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Zeiten vielleicht als edel bezeichnete, die heutzutage jedoch durch eine Operation begradigt werden sollte. Ihre Oberweite ist zu klein und die Finger zu kurz, die Lippen von Hyaluron gedehnt und die Wangen rot geschminkt.

      Achim tritt ihr destotrotz mit Respekt und Höflichkeit gegenüber, reicht ihr die Hand und lässt sie vor sich knicksen. Ganz der wohlerzogene junge Mann, bietet er ihr ein Glas Champagner an. Sie hat bereits zu viel getrunken, lacht zu laut, und nimmt es trotzdem in die Hand, um viel zu viel auf einmal hinunterzukippen. Sie wirkt ordinär. Es ist ihr Geld, das es ihr ermöglicht, solchen Festen beizuwohnen, nicht ihr Verhalten. Nicht ihr Äußeres. Trotzdem durchfährt mich ein eifersüchtiger Stich. Weil Achims Aufmerksamkeit auf ihr ruht. Nicht auf mir.

      Meine Mutter berührt mich sanft an der Schulter. „Dürfte ich meine Tochter kurz entführen?“, bittet sie mich leise. Ich nicke, spüre die Anwesenheit eines Fotographen und lächle ihm strahlend in die Kamera, ehe ich mein beinahe unberührtes Glas an ihn abtrete und Mutter folge. Immer neue Menschen gratulieren mir zur Volljährigkeit, zu meiner Schönheit, zu meinem Auftreten, während wir uns den Weg in Richtung des Aufzugs bahnen. Manchmal glaube ich fast, Mutter verloren zu haben, aber ihren streng begradigten Rücken in dem smaragdgrünen Kleid erkennt man überall in dieser Gesellschaft wieder. Ihre Haltung gleicht einem Leuchtfeuer der Perfektion. Trotz ihrer schmalen, etwas kleineren Gestalt machen die Menschen ihr Platz, zollen ihr so ihren Respekt, und tun es mir gegenüber gleich. Musste Gioseppe sich mühsam durch die Menge kämpfen, ist es für meine Mutter und mich eine ehrenhafte, gerühmte Aufgabe, unseren Weg zu gehen und die anderen bei Seite treten zu lassen. Der Fahrstuhl wartet geöffnet auf Gäste, die die Festetage verlassen wollen, um zurück in ihre Hotels zu fahren oder sich in einem der oberen Zimmer unseres Towers einzumieten.

      Mutters Absätze klacken laut auf dem Marmorboden des Aufzugs, als sie ihn betritt. Die Türen gleiten flüsternd zu und lassen uns in angemessener Stille zurück.

      3

      Mutter sagt kein Wort, bis wir in ihrem und Vaters Apartment angekommen sind. Die Angestellten grüßt sie nicht, die leise Geigenmusik kommentiert sie nicht, die aus den unsichtbaren Lautsprechern strömt. Kaum schließt sich die Tür klickend hinter uns, zieht sie sich die Schuhe von den Füßen. Ich tue es ihr gleich. Blut schießt stechend zurück in meine Zehen und betäubt sie. Ich wanke. Für einen flüchtigen Augenblick gleichen die kühlen Marmorplatten der hohen See und mein Körper ist dem Toben grausamer Naturgewalten unterworfen. Nur für einen flüchtigen Augenblick. Dann stabilisiert sich meine Wahrnehmung und ich folge Mutter still in den schwach beleuchteten Wohnraum.

      Das Licht strömt weißschimmernd aus den schmalen Streifen, die symmetrisch an den Wänden angebracht wurden. Die Sitzgarnitur wurde locker im Zimmer verteilt, die gläsernen Tische strahlen wie eigene Sterne. Wir werfen matte Schatten, vergänglich, kaum greifbar, während das leise Tapsen unserer Füße das einzige Geräusch auf der weiten Welt zu sein scheint. Die Räumlichkeiten meiner Eltern schließen jedes Wispern des Towers aus. Ausschließlich auf diese Weise ist absolute Konzentration auf die Arbeit möglich – und somit das Minimieren von Fehlern. „Wie geht es dir?“, fragt Mutter mich ruhig, sobald wir Platz genommen haben. Die weichen Polster des cremefarbenen Sofas schmiegen sich an meinen Körper und heben mich in den Himmel. Ich spitze die Lippen. Ein ungewohnter Beginn für ein Gespräch mit ihr. Für gewöhnlich gibt es wenig, was irrelevanter ist als meine Gefühlslage. Ob ich glücklich bin oder nicht. Was zählt, sind die zufriedenstellenden Ergebnisse, ganz gleich welche Emotionen sie formten.

