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wieder längere Nächte und einen erholsameren Schlaf bekommt. Das gleicht einer Unmöglichkeit, wenn er von Geschäftsessen zu Geschäftsessen, Verhandlung zu Verhandlung eilen muss, ständig hochkonzentriert. Selbst ein brillanter Kopf wird müde und macht Fehler. Vater und Mutter wissen das und versuchen ihn zu entlasten.

      Diese dunklen Schatten beweisen, dass ihre Bemühungen bei Weitem nicht ausreichen. Achim muss am Ende seiner Kräfte angelangt sein. Normalerweise schafft er es selbst im Schlaf, sich zu beherrschen und jede überflüssige Berührung zu vermeiden. Heute Nacht schlingt er die Arme fest um meine Hüfte und vergräbt das Gesicht an meinem Hals. Er schnarcht leise. Ich muss lächeln, streichle ihm durch die weichen Haare. Die Uhr neben meinem eigenen Kamin gibt keinen Mucks von sich, trotzdem glaube ich die Zeiger rennen zu hören. Sie nehmen mir jede Ruhe, tilgen die Erschöpfung und den alkoholisierten Nebel in meinem Kopf. Behutsam schiebe ich Achim von mir und klettere aus dem Bett. Leise flackert die Lampe im Bad auf. Ich schließe die Tür hinter mir und nehme das Make-Up ab, Schicht für Schicht, steige unter die Dusche in der Hoffnung, dass ihre Wärme meine Schläfrigkeit zurückbringt. Stattdessen vervielfacht sie meine undefinierbare Anspannung.

      4

      Lautlos schließe ich den Reißverschluss meines alten Kleides und binde mir die Haare zu einem nachlässigen Pferdeschwanz, ehe ich mir die Kapuze meines Mantels über den Kopf ziehe und den Knopf des Fahrstuhls betätige. Nahezu entschuldigend drehe ich mich noch einmal zu Achim um. Er hat sich an mein Kissen geklammert und das Gesicht darin vergraben. Er wirkt jung und verletzlich, ganz und gar nicht wie ein gefürchteter Aktionär. Seine Sorgen um mich, dass mir unten in der Stadt, allein, Leid zustoßen könnte, lässt mich zögern, als die Aufzugtüren fast lautlos vor mir aufgleiten. Was, wenn ich ernsthaft verletzt werde? Wie sollte ich das erklären? In den Spiegeln des Fahrstuhls flackert mein Bild auf. Die Frau vor mir kann unmöglich Chrona Elizabeth Josephine Hel Clark sein. Ihre Erscheinung grenzt beinahe an ungepflegt, die Augen wirken stumpf, die Lippen schmal. Niemand wird mich in diesem Aufzug erkennen. Am wenigsten meine eigenen Eltern. Ich ziehe scharf die Luft durch die Zähne ein. Dann betrete ich den wartenden Fahrstuhl und sehe angespannt auf mein Spiegelbild, während er mich hinab trägt. Nicht eine Sekunde wage ich es, zu blinzeln. Die unbestimmte Anspannung lässt mich beben. Auf der schmalen Anzeige fliegen die Stockwerke an mir vorbei, verlieren mehr und mehr unter der seichten Musik an Bedeutung, bis der Fahrstuhl hält und mich im Foyer ausspuckt. Ich senke den Kopf und ziehe die Schultern leicht nach oben. Eine Haltung, die sich unnatürlicher nicht anfühlen könnte. Für diesen Moment bin ich nicht mehr als ein kleinlautes Mäuschen, das es kaum wagt, einem Menschen in die Augen zu sehen. Portier und Angestellte kennen dieses jämmerliche Bild gleichermaßen.

      Oft genug schleichen sich die Angestellten des Nachts aus den Zimmern. Ich bin nur eine von Vielen. Die befürchteten Paparazzi lauern vor der Tür, schießen Fotos, aber nicht mit der üblichen Begeisterung. Entgegen meiner Gewohnheit gehe ich nicht aufrecht und mit strahlendem Lächeln, huldvoll winkend an ihnen vorbei. Ich renne fast und kann es kaum erwarten, den sauren Regen auf meinem Gesicht zu spüren.

      Nie zuvor habe ich einen ähnlichen Drang gekannt. Ein Sehnen nach blanker, bebender Freiheit So muss es sich anfühlen, wenn man seit Tagen nichts mehr getrunken hat, Schlafmangel jemanden in den Wahnsinn treibt oder die Isolation in einer Zelle einem die Sinne nimmt. Derart hektisch bin ich nicht mehr als die makellose Aktionärstochter zu erkennen.

      Ein dicker, kalter Tropfen fällt auf meine Kapuze. Ich hebe dem Himmel das Gesicht entgegen und atme tief ein. Die Luft schmeckt nach Abgasen und Chemikalien, verbranntem Gummi und nassem Asphalt. Normalerweise halte ich mich von ihr fern wie vor der Pest. Sie schadet meinem Teint. In diesem Moment aber scheint sie meine wirren, vernebelten Gedanken zu klären und löst einen Teil der Furcht, die meinen Körper wie ein gespanntes Band vibrieren lässt. Hinter mir tritt Monsieur Depót aus dem Hotel, sofort spannt der Chauffeur einen Regenschirm über seinem Kopf auf, und ich ziehe mir reflexartig die Kapuze tiefer ins Gesicht. Beginne zu rennen. Das ist nicht der richtige Augenblick, um meinen künftigen Geschäftspartner zu verabschieden.

