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4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018. Christoph-Maria Liegener
Читать онлайн.Название 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018
Год выпуска 0
isbn 9783746992471
Автор произведения Christoph-Maria Liegener
Жанр Зарубежные стихи
Издательство Readbox publishing GmbH
Stattdessen schüttete ich den Kaffee weg, machte mir einen Neuen und spuckte kommentarlos in ihre Tasse. Mein Ziel war erreicht, sie rastete vollkommen aus. Zurecht. Aber das war egal, endlich konnte ich mich streiten. Sie sprach danach eine geschlagene Woche kein einziges Wort mit mir. Das war die Höchststrafe, schließlich konnte man verbal besser wüten als nonverbal.
Vor einigen Jahren bekam ich Hausverbot in der örtlichen Filiale einer amerikanischen Fast-Food-Kette. Der Kassierer hatte mir einen Burger zu wenig in die Tüte getan. Das bedurfte einer sofortigen Klärung. Ich drängelte mich durch die nahezu endlose Warteschlange und wies ihn unsanft auf seinen Fehler hin. Der Lump bezichtigte mich doch tatsächlich, einen Burger entnommen zu haben und unberechtigterweise zu reklamieren. Zu viel. Viel zu viel. Sein Nasenbein lernte die Kasse näher kennen und ich für meinen Teil die Türsteher. Ich hasse Schlägereien, aber in manchen Fällen sind sie unvermeidbar. In fast allen Fällen, um genau zu sein.
Eigentlich bin ich in Therapie wegen diesen Ausbrüchen. Es war ein Zugeständnis an meine Mutter, meine einzige und ewige Hassliebe. Ich musste es versprechen, nachdem ich ihrer Bitte, die Wäsche zu machen, Folge leistete und den gesamten Wäscheberg mitsamt Wäschekorb an der gegenüberliegenden Autobahnbrücke entsorgte. Damals war ich minderjährig und Mama musste haften. Es war ein teurer Spaß, aber ein gelungener. Seither habe ich nie wieder Taschengeld bekommen, wurde aber auch nie wieder darum gebeten, die Wäsche zu verrichten.
Die Therapie selbst läuft jetzt schon seit Jahren und ich habe Fortschritte gemacht. Bisher musste ich trotz einiger Anklagen noch nicht ins Gefängnis, was in meinen Augen ein kleiner Achtungserfolg ist. Schließlich bin ich bereits Mitte zwanzig. Skill-Training ist in meinem Fall das A und O der Hilfemaßnahmen. Ergänzend gab es Pillen, die sind aber abgesetzt. Bewusst ausgeschlichen, von heute auf morgen. Die Therapeutin ist nett und das hält mich davon ab, mir schlimme Dinge vorzustellen, die ich ihr antun könnte. Ich glaube, ich bin verliebt.
Noch immer klebe ich an der Scheibe der Haltestelle. Eine Traube von Menschen hat sich um mich gebildet. Alle Augen sind auf mich gerichtet, starren mich besorgt an. Aus sämtlichen Richtungen werden dieselben Fragen gestellt. Ja, es geht mir gut. Nein, ich benötige keine Hilfe. Schließlich habe ich mein Skill-Training.
Der Schweiß rinnt meinen Hals hinab, ich spüre das Kitzeln der einzelnen Tropfen. Ich lächle. Dann schreie ich. Ein lauter, tiefer Urschrei, auf den ganz Schottland stolz gewesen wäre. Vielleicht haben die Schotten ihn gehört. Ich lasse mich auf den Boden sinken und merke, wie meine Atmung sich langsam wieder normalisiert.
Mona Ullrich
Ein Zauberlied
Er ist früh gestorben, sonst könnte ich jetzt mit ihm sprechen. Ich würde gerne seine Meinung hören zu einem Erlebnis, das ich ihm verdanke.
Jimi Hendrix war mein Verbündeter, als ich meine ersten ernsthaften Gedichte schrieb. In den Schreibpausen setzte ich mich in meinen Korbstuhl und rauchte, und dabei hörte ich diese eigenartige, sehr starke Musik. Ich wollte mit meinen Gedichten etwas Neues und auch Starkes schaffen. Ich grub den Boden auf, den andere hinterlassen und festgetreten hatten und auf dem ich nicht stehenbleiben wollte. Ich ließ nichts Bestehendes übrig und baute aus den Überresten etwas Eigenes auf. So hatte es der schwarze Musiker auch gemacht.
Bei dieser Vorgehensweise ist am Ende nicht mehr erkennbar, was alles verworfen oder zerstört worden ist, denn die Künstlerin oder der Künstler haben etwas Eigenes an seine Stelle gesetzt und können jetzt bescheiden auftreten. Jimi Hendrix war sehr bescheiden.
Das Übernatürliche kam dann mit seiner Musik unauffällig, fast heimlich in mein Leben. Es war der Hintergrund einer sonderbaren Queste.
