Скачать книгу

aus und beschlossen deshalb, den geplanten Restaurantbesuch zu streichen. Der ebenfalls geplante Spaziergang an der Uferpromenade wurde noch durchgezogen, aber dann ging es heimwärts und sie ließen sich zwei Pizzen kommen. Er schlang seine während der Tagesschau mit einer halben Flasche Beaujolais achtlos hinunter, dann legte sie die DVD Jenseits von Afrika ein. Während des Films griff er ihr hin und wieder in den Morgenmantel, den sie statt des Champagner-Kleides übergeworfen hatte. Gegen 22.30 Uhr gab er ihr einen Klaps auf den Po, einen Kuss auf die Wange, sagte „Ich liebe dich“ und fuhr zu sich nach Hause.

      Seine Frau stand vor dem Fernseher und bügelte seine Garderobe. „Da bin ich!“, rief er einen kurzen Gruß ins Wohnzimmer und stellte ein paar Akten neben die Kombination, die sie ihm für den nächsten Morgen bereitgelegt hatte. Dann ging er zu ihr – sie hatte das Bügeln ihm zuliebe eingestellt – brummte etwas von den ewig späten Geschäftsessen und guckte mit ihr den Rest von Der Sinn des Lebens. Sie tranken ein paar Calvados, rauchten Libertys und gingen kurz nacheinander zu Bett. Als er nach dem Lichtschalter seiner Nachttischlampe hangelte, spürte er ihren Blick. „Schlaf gut“, sagte er und der Lichtschalter machte trocken „knack“. Hans-Joachim drehte sich auf die von ihr abgewandte Seite und dachte beim Einschlafen daran, dass die Besprechung um neun beginnen würde, dass er die Tagesordnung vorher noch festlegen und diktieren müsse und sein Referat besser noch einmal überfliegen sollte.

      Als er vom Radiowecker mit einem Werbespot für Hundeschokolade geweckt wurde, dachte er daran, dass die Besprechung um neun beginnen würde, dass er vorher noch die Tagesordnung festlegen und diktieren musste und sein Referat noch einmal kurz überfliegen sollte. Beim Frühstück versank er gedanklich in der Tagesordnung und blickte gelegentlich irritiert auf, wenn seine Frau ihn ansprach.

      Das Verkehrsstudio melde Stau auf seiner Strecke.

      Dies war so ziemlich die einzige Nachricht, die zu dieser Tageszeit in sein Bewusstsein dringen konnte. Er stand noch während der Meldung auf, ließ ein halbes Brötchen liegen, steckte sich eine Liberty an, stürzte einen letzten Schluck Kaffee herunter und verließ eilig das Haus. Aus dem offenen Küchenfenster höhnte ihm die Werbung für Sahama hinterher: „Sahama, die himmlische Frühstücksmargarine, mit der jeder Tag wie ein Sonntag anfängt.“

      Erst auf dem Weg zu seinem Wagen fiel ihm auf, dass seine Frau heute gar nicht mit an die Haustür gekommen war, um ihn zu verabschieden. Irgendwie schien sie schlecht drauf zu sein in letzter Zeit und er beschloss, ihr demnächst auch mal wieder etwas zu bieten.

      II.

      Zwei Wochen später standen sie am frühen Nachmittag vor Mortens Yacht.

      Morten war Inhaber einer Werbeagentur, die Hans-Joachim oft in Anspruch nahm. Wohl zur Kundenpflege hatte ihm Morten, der für ein paar Monate nach Asien musste, den Schlüssel für die Yacht überlassen. Hans-Joachim überzeugte sich mit einem kurzen Blick auf seine Frau, dass die Überraschung gelungen war. Nein, einen Bootsführerschein hatte er nicht, aber er war schon so oft zu Geschäftsfeiern auf Mortens und anderen Schiffen gewesen, dass er genau wusste, worauf es ankam: „Über 12 Meter lang, alle Aufbauten aus Teakholz, 600-PS-Maschine und mit allen Schikanen an Bord, die unsere Fahrt sicher und angenehm machen“, erklärte er seiner Frau fachmännisch.

      Sie freute sich wirklich.

      Weniger über die 600 PS als über die sechs Stunden, die er sich für sie freigenommen hatte. Er schob den Hebel zur Maschinensteuerung auf mittlere Fahrt und lächelte bei ihrem ängstlichvergnügten Aufschrei, als sich die Schraube kraftvoll ins Wasser bohrte und den Bug nach oben drückte. Über kleine weiße Schaumkronen stampften sie dem offenen Meer entgegen.

      „Mach mal einen Schampus auf!“, brüllte Hans- Joachim nach einer Weile gegen Motorgeräusch und Fahrtwind an. Er saß mit freiem Oberkörper hinter dem hölzernen Speichen-Steuerrad mit den Elfenbein-Intarsien. Schon längst hatte er den Motor auf Vollgas gestellt, so dass sie eher über das Meer flogen als zu fahren.

