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Zumal das Kenntnis- und Differenzierungsniveau gerade der jüngeren, noch um ihre akademische Karriere kämpfenden Garden, auf den ersten Blick geradezu atemberaubend anmutet.28

      Doch genau daran krankt die deutschsprachige Philosophie; an ihrer Hyperspezialisierung und radikalen Verwissenschaftlichung; daran, dass die Philosophen weder Mut noch Möglichkeit haben ganze Bücher zu schreiben, sondern sich dem Konformitäts- und Normierungsdruck des Wissenschaftsapparats beugen, um in hoher Schlagzahl in angesagten Fachzeitschriften aufzuscheinen; und schließlich daran, dass sie sich der Peer-Review-Logik ausgelaugter Forschungsprogramme ausliefern, anstatt lebendig, frei und beseelt vom Neuen zu philosophieren. Sie vermögen es nicht mehr echte Akzente zu setzen oder gar echte Aufbrüche im Denken anzuzetteln. Niemand hat noch ein Interesse an ihren hyperspezialisierten Texten – am Ende nicht einmal sie selbst; und die akademische Philosophie liefert keine Antworten auf die wirklich großen Fragen der Zeit, sondern verheddert sich stattdessen, im Kampf um Legitimation, in der Anbiederung an die Einzelwissenschaften. Die deutschsprachige Philosophie ist in einem desolaten Zustand, und erlebt in der Gegenwart ihren geschichtlich schwächsten Moment.

      Von innerhalb der Fakultätsmauern gesehen, zeigt sich naturgemäß ein anderes Bild: Von einer allgemeinen Hoffnungslosigkeit oder gar stillen Verzweiflung der akademischen Philosophie ist nichts zu spüren. Was also ist gemeint, wenn von einem desolaten Zustand die Rede ist? Vermutlich, dass die gegenwärtigen Philosophen nicht mehr denselben Einfluss in der Philosophie haben, den sie einmal zu Zeiten von Heidegger oder Cassirer hatten und den nur noch wenige hochbetagte Granden, wie etwa Jürgen Habermas, haben. „Nun es ist wahr, dass der Einfluss der deutschsprachigen Philosophie auf die Weltphilosophie gegenüber den frühen Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts gesunken ist. Doch gerade jetzt blüht sie […] wieder wie lange nicht.“29 Man darf nicht vergessen, dass es zumeist einen bestimmten zeitlichen Abstand braucht, um die Größe philosophischer Bemühungen richtig einzuschätzen. „Auch der Vater der Analytischen Philosophie, Gottlob Frege, war in Deutschland zu Lebzeiten ein fast Unbekannter. Seine Bedeutung musste erst durch Russell und Wittgenstein entdeckt werden, bevor die Deutschen im Nachkriegsdeutschland auf ihn aufmerksam wurden. Wie dem auch sei, von Müdigkeit oder Trostlosigkeit ist die Arbeit deutscher Philosophen weit entfernt.“30 Ein Befund, der einem bestimmten Bild von Philosophie geschuldet ist, demzufolge die Philosophie nur dann eine Blütezeit erlebt, wenn Philosophen eine charismatische Strahlkraft weit über die Grenzen ihres Faches entfalten und wenn sie die althergebrachten Denkmuster anarchisch durchbrechen oder schlicht Neues denken.

