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war bei den Ziegen.“

      „Und?“ Sie blickte hoffnungsvoll auf ihn hinunter.

      „Nein, nein – ich kann das nicht.“

      „Hast du sonst etwas Essbares gefunden, Früchte oder sowas?“

      „Hab ich nicht gesucht. Ich fürchte, hier gibt es auch nichts dergleichen.“

      „Ich habe gestern auch nichts gesehen.“

      „Du wirst mir immer unheimlicher mit deiner Ruhe, deiner Toleranz und deinem Überlebenstalent“, maulte er mit einem guten Schuss Anerkennung in der Stimme.

      „Ich glaube, ich habe es hier leichter als du. Ich war die letzten drei Jahre unserer Ehe auf mich allein gestellt. Da habe ich mich daran gewöhnt, mich um mich selbst zu kümmern. Du musst erst zurück zu dir finden, bevor du gut zu dir und dann womöglich auch wieder zu mir sein kannst.“

      „Oha, jetzt wird´s tsüchologisch!“

      VIII.

      „Hast du keinen Hunger?“

      „Doch, na klar“, lächelte sie mild über die doofe Frage.

      „Traust du dich das mit den Ziegen?“

      „Männersache!“

      Er meinte sich verhört zu haben: „Bitte?!“

      „Das ist Männersache“, wiederholte sie. „Noch jedenfalls. Vielleicht ist es schon bald meine Sache. Schätze, das hängt davon ab, wie stark der Hunger mein Leben bedroht.“

      „Ich kann das nicht“, sagte er zerknirscht.

      „Ich auch nicht. Ich habe die Angeln draußen gelassen, vielleicht hängt ja morgen früh etwas dran. Gute Nacht.“

      IX.

      „Nichts“, sagte er resigniert, als er von der morgendlichen Inspektion der Angeln zurückkam. „Nicht ein Fisch hat gebissen. Das gibt es doch gar nicht!“

      „Waren die Köder noch okay?“

      „Ich habe Neue aufgezogen. Das Wasser hatte die an den Posen praktisch aufgelöst und die Grundhaken waren blank, vermutlich Krebse.“

      „Danke, dass du dich gekümmert hast“, sagte sie lieb. „Trink möglichst viel Wasser, das dämpft den Hunger. Oder Schampus, das hebt die Stimmung.“

      „Ich geh jetzt zu den Ziegen!“, stieß er entschlossen hervor.

      „Soll ich mitkommen?“

      „Das ist Männersache“, zitierte er ironisch, griff sich das große Fleischmesser und verschwand im Wald.

      Die Sonne hatte den Zenit schon überschritten, als er wieder vor dem Hardtop stand. „Ich kann es nicht“, sagte er und ließ sich willenlos auf den Boden fallen. „Warst du bei den Angeln?“

      „Nichts“, kam die fast tonlose Antwort.

      „Ich werde die Ruten woanders aufstellen.“

      „Gute Idee“, sagte sie, ohne dass sich ihr leerer Blick belebte.

      X.

      Als die Sonne am nächsten Morgen ihre ersten Strahlen über den Horizont streckte, waren sie bereits auf dem Weg zu den Angelruten. Euphorie machte sich in ihnen breit. Sie hatten das sichere Gefühl, heute nicht vergebens ans Wasser zu laufen. „Meinst du, an den tiefen Ködern hat zuerst etwas gebissen oder an denen mit den Posen?“, fragte er, während sie mit schnellen Schritten durch den Sand gingen.

      „Ich glaube, eher an denen mit den Posen.“

      „Glaub ich auch“, grinste er.

      Und sie sollten recht behalten.

      An beiden flach schwimmenden Ködern war geknabbert worden, aber leider hatte kein Fisch den Haken geschluckt. Fassungslos blickten sie auf die Reste der letzten Lacroix-Fleischstücke.

      Die Frau war am Ende. Sie ließ sich in den Sand fallen, drehte sich auf den Bauch, vergrub ihr Gesicht in den verschränkten Armen und schluchzte: „Ich kann nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr.“ Hans- Joachim starrte mit versteinertem Gesicht auf die Silhouette eines Schiffes am Horizont. Langsam bohrte er die Ruten tief in den Sand, nahm sich die Haken mit den unberührten und den angenagten Ködern und schwamm hinaus, um sie möglichst weit draußen wieder der Hoffnung zu überlassen. Dann kam er mit ruhigen starken Zügen zur Untiefe zurück, watete ans Ufer und ging wortlos an der Frau vorbei, die nach wie vor das Gesicht in den Armen vergraben hatte. Am Hardtop nahm er sich die beiden größten Messer und wetzte die Klingen aneinander, um sie noch schärfer zu machen, als sie ohnehin schon waren. Mit dem Daumen prüft er das Ergebnis seiner Arbeit und ging in den Wald.