      Ich fühle mich, als würde ich verglühen, wenn ich nicht in Bewegung bleibe und die erfolgreichen, fantastischen letzten Stunden verarbeite. Als würde andererseits die mäßig kontrollierte Freude über meine kleinen Erfolge mich auffressen oder die sich legende Spannung meine Muskeln in Pudding verwandeln.

      Mir bleibt nur zu hoffen, dass Achim tief und fest schläft. Sollte er meine Abwesenheit bemerken, winkt mir ein Donnerwetter, das nicht nur er über mich hereinbrechen lassen wird. Achim ist verpflichtet, meine Verfehlungen an Mutter und Vater weiterzugeben. Beide werden mich unsanft darauf aufmerksam machen, wie gefährlich und leichtsinnig diese Aktion hier ist. Was mir alles hätte zustoßen können. Wie sehr ich meinem Image schade, wenn man mich in diesem Zustand antrifft. Die Presse würde sich überschlagen, die Gerüchteküche brodeln, bis sie meinen perfekten Ruf zerkocht hat und nichts mehr davon übriglässt.

      Ich gehe trotzdem weiter und nehme dieses unkalkulierbare Risiko auf mich, während der prasselnde Regen mich von der Welt abschneidet. Tatsache bleibt, das hier ist meine letzte Chance allein Luft zu schnappen. Freiheit zu kosten, ehe der goldene Käfig sich für immer schließt.

      Ab dem morgigen Tag bin ich offiziell volljährig. Von da an wird ein Skandal schwerer wiegen als je zuvor. Mit meiner jugendlichen Arroganz und Naivität werde ich nie wieder eine Handlung entschuldigen können. Fehltritte darf ich mir nicht leisten. Ruhm hat seinen Preis.

      Die nächtliche Stadt hat nichts Verzauberndes an sich. Sie wirkt stumpf und abweisend. Restlos verlassen. Das rege Treiben des Tages hat sich in den Schatten verloren. Nach und nach sickert die Kälte durch den dünnen Stoff meines Mantels und kein Zimmermädchen ist zur Stelle, das mich in eine schützende Decke hüllt. Kein Butler, der wärmere und bequemere Schuhe für mich bereithält, und niemand, der mir Wärmekissen für meine empfindlichen Finger geben kann. Ich verfluche mich. Aus welchem Grund habe ich alle Vernunft fahren lassen und bin allein auf die Straßen spaziert?

      Wo bin ich überhaupt? Ruckartig bleibe ich stehen und sehe mich um. Tausend Fassaden teurer und mäßig gepflegter Läden schmücken die Straßen, Ampeln wechseln die Farben und Autos rasen an mir vorbei. Wie weit bin ich gelaufen ohne aufzusehen? Wie oft abgebogen? Beißender Wind kriecht mir unter die Kapuze und den Hals hinab, zusammen mit eisigem, nassem Regen. Vorwurfsvoll niese ich. Niemand, der mir ein Taschentuch reicht. Ich habe nicht einmal mein IPhone dabei, um meinen Chauffeur zu kontaktieren. Die Entscheidung allein vor die Tür zu gehen, hat mich in eine Welt gesandt, in der ich mich kaum hilfloser fühlen könnte. Diese Straßen sind nicht die, die ich kenne. Sie sind schmutzig und nur vereinzelt belebt von schlurfenden oder eilenden Gestalten, die dichte Schatten hinter sich herziehen. Neugierige Blicke werden mir von vorbeihastenden Passanten zugeworfen. Sofort ziehe ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Man darf mich nicht erkennen. Der Teufel bricht los, sobald die Presse von meinem Ausflug Wind bekommt. Ich kann mir schon denken, was für Fantasien dann gesponnen werden von heimlichen Affären, Drogenkonsum und zweiten Identitäten. Alles, solange es die Menschen dazu bringt, die bunten Klatschblätter zu kaufen. Kurz ziehe ich es in Betracht, einen Passanten zu fragen, wo ich mich befinde und wie ich zurück in mein Apartment gelange. Ich mache wenige Schritte zurück in den Schutz eines alten Vordaches. Laut prasselt der Regen auf das Metall.

      Niemand dieser Menschen der Nacht wirkt, als würde er sich häufig genug in gehobener Gesellschaft befinden, um mich angemessen anzusprechen und zu betiteln. Ich drehe auf dem Absatz um, sehe hinter mich. Das immer gleiche Bild von Läden und Menschen, die nie zu schlafen scheinen. Einige von ihnen tragen stinkende, fransige Jacken, andere ausgetretene Schuhe, die die längste Zeit weiß gewesen sind. Widerwärtig. Schlagartig verstehe ich, warum Achim diese soziale Schicht meidet und meine Eltern wenig von Wohltätigkeitsgalas halten: An diese Menschen ist jeder Cent verschwendet. Man hat ihnen die Chance geboten, sich nach oben zu arbeiten, und sie schlugen sie aus. Sie haben beschlossen, ihr Leben zwischen kalten Fassaden und stinkenden Straßen zu fristen. Ihre Ambitionen nennt man Feigheit und Faulheit, beides Eigenschaften, die nicht belohnt werden sollten. Und doch tragen die wenigen Menschen beides zur Schau, als wäre es gewöhnlich und annehmbar, zu versagen. Ich rümpfe die Nase und hebe meinen Rock einige Zentimeter an, um ihn nicht mit ihrem Schmutz zu besudeln. Leere Dosen liegen an den Straßenrändern

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