Ich hatte festgestellt, dass in unserer Wohnung jemand umging, und anstatt davonzulaufen wollte ich helfen. Ich dachte, es müsse dem Geist langweilig werden in der Stille und Abgeschiedenheit, die ich zum Arbeiten brauchte. Und ich erkannte in diesem Geist jemanden, der in seinem Leben Böses getan und einen schlimmen Namen hinterlassen hatte.
Was war da zu helfen? So überlegte ich bei dieser eindringlichen und erhebenden Musik, die nichts Herkömmliches und Langweiliges duldete.
Ich konnte das verpfuschte Leben nicht reparieren, aber ich konnte dem Toten vielleicht helfen, auf der anderen Seite der Wirklichkeit Ruhe zu finden. Konnte er erlöst werden?
Hätte ich mich das ohne Jimi Hendrix gefragt? In seinen Liedern gab es keinen Alltag, sondern Wunder. Voodoo war möglich in seiner Welt. Sie war voller anziehender Zauber.
Ich hatte ein gutes Leben. Ich wohnte in einem schönen Haus in einer schönen Berliner Gegend und war selber jung und schön. Ich ging morgens mit meinem geliebten Mann in den Alleen unseres Viertels spazieren und setzte mich dann an meinen Schreibtisch. Meine Arbeit war mein Lebensinhalt, meine Freude und meine Gabe an die Welt. Ich hätte mit niemandem tauschen mögen.
Aber der Tote konnte in dieser Umgebung nicht bleiben. Ihm blieb da nur meine Musik. Wo in Berlin konnte ich das Nötige für ihn tun?
Ich lernte Zauberei, so wie ich auch beim Schreiben gelernt hatte, auf meine Eingebungen zu achten. Ich erfand hilfreiche Sprüche und eine eigene Sprache für den Umgang mit der Unterwelt. Ich passte auf mich selber auf, damit mir nichts Unheilvolles bei meiner Queste geschah. Ich wurde fromm und bat Gott um Beistand.
Und all das ohne Bedenken. So viel Mut hatte ich und verdankte ich einer Musik, die alles zuließ und ermöglichte, nur das Mittelmäßige nicht.
Ich dachte an eine Reise, an einen grünen und belebenden Ort. Ich entschied mich für Worms, eine sehr alte und nicht sehr große Stadt, in der ich aufgewachsen war. Dort kannte ich mich aus, dort wusste ich hoffentlich weiter.
Kein Gott und kein Freund konnten mit diesem Plan einverstanden sein. Ich wollte mich also von meinem guten Leben verabschieden wegen einer Reise mit ungewisser Dauer, ungewissem Ende und einem unberechenbaren und unheimlichen Begleiter, der auch noch unsichtbar war?
Das war verrückt, aber Jimi Hendrix ließ es machbar und sinnvoll erscheinen. Sein Lied „Hear my train a comin’“ prägte mir sachte und doch überzeugend den Gedanken an diese verrückte Reise ein. Ich hörte es immer wieder. Ich dachte an den Zug, den ich selbst besteigen musste, wenn ich Berlin verlassen wollte. Ich dachte nicht an den Abschied von allem, was ich liebte. Ich hörte den Zug, wieder und wieder.
Niemand ist so stark, dass ihn oder sie die Musik nicht berühren könnte. Musik ist bewegende Macht, ihr Macher ein Magier.
Und Jimi hätte mein Vorhaben nicht abgelehnt. Er hatte ja selber kein gewöhnliches Leben und keinen gewöhnlichen Tod gehabt.
Es folgten die Wochen der Queste. Davon erzähle ich hier nicht. Sie kostete mich jedenfalls mein Geld und meine Gesundheit. Ich erlebte ungeheure Anstrengungen und Herausforderungen, auch Rückschläge. Ich kam Gott so nah wie noch nie. Ich merkte nicht einmal mehr, wie außergewöhnlich mein Leben geworden war, weil ich kaum Zeit und Kraft hatte, mich zu besinnen. Da brauchte ich den schwarzen Zauberer nicht mehr.
Es gelang mir schließlich, die selbstgewählte Pflicht zu erledigen und mich zurück in mein altes Leben zu retten.
Es gab während der Reise doch einen Augenblick des Innehaltens. Da stand ich an einem Fenster und sah auf Hausdächer, Bäume und einen bewölkten herbstlichen Himmel hinaus. Und fühlte erschüttert die Ferne, die von meiner Pflicht fürchterlich ausgedehnte Ferne meines Mannes und meines Zuhauses in Berlin. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich schauderte. Wo war der „train“ für den Rückweg? Wann würde ich wieder in meinem alten Leben ankommen?
Jimi Hendrix zeigte den Weg, aber das Ziel kannte er wahrscheinlich selber nicht. Ich wäre kaputtgegangen, wenn ich es nicht doch noch gefunden