      Nahezu unsicher hebe ich die Schultern. Eine winzige, unangebrachte Bewegung. Am runden Tisch würden sich die Verhandlungspartner darauf stürzen wie Löwen sich auf ihre Beute. „Sehr gut”, antworte ich, die Stimme gelassen. „Das Fest ist berauschend und Monsieur Depóts Angebot mehr als ich mir erhofft habe.“ Mutter nickt und lässt sich gegen die verglaste Wand sinken. Mit einer knappen, präzisen Bewegung entfernt sie eine der goldenen Haarnadeln aus ihrer makellosen Frisur. Dicke Strähnen fallen ihr in das Dekolleté. Sie betonen auf beinahe ordinäre Weise, was Mutter zu bieten hat. „Der Champagner floss in Strömen”, merkt sie an. „Keine Schwindelgefühle? Blackouts?“ Pikiert spitze ich die Lippen. Eine Frage um mein Befinden bleibt eine Falle, in die ich willig tappe. „Mein Alkoholkonsum hielt sich in Grenzen. Danke der Nachfrage.“ Mutter klatscht zwei Mal in die Hände und der Kamin an der gegenüberliegenden Wand beginnt lichterloh zu brennen. Die knisternde, entspannende Wärme wallt uns entgegen und lässt mich erschaudern. Schon fast gegen meinen Willen schließe ich die Augen und genieße die Hitze auf meiner Haut. Hinter geschlossenen Lidern tanzen Gespenster atemberaubende Reigen, schmiegen sich aneinander. Wie viel würde ich dafür geben, Achim so innig in der Öffentlichkeit berühren zu dürfen wie Schatten und Licht es tun. Seine Nähe so intensiv spüren zu dürfen wie die warme Berührung des Feuers.

      „Es ist schön zu beobachten, wie sehr es dich freut, wieder bei deinem Verlobten sein zu können“, sagt Mutter ruhig. Ich nicke matt und lehne mich tiefer in die weichen Polster. Sie scheinen mir ein Gutenachtlied zu singen, untermalt von dem sanften Knistern des Feuers. Nur noch wenige Stunden, dann befindet sich Achim auf der nächsten Reise, immer dem Geld hinterher. Wir sehen uns voraussichtlich wieder, sobald Monsieur Depót zu Verhandlungen einlädt. Wieder werden Berührungen untersagt sein. Ein herzliches Lächeln, ein gestohlener Kuss? Nichts weiter als kühne Träume in einer müden Nacht. Ich kann es kaum erwarten, Achim das Jawort zu geben. Von da an wird sich unser Leben ändern. Das kokette Versteckspiel findet ein Ende, die Presse zerreißt unsere Küsse nicht mehr in der Luft und die Gesellschaft erkennt eine Umarmung als Selbstverständlichkeit an. Ich zähle die Tage bis zu diesem magischen Moment. Diesen Moment, in dem ich zu jemandem gehöre, der mich abgöttisch liebt und meine Meinung achtet.

      „Wie laufen die Hochzeitsvorbereitungen?“ Erwartungsvoll sehe ich Mutter an. Sie wollte dieses Projekt an eine Planerin übergeben, die Mutter in regelmäßigen Abständen über Fortschritte informiert. Erste Skizzen des Hochzeitskleides ruhen in der obersten Schublade meines Schreibtisches. Es wird mehr sein als nur ein Traum in Weiß. Ich sehe die Schlagzeilen und Artikel vor mir, ein großes Bild von mir an Achims Seite, wie er den Arm um meine Hüfte geschlungen hat und mich vor aller Augen küsst, ohne dass wir uns den Kopf über Klatsch und Tratsch zerbrechen müssen. Er wird mir einen neuen Ring anstecken, einen, der noch schöner und kostbarer ist als dieser hier, und mir das Versprechen geben, dass ich von nun an immer an seiner Seite sein darf. Dass ich seine Gesellschaft nie wieder werde missen müssen. Dass er mich bis an das Ende unserer Tage bedingungslos liebt.

      „Die Vorbereitungen laufen tadellos.“ Mutter schlägt die Beine übereinander und blickt auf die nächtliche Stadt hinab. Gelbe, rote, blaue Lichter werden auf ihr ebenmäßiges Gesicht gemalt. „Die Feier wird diese hier in den Schatten stellen und wie geplant stattfinden.“ Das bedeutet in gut einem Monat. Allein bei dem Gedanken an das nahe Datum beginnt mein Herz zu rasen und die Röte schießt mir in die Wangen. Nach diesem Tag müssen Achim und ich uns nie wieder die gesamte Nacht lang vor der Festgemeinschaft verstecken. Obwohl ohnehin jeder weiß, dass es sein Verlobungsring ist, der an meinem Ringfinger mit dem Collier um die Wette glitzert. „Kannst du mir sagen, was genau passieren soll? Wer wird auf der Gästeliste stehen?“ Aufgeregt lehne ich mich näher zu Mutter. „Wie viele Blumenmädchen werden für mich organisiert werden? Feiern wir tatsächlich in Europa?“ Mama legt eine Hand auf meine und drückt meine Finger. Eine Geste voller Zuneigung. Das kostbarste Geschenk von allen. „Sieh es als eine Überraschung an, mein Kind.“ Kurz zögert Mutter. „Die nahenden Feierlichkeiten waren nicht das, worüber ich in der heutigen Nacht mit dir sprechen wollte.“

      Ich seufze leise und starre in die zuckenden Flammen des Kamins. Das war mir bewusst. Meine Hochzeit ist nur ein Randevent für meine Mutter. Mag die Presse sie auch für das Ereignis des Jahrzehnts halten, bleibt sie für meine Familie ein weiterer gewöhnlicher Festakt. Viele Worte darüber zu verlieren, ist sowohl für Vater als auch für Mutter verschwendeter Atem. Anstatt sie nach dem eigentlich angestrebten Thema zu fragen, schließe ich die Augen und genieße den Nebel des Alkohols in meinem Kopf. Er macht meine Glieder schwer und lässt mich gegen das Verlangen ankämpfen, mich tief in das Polster der Couch zu schmiegen, die Füße auf Mutters Schoß, und die Müdigkeit mit offenen Armen willkommen zu heißen. Die Uhr neben dem Kamin schlägt elf.

      Noch

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