      XI.

      Die Ziegen grasten ruhig auf ihrer Lichtung. Hans-Joachim trat gebückt und möglichst geräuschlos aus der Deckung der Büsche. Die Tiere nahmen keine Notiz von ihm. Er pflückte ein Büschel besonders saftiger Kräuter und hielt es in seiner ausgestreckten rechten Hand vor sich. Fuß um Fuß näherte er sich einem jungen Tier in seiner Nähe. „Komm, Kleines“, lockte er, „komm, hier hast du etwas Feines. Habe ich für dich mitgebracht, so etwas Leckeres findest du sonst nicht. Komm, koste mal.“

      Das Tier hob den Kopf und glotzte ihn aus großen kugelrunden und hervorstehenden Augen an. Als er den nächsten kleinen Schritt machte, sah er, wie es die Muskeln zur Flucht spannte. Fast die ganze Herde hob die Köpfe und beobachtete gespannt das fremde Wesen in ihrer Nähe. Hans-Joachim blieb stehen. „Komm, Zicklein“, lockte er mit leiser Stimme.

      Das Tier glotzte.

      Hans-Joachim ließ sich ganz langsam auf die Knöchel seiner linken Hand sinken, die das Messer fest umklammert hielt. Er wollte nicht so viel größer sein, als die Ziegen. Steif hielt er die Rechte mit den Kräutern vorgestreckt. Sein Körper fing an, sich zu verkrampfen, aber die innere Anspannung ließ ihn den Schmerz überwinden. „Komm, Kleines, komm doch“, lockte er und spürte, wie sich eine animalische Nähe zu dem Tier in ihm entwickelte.

      Die Ziegen, die am weitesten von ihm entfernt waren, begannen wieder zu grasen. Hans-Joachim verlor das Gefühl im linken Arm und konnte den rechten nur noch mit Mühe hochhalten. „Komm“, lockte er, „ja, komm.“

      Zögernd machte das Jungtier ein paar Schritte in seine Richtung.

      Das Herz des Mannes schlug bis zum Hals. „Durchhalten“, hämmerte es in seinem Hirn, „durchhalten“.

      Das Zicklein war bis auf zwei Schritte an ihn heran. „Ja, komm, mein Kleines.“ Er konnte den Geruch des Tieres jetzt deutlich wahrnehmen.

      Schnapp – der kleine Kopf war vorgeschnellt und hatte die Spitzen einiger Kräuter erwischt, die er ihm hinhielt. Langsam, ganz langsam zog er den rechten Arm dichter dazu sich heran. Das Tier folgte den Kräutern einen weiteren Schritt, schnappte erneut zu, da warf sich Hans-Joachim mit seinem ganzen Gewicht darauf. Er fühlte, wie ein Knochen unter ihm knackte und die Ziege sich dennoch mit wilden Bewegungen befreien wollte. Mit aller Kraft hielt er sie am Boden und setzte sich rittlings auf den zappelnden Leib. Ohne es bewusst wahrzunehmen, fühlte er die Wärme des fremden Körpers, ja er spürte sogar das heftige Schlagen des fremden Herzens in seinen Beinen. Der intensive Geruch der Ziege war ihm so vertraut, als gehörte er selbst zu der Herde, die erschrocken ein paar Meter weggesprungen war, um aus sicherer Entfernung das unglaubliche Schauspiel zu beäugen. Mit dem festem Griff seiner Rechten zog er den Kopf des Tieres an seine Brust. Er fühlte den fremden Pulsschlag in seiner Hand. Mit der Linken setzte er das Messer an und zog es quer über den Hals. Warmes Blut lief ihm über die Brust und hinunter auf die Oberschenkel, aber die heftigen Fluchtbewegungen unter ihm ließen nicht nach. Sein Griff auch nicht. Eisern hielt er den zappelnden Schädel an seine Brust gepresst. An den Innenseiten seiner Beine spürte er zuerst, wie das Leben aus dem Tier unter ihm entwich. Das Zappeln wurde mit nachlassendem Herzschlag schwächer. Der Atem, der ihm aus dem zurückgebogenen Kopf direkt ins Gesicht geblasen hatte, ließ nach. Seine Muskeln entspannten sich, wie die des Tieres,

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