      Eigentlich aber sollte es der Philosophie nicht um Originalität, Wirkung und Denkanregungen als Selbstzweck gehen. Denn der Philosoph ist kein Künstler oder Anarchist. Er sucht behutsam, sorgfältig und diszipliniert nach der Wahrheit. Wahrheit ist aber nicht immer spektakulär, sie ist manchmal auch langweilig und unaufregend. Der Philosoph sollte dabei niemals nur Einsichten wie Offenbarungen verkünden, sondern argumentativ mit Gründen verteidigen. Dann ist Philosophie aber ihrem Wesen nach wissenschaftlich. Das ist beileibe kein neuer Gedanke, sondern so haben es fast alle großen Philosophen seit Aristoteles gesehen. Aber es ist ein Gedanke, der nicht ohne Konsequenzen ist. Sobald man die Philosophie nämlich als Wissenschaft versteht, kann man erkennen, dass die gegenwärtige Philosophie […] sich keineswegs im Zustand fortgesetzter Agonie befindet, sondern quicklebendig ist. […] Philosophen arbeiten […] beharrlich an wichtigen Sachfragen und versuchen Stück für Stück, Probleme zu lösen. Keine der großen und gesellschaftspolitisch wichtigen Zeitfragen wird dabei ausgeklammert, nur wird die Arbeit daran eben nicht spektakulär inszeniert. Und die Philosophen gehen dabei auch Fragen an, die neu sind oder lange nicht als theoriefähig galten. So fragt die politische Erkenntnistheorie danach, ob und unter welchen Bedingungen demokratische Verfahren zu richtigen Entscheidungen und wahren Ergebnissen führen. In der sich neu formierenden analytischen Existenzphilosophie geht man Fragen nach dem eigenen Tod, dem Sinn des Lebens und der Vernünftigkeit von Liebe mit rationalen Methoden nach. Damit wird aber auch klar, dass […] neben einem falschen Befund auch gleich noch die falsche Diagnose [geliefert wird]. Philosophie als Wissenschaft lebt von der Spezialisierung, denn nur Spezialisten können über die schwierigen Fragen im Detail kompetent urteilen. Philosophie als Wissenschaft lebt auch von anonym begutachteten Fachzeitschriften. [.] Sie filtern aus einer unüberschaubaren Flut von Publikationen die qualitativ hochwertigen heraus. Nur so können Debatten fokussiert ablaufen. Die Angst, dass ältere Professoren als »gate keeper« im Begutachtungsprozess abweichlerische Ideen aussondern, ist in Anbetracht der Tatsache, dass umstürzende Ideen […] regelmäßig in solchen Journalen veröffentlicht wurden und nach wie vor werden, haltlos. Das gilt übrigens auch für den Konformitätsdruck, den Forschungsprogramme angeblich erzeugen. Solche Programme erlauben es überhaupt erst, ungeschliffene philosophische Ideen sorgsam zu entfalten. Nur durch diesen Normalbetrieb entsteht so etwas wie wissenschaftlicher Fortschritt, auch in der Philosophie. Der Blick auf andere Wissenschaften, wie die Physik, hilft zu sehen, wie bizarr [die] Diagnose ist. Man müsste dann auch den […] Physikern vorwerfen, dass seit der Zeit der Giganten des Faches im frühen 20. Jahrhundert, also seit Einstein und Heisenberg, in der Physik nicht mehr viel passiert ist, sondern nur noch relativistische oder quantenphysikalische Forschungsprogramme stupide verfolgt wurden. Doch wer wollte den Physikern so etwas ankreiden? Wer sich den philosophischen Idealen einer behutsamen und rationalen Annäherung an die Wahrheit verpflichtet fühlt, der sollte sich daher nicht zu sehr beeindrucken lassen, wenn ihm mangelnde Originalität, fehlende Ausstrahlung und zu wenig Querdenken attestiert werden.31

      Man sieht: Die Beurteilung der Philosophie der Gegenwart, die wir hier beispielhaft aus der Perspektive jenseits und diesseits der Mauern philosophischer Fakultäten skizziert haben, liefert entgegengesetzte Vorstellungen dessen, was die Philosophie dieser Zeit ist und was sie zu leisten hat. Letztlich, so könnte man zusammenfassend sagen, wird es wohl einer zukünftigen Gegenwart bedürfen, um die gegenwärtige Gegenwart als eine Episode in der Geschichte der Philosophie angemessen betrachten und einordnen zu können.

      27 Eilenberger, Wolfram: Die deutschsprachige Philosophie ist in einem desolaten Zustand. Woran liegt das?, Zeit Online, Campus, 2018.

      28 Ebenda.

      29 Grundmann, Thomas: Die Philosophie lebt – und sucht diszipliniert nach der Wahrheit, Der Tagesspiegel Online, 2018.

      30 Ebenda.

      31 Grundmann, Thomas: Die Philosophie lebt – und sucht diszipliniert nach der Wahrheit, Der Tagesspiegel Online, 2018.

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