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„Nebel hat einen Toten, der nicht mehr lebt. Wahrscheinlich Palmann. Keine Gewalteinwirkung erkennbar, also wohl Routine, kommst du mit?“

      „Klar.“ Roswita Hasenschön, Semiunterassistenzkommissarin im Praktikum, war sehr neugierig auf das echte Polizeileben.

       Kiesweg 23a

      „Hm, nichts von äußeren Einflüssen zu sehen“, schätzte Unterhauptkommissar Stocher die Lage ein, als er auf den toten Palmann blickte. Der mächtige Körper lag leicht nach links verdreht auf dem Boden, neben einer Dose Erbsen, die er offenbar gerade aus einem Regal genommen hatte. Sein kahler Schädel war mit Sommersprossen und Altersflecken übersät und hatte auf der linken Seite, mit der er auf den Kellerboden geprallt war, etwas geblutet.

      „War die Spusi schon da?“, stocherte Stocher im Nebel.

      „Haben wir nicht angefordert, sollten wir?“

      „Nee, gibt eigentlich keinen Grund, da habt ihr Recht – ist ja nix zu sehen, was irgendwie nach irgendwas aussieht. Aber bringt die Super-Erbse auf jeden Fall in die Pathologie, bei Promis gehe ich lieber auf Nummer sicher.“

      Palmann war mit seiner Gemüsefabrik ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen und wurde in der Gegend nur ,der Erbsenkönig‘ genannt.

      Stocher stieg hinter Roswita Hasenschön hinauf in den Wohnbereich des Hauses und erfreute sich an dem runden Hintern vor seiner Nase.

      „Zunächst mein herzliches Beileid zum überraschenden Tod ihres Mannes“, begann er das Gespräch mit der Erbsenkönigin.

      „Danke für Ihre Anteilnahme. Ich kann es noch gar nicht fassen, er war doch erst Anfang 60.“

      „Und gesund?“

      „Wie das so ist mit 60. Zipperlein hier, Zipperlein da – und kürzlich hat er einen Stent bekommen, das war aber alles völlig unaufgeregt und problemlos.“

      „Einen Stent am Herzen?“

      „Ja – Arterienverkalkung – aber nichts Besorgniserregendes, haben die Ärzte gesagt.“

      „Ich bin kein Arzt, wie Sie wissen, aber ich tippe tatsächlich auf Herzinfarkt. Wir bringen ihn in die Pathologie, damit Sie und wir Gewissheit haben, okay?“

      „Ja, danke.“

      „Haben Sie zum Todeszeitpunkt irgendetwas Ungewöhnliches im Haus bemerkt?“

      „Nein, nichts.“

      „Okay danke, das war´s für heute. Also zurück zu unseren Akten, Hasenschönchen.“

      Während sie auf seinen VW Sharan zusteuerten, fragte sie: „Wieso fährst du eigentlich noch diese alte Riesenkarre? Ist das ein Diesel?“

      „Nee, ist ein Benziner. Stammt noch aus den Zeiten einer vierköpfigen Familie und einer Musikgruppe mit Anlage und Schlagzeug.“ Sie stiegen ein, er drückte den Startknopf und ließ den Wagen langsam aus der Parklücke rollen.

      „Verkauf doch das Teil und hol dir einen mit Elektroantrieb.“

      „Ich denke es ist am ökologischsten, wenn ich diesen Wagen fahre, bis er auseinanderfällt, sonst fährt irgendwer ihn irgendwo weiter und ich knatter mit der nächsten Kiste durch die Welt. Nur wenn ich ihn in die Schrottpresse geben und mir dann einen Umweltfreundlicheren kaufen könnte, wäre das eine Alternative, am besten einen mit Wasserdampfantrieb. Kann ich mir aber nicht leisten; ich bin schließlich Polizist und kein Erbsenkönig. – Und auch kein Fahrradfahrer, um deinem nächsten Vorschlag schon mal vorzubeugen!“

       Stockweg 3

      Nach Feierabend holte Stocher sich drei Frikadellen bei EDEKA. Alle im Kommissariat, egal ob Unter-, Über-, Haupt- oder Zwischenkommissar oder -in aßen Frikadellen, Fleischfrikadellen, versteht sich, auch wenn Tribüll relativ dicht am Kieler Fischfrikadellenstrand liegt.

      Der Aufstieg in den dritten Stock des Mietshauses am Stockweg ging trotz seiner 57 Jahre noch recht flott. Hatte mit seiner Ex mal was Eigenes angefangen, aber nach der Scheidung wollte und konnte er es nicht allein finanzieren, da er für Frau und Kinder mächtig abdrücken musste. Seither wohnte er in seiner Bude am Stockweg, die inzwischen aussah wie die Bude eines seit Langem alleinstehenden Mannes: keine Pflanze, keine Kerze, Kleidung über Stuhl- und Sessellehnen, sowie eine umfangreiche Sammlung leerer Flaschen auf der Küchenarbeitsplatte.

