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ist zu lesen, die Philosophie sei die Lehre von den allgemeinsten Wahrheiten und den letzten Gründen.3 Was die allgemeinsten Wahrheiten betrifft, so lassen sich die diesbezüglichen philosophischen Bemühungen am besten dadurch charakterisieren, dass man sie in ein Verhältnis zu den Einzelwissenschaften setzt:

      Wenn man nämlich in einer Spezialwissenschaft irgendeine Erkenntnis gewonnen hat, und wenn nun der forschende Geist noch weiter fragt nach den Gründen dieser Gründe, also nach den allgemeineren Wahrheiten, aus denen jene Erkenntnis abgeleitet werden kann, so gelangt er bald an einen Punkt, wo er mit den Mitteln seiner Einzelwissenschaft nicht mehr weiter kommt, sondern von einer allgemeineren umfassenderen Disziplin Aufklärung erhoffen muß. Es bilden nämlich die Wissenschaften gleichsam ein ineinander geschachteltes System, in welchem die allgemeinere immer die speziellere umschließt und begründet. So behandelt die Chemie nur einen begrenzten Teil der Naturerscheinungen, die Physik aber umfaßt sie alle; an sie also muß sich der Chemiker wenden, wenn er seine fundamentalsten Gesetzmäßigkeiten, etwa die des periodischen Systems der Elemente, der Valenz usw. zu begründen unternimmt. Und das letzte, allgemeinste Gebiet, in welches alle immer weiter vordringenden Erklärungsprozesse schließlich münden müssen, ist das Reich der Philosophie […]. Denn die letzten Grundbegriffe der allgemeinsten Wissenschaften - man denke etwa an den Begriff des Bewusstseins in der Psychologie, an den des Axioms und der Zahl in der Mathematik, an Raum und Zeit in der Physik – gestatten zuletzt nur noch eine philosophische […] Aufklärung.4

      Was wiederum die letzten Gründe betrifft, so könnte man sagen, dass die Philosophie diejenige Disziplin ist, die einen Erkenntnisabschluss zu gewinnen sucht, und zwar durch die Angabe eben letzter Gründe. Ein letzter Grund ist dabei einer, der selbst keiner Begründung mehr bedarf. Der Erkenntnisprozess soll so auf ein letztgültiges Erkenntnisfundament zurückgeführt werden.

      Tatsächlich ist die Frage nach dem Wesen der Philosophie so alt wie die Philosophie selbst und die Diskussionen, ob der richtigen Antwort, sind nach wie vor lebendig. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die Philosophie, im Unterschied zu den zahlreichen einzelwissenschaftlichen Disziplinen, keinen streng abgegrenzten Gegenstandsbereich hat. Der Grund dafür: In bestimmter Hinsicht kann alles Gegenstand philosophischer Betrachtung sein. Nicht nur Seiendes, sondern auch Nicht-Seiendes, nicht nur bestehende Sachverhalte, sondern auch bloß mögliche Sachverhalte und sogar Unmögliches, also unmögliche Sachverhalte, etwa widersprüchliche Gegenstände wie z. B. runde Vierecke. Manche Philosophen halten es daher für unmöglich eine Definition von Philosophie nach dem Muster ›Philosophie ist die Lehre von …‹ geben zu wollen, denn die Antwort auf die Frage, was Philosophie ist und sein kann, variiert schließlich auch noch mit den philosophischen Schulen und Standpunkten. Es gibt, kurz gesagt, beinahe so viele Antworten auf diese Frage, wie es philosophische Schulen und Standpunkte gibt. Allein z. B. die Vertreter der Analytischen Philosophie werden die Frage nach ihrem Wesen ganz anders beantworten als die Vertreter der Kontinentalen Philosophie.5 Endlich ist sogar umstritten, ob die Philosophie überhaupt eine Lehre ist oder nicht vielmehr eine Art wissenschaftlicher Tätigkeit, etwa die Tätigkeit der Analyse von Sätzen und Satz-Systemen. Zielführender könnte es daher sein, die Philosophie nach ihrem genuinen Problemfeld zu bestimmen. Denn trotz des unklaren Gegenstandsbereichs, sowie der unterschiedlichen Schulen und Standpunkte, gibt es ein Feld von Fragen und Problemen, mit dem sich die Philosophie seit der Antike beschäftigt, und wodurch darüber hinaus auch eine zumindest teilweise Abgrenzung von den Einzelwissenschaften möglich wird. Es handelt sich um Fragen und Probleme von ganz grundlegender Art, die normalerweise von keiner Einzelwissenschaft behandelt werden und über den Bereich dessen, was die Einzelwissenschaften untersuchen hinausgehen. Während alle Einzelwissenschaften nach bestimmten Erkenntnissen oder, allgemein gesagt, nach Wahrheit suchen, will der Philosoph6 wissen, wie Erkenntnis überhaupt möglich ist, welche Arten von Erkenntnissen es gibt und wie die Ausdrücke ›Erkenntnis‹ und ›Wahrheit‹ exakt zu definieren sind. Ein Mathematiker wiederum will das Verhältnis der Zahlen untereinander erforschen, doch ein Philosoph wird fragen: Was ist eine Zahl? Einen Psychologen interessiert die Tatsache, dass unsere psychische Verfassung unsere körperliche Verfassung beeinflusst und umgekehrt, doch dem Philosophen stellt sich die Frage, wie es überhaupt eine Beziehung zwischen körperlichen und geistigen Zuständen geben und wie man eine solche Beziehung erklären kann. Ein Physiker will wissen, woraus das körperliche besteht „und was für die Schwerkraft verantwortlich ist, doch ein Philosoph wird fragen, woher wir wissen können, dass es außerhalb unseres eigenen Bewusstseins etwas gibt“7. Und endlich mag ein Historiker fragen, „was in einem bestimmten Zeitraum der Vergangenheit geschah, doch ein Philosoph wird fragen: Was ist die Zeit?“8 Das Hauptanliegen der Philosophie besteht demnach darin, sehr allgemeine Vorstellungen über die Wirklichkeit, einzelne Aspekte wie diese insgesamt betreffend, infrage zu stellen, zu durchdringen und zu verstehen.

