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annahm und von der sie wusste, dass diese Gabe nicht mehr für sie, sondern nur noch für den Geber eine Bedeutung hatte.

      Wenn ich an die kurze Begegnung mit der alten Frau zurückdenke, dann wird mir bewusst, wie gut mir dies damals getan hat, nach langer Zeit mal wieder etwas zu geben. Aber dieses Glücksgefühl wurde nicht durch die Gabe dieser paar Rupien erzeugt, sondern kam unmittelbar von dieser bettelarmen Frau, die offensichtlich nichts mehr wollte und doch meine Gabe annahm. Vielleicht aus Mitleid, vielleicht ahnte sie, dass ich schon lange niemandem mehr etwas gegeben hatte. Und dass sie nun zum letzten Male in ihrem Leben jemandem einen Gefallen tat.

       Sonja Dohrmann

       Manege frei

      In einer Wolldecke eingekuschelt hockt Tabea in der Ecke. Die Heizung ist mal wieder defekt. Ihr Mann kümmert sich nicht mehr um solch profane Dinge, er arbeitet nun ganz intensiv an einer neuen Nummer. Natürlich mit der kleinen biegsamen Italienerin. Die beiden werden die Zuschauer sicher in Erregung versetzen. So wie auch sie es früher zusammen mit ihrem Mann geschafft hat. Das Publikum ist ihr, wie man der vielen Fanpost entnehmen kann, bis heute treu geblieben, aber nicht ihr Mann. Und die letzte Ehekrise hat dazu geführt, dass gemeinsame Auftritte abgesagt werden mussten. "Zu gefährlich!", hat der Direktor bestimmt. Selbst ihre Solonummer ist gestrichen worden, nachdem zu viele Fehler vorgekommen sind.

      Tabea friert ein bisschen und lässt dennoch ihren Blick ruhig durch den überschaubaren Raum schweifen, ohne sich etwas Wärmendes anzuziehen. Auf dem Plakat an der Schranktür in ihrem kleinen Reich, in ihrem Wohnwagen, steht in großen, fetten Lettern:

       Zirkus Mondelli zeigt

       die sensationelle Weltneuheit!

       Tabea Mondelli schlägt einen

       6-fachen Salto am Schleuderbrett!

       Eine derart spektakuläre Darbietung konnten

       selbst Olympia-Turner bislang nicht bringen.

      Darunter stehen ehemalige Auftrittstermine in mehreren Kleinstädten, an die Tabea sich trotz Nachdenkens nicht mehr erinnern kann. Links und rechts neben der Anpreisung dieser einzigartigen Weltneuheit sind zwei Fotos zu sehen. Das eine zeigt Tabeas Gesicht in strahlender Schönheit und das andere hat den tollkühnen Salto in einem faszinierenden Moment eingefangen. Neben dem Salto an sich ist auch das Foto selbst bewundernswert.

      Tabea hat jahrelang auf diese Nummer hingearbeitet, sie ausgefeilt und sich zu Höchstleitungen angetrieben, schwere Stürze in Kauf genommen und sich von ebensolchen wieder erholt. Das alles ist längst vergessen, sie hat die Schinderei selbstverständlich und gern in Kauf genommen. Sie ist seit ihrer Hochzeit schließlich eine Mondelli! Und Mondellis sind hart im Nehmen. Dank dieser Härte hat sie es dann Saison für Saison geschafft, den sechsfachen Salto zu schlagen. Diesen Salto hat vor ein paar Jahren sogar ein Scout des Internationalen Zirkusfestivals Monte Carlo begutachtet. Bloß für eine Teilnahme im Chapiteau des Grimaldi-Reiches hat es damals nicht gereicht, was eindeutig an der zu wenig ausgefeilten Choreografie und nicht am Salto gelegen hat. Und für die einzelnen Bewegungsabläufe ist ihr Mann zuständig gewesen.

      Doch das alles ist nun passé. Tabea betrachtet ihr paillettenbesticktes Leotard, das auch am Schrank auf einem Bügel hängt. Erinnerungen an wunderbare Auftritte ziehen vorbei. Schnell steht sie auf. Soll sie sich die angebrochene Weißweinflasche aus dem Kühlschrank holen? Soll sie sich ein kleines Gläschen gönnen? Doch wo ist…? Sie hockt sich wieder hin. Es ist kalt.