      Stocher war, nach den aktuell geltenden Schönheitsnormen, kein schöner Mensch. Dünne Haare bummelten schlecht geschnitten auf seinem runden Kopf, mit dem starken Bartschatten. Was oben fehlte hatte er über den Augen reichlich: das Grauen der Brauen. Er war beileibe kein Theo Waigel, aber ein Wai war er schon, gel? Seine Augen saßen etwas zu dicht an der fleischigen Nase, hatten aber einen warmen Blick, trotz all des Übels, das sie im Laufe eines langen Berufslebens gesehen hatten. Sein Mund war schön: volle Lippen, amtlich geschwungen mit dahinterliegenden gut sortierten und strahlenden Zähnen. Hatte er mal bleachen lassen – damals während der Ehe. Nicht so krass wie der allseits beliebte Fußballtrainer Kloppo, der mit seinen ,überschneeweißstrahlenden‘ Riesenhauern nachts die Straßenbeleuchtung ersetzten könnte, sondern so, dass es natürlich wirkte. Hals hatte er keinen, aber dafür umso mehr Körper, breitschultrig und mit deutlich erkennbarem Schwerpunkt in der Leibesmitte. In der Hose steckte ein knackiger, aber nicht sehr gut ausgebauter Hintern, der wiederum auf zwei zu kurzen Beinen saß, denen er die Gesamtkürze von 1 Meter 64 verdankte – wobei von Dank keine Rede sein konnte, denn er fand sich deutlich zu klein.

      Stocher legte die Frikadellen in die Pfanne, die ohnehin noch auf dem Herd stand, um die Klopse aufzuwärmen. Große Scheibe Graubrot in den Toaster, Frikadellen drauf, mit Senf und Ketchup bestreichen, ein doppeltes Spiegelei drüber – fertig war eines seiner Lieblingsgerichte. Dazu einen guten Riesling, irgendwas im Deutschlandfunk oder auf NDR Info und schon war dies sein ,Nomen est Omen‘: FEIERabend.

      Oder sagen wir so: Er hätte sich den Abend gern als FEIERabend vorgelogen, aber seit gestern war Winterzeit. Es wurde wieder scheiß früh dunkel, es nieselte und im Radio erzählten sie ihm etwas vom Dieselskandal, der Krise im deutschen Automobilbau, einem bevorstehenden Wirtschaftsabschwung, dem Austritt Englands aus der EU und einem unberechenbaren US-amerikanischen Präsidenten.

      Radio aus.

      Fernseher an.

      Politische Talkshow – nein, danke.

      Irgendwo Sport? Ja, Fußball aus der dritten Englischen Liga. Immerhin.

       Kiesweg 23a

      Inge Palmann war traurig über den Tod ihres Mannes.

      Jetzt nicht direkt todtraurig mit Heulkrampf und so, aber irgendwie irritiert und negativ berührt, dass der Mensch, mit dem sie gut 40 Jahre gelebt hatte, nun nicht mehr unruhig durchs Haus tigerte und nach irgendeiner Beschäftigung suchte, die nichts mit Haus, Haushalt oder Garten zu tun hatte. Gern hatte Palmann immer wieder überlegt und berechnet, ob es Sinn machen würde, auch noch ins Bohnengeschäft einzusteigen oder ins Erbsen und Wurzeln. Aber wieder und wieder stellte sich heraus, dass die Erzeugerund Vertriebswege längst zementiert waren und auch die besten Beziehungen daran nichts rütteln konnten, denn auch andere hatten beste Beziehungen.

      Frau Palmann hatte sich wieder und wieder mit geheucheltem Interesse auf seine bohnalen Überlegungen und Kalkulationen eingelassen, damit er bloß nicht übellaunig wurde. Er wurde leicht übellaunig, denn er war im Grunde schwer gelangweilt. Ab und zu kam es mit dem Finanzberater zu einem feurigen Meinungsaustausch über die Frage, ob man Palmanns Erbsen-Millionen in neue Anlagemodelle umschichten sollte oder nicht. Am Ende sollte man in 99,7 Prozent der Fälle nicht, aber Mark Palmann war irgendwie erfreut, mal wieder ein scheinbar sinnvolles Gespräch geführt und das eigene Leben doch noch irgendwie selbst in der Hand zu haben.

      Trotz allem: Sie hätte sich nie beklagt über das Leben an der Seite des Erbsenkönigs. Nicht über die Anfangszeit, als er Tag und Nacht mit dem Aufbau der Erbsen-in-Konserven-Welt versunken war, sie aber noch gelegentlich Sex miteinander hatten und auch nicht über

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