      Sie hangelte sich strahlend ins Unterdeck, um seinen Getränkewunsch zu erfüllen. Zwei Flaschen Champagner und etliche Liberty später zeigte sie nach vorne links: „Guck mal, eine kleine Insel!“

      „Toll, ich schau mal, wo wir anlegen können!“, brüllte er zurück und legte das Boot in eine weite Kurve Richtung Eiland. Die Gischt spritzte seitwärts in dicken Flocken auf. Übermütig legte er die Yacht abwechselnd auf die linke und auf die rechte Seite und freute sich an der spielerischen Macht, die er über die 600 PS hatte.

      Er umkreiste das kleine Stück Land, das völlig unbewohnt zu sein schien. Nirgendwo ein Hafen oder wenigstens ein Steg in Sicht, also fuhr er auf einen kleinen Sandstrand zu, der zur Landung einlud. Das Schiff unter ihm krachte, bebte, hob ab, seine Frau schrie und er flog mit dem Kopf voran gegen etwas unnachgiebig Hartes. Dann wurde es Nacht um ihn.

      III.

      Als seine Augen sich einen Spaltbreit öffneten, sah er, wie sich ihr tränenüberströmtes Gesicht zu einem erleichterten Lächeln verzog, ohne dass sie aufhörte zu weinen. Mühsam hob er den Kopf, der vor Schmerzen raste. Ein gutes Stück vor der Insel sah er die Yacht stark zur Seite gekippt im Wasser liegen, das dort höchstens zwanzig Zentimeter tief zu sein schien. Entlang des Kiels zog sich ein langer dunkler Riss. Offensichtlich hatte er das Boot in ganzer Länge auf ein Riff gepflügt und war beim Aufprall erst gegen die Frontscheibe und dann wohl seitlich ins Wasser gefallen, denn er war klatschnass. Er fühlte, dass er auf einer Art Plane lag. Sie war vermutlich das Hilfsmittel gewesen, mit dem seine Frau die 90 Kilo über den Strand zu den Bäumen gezogen hatte, in deren Schatten er jetzt lag.

      „Danke“, sagte er heiser und ließ mit ihrer Hilfe den Kopf vorsichtig wieder auf die Plane sinken.

      IV.

      Am nächsten Morgen stand er auf wackeligen Beinen an einen Baum gelehnt und sah sich um. Seine Frau hatte während seines komatösen Schlafs die halbe Yacht demontiert und an Land geschleppt: Geschirr, Töpfe, Bestecke und den Propangaskocher. Das Hardtop des Sonnendecks hatte sie zu einer überdachten Behausung gemacht, die im Kriechgang bewohnbar war. Matratzen und Decken lagen drum herum zum Trocknen in der Sonne. Ein paar Meter vor dem Eingang zum Hardtop sah er eine offene Feuerstelle, auf der etwas kochte, was er anhand der danebenliegenden leeren Dose aus zehn Metern Entfernung als Lacroix-Schildkrötensuppe identifizieren konnte. „Immerhin“, knurrte er – und wenn sie es hätte hören können, wäre ihr der anerkennende Ton aufgefallen, in dem er geknurrt hatte.

      Sein Blick wanderte zur Yacht auf der Sandbank.

      Er stutzte, zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und streckte den Hals zentimeterweise dem Meer entgegen. „Da“, kam es heiser von seinen Lippen, „da!“ Wie von fremden Kräften gesteuert hob sich sein rechter Arm und zeigte über die Yacht hinaus auf eine kleine Silhouette. „Ein Schiff!“, schrie er, humpelte Richtung Hardtop-Hütte, riss ein Bettlaken an sich, hielt es zwischen den ausgestreckten Armen über den Kopf und hinkte zum Ufer. „Hier! Hallo! Hilfe!“, brüllte er gegen das Meer an. Sein Körper krümmte sich bei der Anstrengung des Schreiens.

      Die Frau setzte sich neben die Feuerstelle und nahm die Suppe vom Kocher. Lacroix-Suppen darf man nur erhitzen, nicht kochen.

      Traurig blickte sie auf den tobenden Mann am Strand. Gottseidank konnte ihn keiner seiner Geschäftsfreunde so sehen: mit den dürren braunen Ärmchen, die das Laken zum Himmel streckten, dem kräftigen weißen Bauchansatz, der unter dem hochgerutschten T-Shirt über den Shortsgürtel quoll und den zwei dünnen Beinchen, die wie zwei ungebackene Baguettes im Sand steckten.

      Und dann diese absolut sinnlose Aktion, das Schiff am Horizont auf diese Weise aufmerksam machen zu wollen!

      Sie war erschrocken, wie würdelos ihr Manager in Not auf sie wirkte.

      „Mach doch etwas!“, schrie er zu ihr herauf, ohne das Laken sinken zu lassen. „Mach irgendwas! Schwimm zur Yacht und drück das Signalhorn!!“

      „Das funktioniert nicht!“

      „Es muss gehen, los, versuche es!!!“

      Sie rührte die Suppe um, damit sie ein

Скачать книгу