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       Gerade meine Generation hat den Wunsch nach dem immerwährenden Glück praktisch in die Wiege gelegt bekommen. So suchen wir es in Beziehungen, in erfüllender Arbeit, weiten Reisen und spirituellen Highlights.

       Zufriedenheit ist für mich lange ein Unwort gewesen, das faktisch Langeweile, Sattheit und Bequemlichkeit ausdrückt. Vielleicht müssen wir neue Wörter finden oder alte Begriffe neu besetzen, sodass wir ruhig werden und Zeit finden, uns umzuschauen und wahrzunehmen, was wir alles schon »haben«.

       Hermann Hesse hat Heiterkeit als höchste Lebenskunst beschrieben:

       »Heiterkeit ist weder Tändelei,

       noch Selbstgefälligkeit,

       sie ist höchste Erkenntnis und Liebe,

       ist Bejahen aller Wirklichkeit …«

       Vielleicht ist Erfüllung ein gutes Wort, obwohl ich mich frage, ob es nicht zu groß ist. Heitere Zufriedenheit mit gelegentlichen Glücksgefühlen und Anflügen von Erfüllung. Damit kann ich gut leben. Ich möchte satt sein vom Leben, wenn ich sterbe.

      Die alten Philosophen haben das Leben selbst als Meisterstück, als Meisterschaft gesehen, und das finde ich einen interessanten Blickwinkel. Damit konzentrieren wir uns wieder auf uns, auf die Lebenskunst und nicht darauf, wie wir immer mehr erleben, fühlen und besitzen können.

      Viele Menschen wissen heutzutage mehr über Politik als über sich selbst. Wir haben häufig keinen Zugang mehr zu unseren Beweggründen, unseren Intentionen und wissen nicht viel darüber, warum unser Leben genau so ist, wie es ist.

      Ärzte und Psychologen haben Hochkonjunktur, weil (geistige) Gesundheit ausgelagert wird und von Fachleuten geheilt werden soll. Den meisten Menschen ist es ein Rätsel, warum sie Ängste haben oder Rückenschmerzen oder ein Burn-out, und ihnen fehlen Handlungsstrategien, um sich selbst ein besseres Leben einzurichten. Lebenskunst ist demnach eine Fähigkeit, die zu erlernen ist. Zufriedene oder glückliche Menschen haben bestimmte Fähigkeiten und Einstellungen, die zu ihrer Zufriedenheit beitragen. Lebenskunst bedeutet für mich, beim Leben selbst in die Lehre zu gehen und zu lernen.

      Die wichtigste Fähigkeit, um ein erfülltes Leben zu leben, und gleichzeitig die wichtigste Zutat dafür ist, Verbindung zu fühlen und in Verbundenheit zu leben. Mit uns selbst und anderen Menschen. Lebensglück hat viel mit Erfüllung, Sinnhaftigkeit und Verbundenheit zu tun! Das Schöne daran ist: Du musst darauf nicht warten, du kannst es selbst herstellen!

      Nach dreißig Jahren auf der Suche nach mir selbst und nach den großen Antworten des Lebens bin ich zu dem Schluss gelangt, dass unser Lebensglück mehr auf den Fähigkeiten beruht, die wir einmal gelernt oder nicht gelernt haben, und nicht darauf, dass ES irgendwie geschieht. Unser Lebensglück beruht auch darauf, ob wir unsere Brille absetzen können, durch die wir uns selbst und das Leben sehen. Wie es so schön heißt: »Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind« (aus dem Talmud).

      Darin steckt ungeheuer viel Wahrheit, viel mehr, als wir zunächst begreifen. Solche Sätze schauen wir uns inzwischen nebenher bei Facebook an und nicken einmal weise, um dann zum nächsten Tagesordnungspunkt überzugehen. Jeder von uns glaubt zu wissen, um was es geht, und vor allem glaubt jeder von uns, dass wir die Einzigen sind, die es wirklich durchschaut haben.

      Dabei haben wir alle keine Ahnung. Wir können uns der Realität nur nähern. Ich glaube nicht mehr, dass ich diese Realität je wirklich begreifen werde. Aber das ist okay. Inzwischen ist es okay …

      ERLEUCHTUNG?

      Das war nicht immer so. Als Jugendliche war ich eine begeisterte und leicht depressive Anhängerin von Hermann Hesse. Heute würde man sagen, ich war ein Fan. Nach Narziss und Goldmund las ich Siddharta, und mein Lebensziel war klar: Ich wollte erleuchtet werden.

