir da erzählt hast. Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen, aber ich möchte dir natürlich gerne helfen.“

      Conrad ergriff spontan ihre Hand. „Wirklich?“

      „Ja, wirklich. Das ist doch eine Riesenchance und du … wir sollten sie nutzen.“

      Conrad hielt weiter ihre Hand und drückte sie noch fester.

      „Ja, du hast recht. Ganz sicher, du hast recht.“

      „Hast du schon einen Plan?“, setzte sie nach.

      „Nein, noch nicht wirklich. Aber sicher ist, dass ich als Erstes mit Friedrich reden muss.“

      „Das verstehe ich. Hast du nicht gesagt, dass er schon eine ganze Weile Witwer ist?“

      „Ja, das ist so. Warum fragst du?“

      „Ach, nur so. Ich meine, auch Witwer sind nicht scheintot. Sie haben Bedürfnisse.“ Ewa machte eine Pause, dann fuhr sie fort: „Nun ja, wenn ich da irgendetwas tun kann…“

      Conrad lief rot an. Einen Moment lang wollte er sich einreden, sie nicht richtig verstanden zu haben, wusste aber, worauf sie hinauswollte.

      „Nein, nein, das … das würde ich niemals von dir verlangen“, sagte er schnell und hoffte darauf, das Thema damit beenden zu können. Ewa blieb dran.

      „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich tue da nichts anderes als sonst auch“, sagte sie, ohne eine weitere Regung zu zeigen. Ewa suchte seinen Blick und hielt ihm stand.

      „Hab dich nicht so. Wir haben doch ein gemeinsames Ziel und du hast selber gesagt, ohne Friedrich wird das nichts. Also sollte jeder das tun, was er am besten kann. Was uns anbetrifft, muss das doch überhaupt nichts ändern.“

      Conrad schien weiterhin nicht überzeugt. Er schämte sich bei dem Gedanken, wollte ihr das aber nicht eingestehen. Ewa begann, ihren Hoodie auszuziehen. Darunter trug sie ein gelbes, tief ausgeschnittenes T-Shirt, das ihre Rundungen betonte.

      „Ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst jetzt erst einmal duschen und ich mache in der Zwischenzeit das Bett. Und wenn der Herr mich dann dort besuchen möchte, bitte sehr…“

      Sie warf ihren Hoodie endgültig auf den Boden und begann, ihre Jeans aufzuknöpfen.

      „Und das mit dem Briefumschlag, das lassen wir heute mal…“

       Kapitel 8

       Berlin

      Noch einmal ging Julius Bergner über den Redetext. Quatsch, dachte er, viel zu allgemein. Das ist doch nur Politsprech.

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