      Ein Leben lang hat sie sich dem Zirkus verschrieben und untergeordnet – zuerst bei ihren Eltern, später bei den Mondellis. Sie glaubte als junge Frau noch naiv an die einzige und ewige Liebe, musste allerdings mit der Zeit erkennen, dass unter der Zirkuskuppel andere Gefahren als nur Stürze lauerten. Ihre Verletzungen im Herzen waren und sind weitaus schlimmer als alle Schürfwunden oder Stürze zusammen. Sie verheilen einfach nicht. Mit der Zeit musste sie erkennen, dass sowohl Liebe als auch Rache mit einer lodernden Flamme brennen kann. Unterschiedlichste Rachegedanken sind Tabea in den Sinn gekommen.

      Am heutigen Abend will sie einen Schlussstrich ziehen, will ihre Gedanken in die Tat umsetzen. In der Abendvorstellung… ja, in der Abendvorstellung will sie… Tabea wird plötzlich müde, sehr müde, dennoch fantasiert sie weiter. Entweder sie erschießt mit ihrer Armbrust, die früher zu ihrer zweiten Aufsehen erregenden Nummer gehörte, die Italienerin oder sie schneidet deren Longe an. Oder sie manipuliert die Befestigungsstangen am Trapez, damit ihr Mann…

      Von sehr fern hört sie den Zirkusdirektor fröhlich die Abendgäste begrüßen: "Hereinspaziert, meine Damen und Herren, hallo liebe Kinder, hallo Groß und Klein – gleich fängt die Show an, gleich geht es los."

      Im Hintergrund kann man schon die Musik der Kapelle vernehmen und immer wieder den Zirkusdirektor mit seinem freudigen: "Los, los! – Manege frei!"

      "Los, los! - Manne, geh ´nei!"

      "Immer ich. Na gut, aber morgen bist du auch mal dran." Der junge Mann gibt sich einen Ruck.

      "Hallo! Hallo Frau Mondelli, ich bin´s, der Manne. Kommen Sie da mal aus der Ecke raus. Warum hocken Sie denn in der Toilette. Sie haben ja nur Unterwäsche an, das ist doch viel zu kalt. Ist das Ihre Wolldecke oder gehört die in den Fernsehraum?"

      Der Pfleger führt Tabea zurück in ihr Zimmer.

      "Am Nachmittag kommt ihr Mann zu Besuch. Er ist mit seinem Zirkus in der Stadt und hat extra angerufen, dass er vorbeischauen wird. Da müssen wir Sie doch hübsch machen. Außerdem haben Sie Ihre Tabletten schon wieder nicht genommen. So geht das nicht, Frau Mondelli! Hallo, hören Sie mich? Hallo? Sie sind wirklich nicht artig, Frau Mondelli!"

       Chiara Blum

       Erstes immer mehr werden

      Es klingt nach Flügel und Fliegen

      Nach Noten und Tönen

      Nach Wahrheit und Liebe

      Nach Wärme und Leidenschaft

      Nach Feuer und Flamme

      Dein Duft hängt an mir

      Klebt mich an dich

      Jeder riecht es

      Das Gespräch tönt noch

      Zum Glück angerufen

      Sonst hätte ich mich abgewendet

      So versessen in der Angst

      Dass vergessen was wir waren

      Küsse auf meiner Haut nicht dein Streben

      Klamm werde ich betteln und beben

      Du nicht einmal streben

      Willst du mich überhaupt?

      Wie so kalt…

      Wie eintönig ich mir klinge

      Wenn die Melodie mir geraubt

      Wann hörst du mich wieder

      Wann schmecke ich dein Lachen auf meinen Lippen

      Wann deinen Geist auf meinem Gesicht

      Ich will dich

      Wirklich

       Thyra Thorn

       Bockfieber

      Hubert und Emilie sind seit über dreißig Jahren ein Paar. Emilie widmet ihr Leben der Familie, dem Herrn Pfarrer und dem täglichen Dorftratsch. Hubert ist Buchhalter, meidet seine Frau und geht lieber in den Wald, besser gesagt, wann immer er von seinem Freund Erich, dem Revierpächter eingeladen wird, auf die Jagd. Die frische Luft tut ihm gut und eine archaische Lust am Töten flammt auf.

      Zurzeit gibt es viel Waidwerk im Wald, beziehungsweise auf den angrenzenden Feldern, die immer wieder von großen Wildschweinrotten

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