      Ein Verstehen allerdings, das man durch bloßes Nachdenken zu erlangen sucht, denn anders als die meisten Wissenschaften geht die Philosophie nicht empirisch vor. Wie hat es Arthur Schopenhauer einst auf den Punkt gebracht: „Das ganze Wesen der Welt abstrakt, allgemein und deutlich in Begriffen zu wiederholen und es so als reflektiertes Abbild […] der Vernunft niederzulegen: Dieses und nichts anderes ist Philosophie.“9 Das Abbild, von dem hier die Rede ist, ist Theorie. Eine logisch organisierte, mithin nach Grund und Folge geordnete, rationale Weltanschauung. Ein widerspruchsfreies System von Aussagesätzen, das uns darüber Auskunft gibt, was in ganz allgemeiner Hinsicht der Fall ist und was nicht. Somit ist aber auch klar, worum es in der Philosophie nicht geht: Es geht nicht darum zu handeln, in den Lauf der Dinge einzugreifen, ihm eine andere Richtung zu geben. Ein Umstand, der womöglich Karl Marx zu seinem berühmten Satz veranlasst hat: „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“10 In der Tat: Die Veränderung der Welt ist nicht das Geschäft der Philosophie. Vernünftigerweise! Denn Theorie und Praxis sind ganz verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit Welt und Mensch. Sie haben streng genommen nichts gemeinsam. Es fehlt nämlich ein logisch einwandfreier Übergang vom einen zum anderen. Und noch aus einem zweiten Grund hat die Philosophie im Reich der Praxis nichts zu suchen: Während es im Handeln über weite Strecken um die Lösung anstehender Probleme geht, mögen es triviale oder schwierige sein, geht es in der Philosophie darum, sie überhaupt erst in ihrer Tiefe zu durchmessen. Fortschritt in der Philosophie bedeutet zumeist nicht die Lösung, sondern die Klärung von Problemen.

      An dieser Stelle sei uns ein Exkurs zum soeben eingeführten Begriff der Theorie erlaubt, denn die Rede von Theorien wird uns fortan begleiten: Wenn wir im Alltag vom Ausdruck ›Theorie‹ gebrauch machen, dann tun wir dies auf ganz andere Weise, als es in der Philosophie der Fall ist. Theorien werden von vielen für etwas Unsicheres und Vorläufiges, ja in manchen Fällen sogar für etwas Unnützes gehalten – im Gegensatz zur Praxis. Diese gilt ihnen gemeinhin als unbezweifelbare Instanz, als Maß, an dem sich die Dinge zu messen haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir im Alltag nur über einen unzureichend genauen Theoriebegriff verfügen. Theorien im philosophischen Sinn sind, wie oben bereits gesagt, Satz-Systeme, die aus einer endlichen Menge von wahren Aussagesätzen bestehen und die einen Gegenstandsbereich nach Grund und Folge ordnen. Sie genügen strengen wissenschaftstheoretischen und formal-logischen Anforderungen und wir sind damit im Stande, einen bestimmten Ausschnitt der Welt umfassend und genau zu erklären. Alles andere sind keine Theorien. Manche Wissenschaftler, und nicht nur Philosophen, sind davon überzeugt, dass die Hervorbringung einer Theorie in diesem Sinn, zu den größten Leistungen menschlicher Geistestätigkeit zählt. Ob alle wissenschaftlichen Satz-Systeme, die als Theorien bezeichnet werden, tatsächlich auch Theorien sind, ist zwar fraglich, dass aber jedenfalls nichts von dem, was für gewöhnlich in der Alltagssprache und bisweilen auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen mit dem Ausdruck ›Theorie‹ bezeichnet wird, tatsächlich eine Theorie ist, das sollte, zumindest in Ansätzen, schon jetzt einsichtig sein. Wenn man also beispielsweise sagt, der Detektiv habe eine Theorie, wenn er mutmaßt, dass der Gärtner der Mörder ist, dann ist das Unsinn.

      Kehren wir zurück zum Thema: Obschon auch die Grenzziehung zwischen philosophischen und einzelwissenschaftlichen Problemen unscharf ist

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