       Es erschien mir das einzig wirklich Erstrebenswerte. Es war nur lästig, dass ich irgendwie für meinen Lebensunterhalt sorgen musste. Meine Mutter, die selbst Erleuchtung suchte, indem sie dem indischen Guru Bhagwan folgte, hatte mich mitten in der Oberstufe auf die Straße gesetzt. Ich war ziemlich mittellos und hatte Glück, dass ich in einer WG wohnte und aufgefangen wurde. – Meine Kindheit war eine gewaltvolle und wenig liebevolle Katastrophe. Doch das war mir damals mit 19 noch nicht bewusst. Ich wusste nur, dass ich irgendwie komisch war.

       Trotz aller Knüppel, die das Leben mir zwischen die Beine warf, haben mich diese Fragen nach Erfüllung, nach Sinn, Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit weiter begleitet. Ich war mein ganzes Leben eine Suchende, könnte man sagen. Lange Zeit dachte ich, dass ich die Wahrheit mit Löffeln gefressen hätte. Erst in meinen Dreißigern dämmerte mir, dass ich keine Ahnung hatte.

      Vielleicht war es ein logischer Weg, der mich zunächst in meine eigene Psychotherapie führte und von dort in meine erste psychotherapeutische Ausbildung – auf jeden Fall hat es mich an den Punkt gebracht, wo ich heute stehe. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.

      Mein Weg führte über die Erforschung von Trauma und der Arbeit mit Trauma zu den Themen Selbstregulation und Entwicklungsverletzungen, um die es in meinem ersten Buch Auch alte Wunden können heilen geht.

      Je mehr ich mich mit diesen Themen und der Integration früher Verletzungen und Trauma beschäftigte, desto mehr stellte sich mir die Frage: Wie kann man erfüllt leben lernen, wenn man die Voraussetzungen dafür nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat?

      DIE MACHT DER GEWOHNHEIT

      Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, und das bedeutet, dass wir uns an so ziemlich alles gewöhnen können. Das ist gut, und das ist schlecht. Es bedeutet, dass wir Dinge, die wir vor einem Jahr noch fantastisch fanden, heute als selbstverständlich hinnehmen (und sie uns keine echte Freude mehr machen). Es bedeutet auch, dass wir Dinge, von denen wir wissen, dass sie uns nicht guttun oder keine Erfüllung bringen, dennoch hinzunehmen und damit leben zu lernen. So ist das halt, sagen wir uns.

      In Bewegung setzen wir uns erst, wenn uns etwas zu sehr quält. Dabei meine ich entweder diesen dumpfen Schmerz im Hintergrund, den man nicht mehr so recht abstellen kann, oder diesen ganz hellen Schmerz, der plötzlich alles ausfüllt und sich nicht mehr ignorieren lässt.

      Dann müssen – möglichst schnell und sofort – Lösungen her. Wir sind bereit, uns zu verändern. Jetzt sofort. Am liebsten aber: etwas oder jemand anderen zu verändern (unsere Partner, unsere Arbeit, die Welt). Wenn wir ganz ehrlich sind, dann suchen wir eigentlich keine Veränderung, sondern Erlösung. Der Schmerz soll weg! Jetzt! Deshalb sind Methoden und Bücher, die schnelle Erfolge versprechen, auch so erfolgreich. Wären sie allerdings wirklich erfolgreich, gäbe es keine unglücklichen Menschen mehr. Manchmal versuchen wir, Lösungen zu finden oder vor einem Gefühl davonzulaufen, ohne dass uns der Schmerz oder das Problem wirklich bewusst sind. Wir tun Dinge oder treffen Entscheidungen, ohne uns unserer tieferen Absicht bewusst zu sein. Das führt oft zu Umwegen und Sackgassen, aber auch die gehören ja zum Leben dazu.

       Das Leben ist lernen. Schön ist, wenn man lernt, Freude daran zu haben.

      Wenn wir also losrennen, um dem Schmerz zu entkommen oder eine Lösung dafür zu finden, dann sind wir leider in einer schlechten Position. Wir sind anfällig für Heilsversprechen und kurze Wege. Wir schauen auf den Schmerz und nicht auf die Ursache. Bekommen wir zum Beispiel Rückenschmerzen, dann wollen wir, dass diese wieder verschwinden. Das ist absolut verständlich. Wir nehmen Schmerztabletten oder lassen uns vom Orthopäden eine Spritze geben. Vielleicht machen wir sogar noch Krankengymnastik. Und siehe da, wir spüren den Schmerz nicht mehr. Für eine Weile.

      Vielleicht ist aber die Ursache des Schmerzes eine alte Knieverletzung. Deshalb belasten wir das eine Bein nicht mehr wirklich, und der ganze Körper ist ständig in einer Schonhaltung, die dann Schmerzen im Rücken verursacht. Vielleicht haben wir zu viel Stress im Körper, unsere Beugemuskulatur (die Schutzmuskulatur) ist zu angespannt

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