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aber jetzt sehne ich mich nach einer dieser kitschigen Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, die ich sonst jeden Sonntagabend mit meiner Oma geschaut habe. Zwar habe ich das bisher immer als ziemlich schrecklich empfunden, aber jetzt käme mir eine derartige Ablenkung, die mich auf andere Gedanken bringt, ganz gelegen. Aber weder läuft gerade eine Schmonzette im Fernsehen, noch kann ich momentan bei meiner Oma sein. Schon vor einer Woche haben meine Eltern mit meiner Oma beschlossen, dass wir uns vorerst nicht mehr gegenseitig besuchen werden. Meine Oma ist zwar noch super fit, aber sie gehört zu der Risikogruppe der älteren Menschen und wir möchten sie daher schützen. Für meine kleine Schwester Ruby und mich war das eine ganz schöne Umstellung, immerhin war sie drei Mal in der Woche bei uns, hat für uns gekocht, mit uns gespielt und Hausaufgaben gemacht. Naja, zumindest hat sie es probiert. Oma denkt immer noch, dass ich ihr kleines Mädchen bin. Die Tatsache, dass ich schon 17 Jahre alt bin und nächstes Jahr mein Abitur mache, übersieht sie gekonnt.

      Meine Eltern arbeiten beide in Vollzeit. Meine Mutter arbeitet als Ärztin in der Charité und mein Vater ist Inhaber eines kleinen Cafés, keine 500 Meter von unserem Zuhause entfernt. Während diese ganze Krise dazu geführt hat, dass wir Mama eigentlich gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, da sie den ganzen Tag von früh bis spät, fast ohne Pausen, ununterbrochen arbeitet, ist Papa jetzt den ganzen Tag zu Hause. Schweren Herzens musste er sein Café schließen. Das ist für uns ein großes Problem, denn mein Vater weiß nun nicht so recht, wie es weitergehen wird. Möglich, dass er seine Angestellten entlassen muss, denn keiner weiß, wie lange diese Pandemie und damit die Beschränkungen noch andauern werden. So müssen wir jetzt auch besonders auf unser Geld achten, denn ohne den Verdienst von Papa haben wir im Moment ja nur das Gehalt von Mama.

      Mein Vater kommt ins Wohnzimmer und reißt mich aus meinen Gedanken. In der Hand hält er triumphierend eine Packung Klopapier, wie ein Sportler einen Pokal. Er grinst über das ganze Gesicht und ist stolz wie Bolle, als er mir erzählt, wie er heute Morgen schon vor Ladenöffnung mit ca. 100 anderen Leuten vor dem Supermarkt gewartet hat, um dann schließlich die vorletzte Packung Klopapier zu ergattern. Er hat wohl eine begeisterte Reaktion von mir erwartet. Als diese nicht kommt, zeigt er mir stolz den blauen Fleck am Arm, den eine ältere Dame ihm verpasst hat. Damit hat es ihn noch mild getroffen, hinter ihm hatten sich dann schließlich sieben Leute um die letzte Klopapierpackung gekloppt. Ich schaue ihn entgeistert an. Was ist nur mit unserer Gesellschaft falsch gelaufen? Aber derartige Erzählungen habe ich schon von mehreren Leuten gehört. Heute Morgen habe ich sogar gelesen, dass ein Auto aufgebrochen wurde, nur um das auf der Rückbank liegende Klopapier zu entwenden. Also, dass die Leute Nudeln und Mehl hamstern, ist zwar schon fragwürdig, jedoch kann ich das noch einigermaßen nachvollziehen, aber Klopapier, ernsthaft!?

      Meine Schwester kommt ins Zimmer und verkündet ganz laut: „Papa, ich habe Huunnngerrr!“ Mein Vater lacht, sagt dann, dass Mama heute erst sehr spät zurückkommt, und geht dann in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Ruby kuschelt sich zu mir auf unser altes, gemütliches Sofa und wir schauen gemeinsam, wie der Moderator im Fernsehen gerade verkündigt, dass heute in Italien zum zweiten Mal über 600 Menschen an einem Tag an dem Corona-Virus gestorben sind. Die Krankenhäuser seien seit Tagen total überfüllt und die Regierung komplett überfordert. Es sind schreckliche Bilder, von Krankenhäusern im Ausnahmezustand, Leichensäcken, leergefegten Straßen und verzweifelnden Menschen. Der Moderator spricht von einer besorgniserregenden Bedrohung in immer mehr Staaten auf der ganzen Welt.

      Hätte mir jemand vor nur wenigen Wochen erzählt, dass wegen eines grippeähnlichen Virus fast alle Länder Einreiseverbote für Ausländer verhängen, die Wirtschaft in den betroffenen Ländern zu einem großen Teil zum Erliegen kommt und durch Ausgangsbeschränkungen das öffentliche Leben in den Städten und Gemeinden stillgelegt wird, hätte ich demjenigen den Vogel gezeigt. Ich hätte es wahrscheinlicher gefunden, dass wir alle wegen des Klimawandels sterben, aber eine derartige Bedrohung durch eine Virusinfektion hätte ich mir aufgrund unseres fortschrittlichen Gesundheitswesens kaum vorstellen können. So etwas kenne ich nur aus Geschichtsbüchern, wie zum Beispiel die Pest, die jedoch im 14. Jahrhundert war. Aber obwohl es wahrscheinlich niemand gedacht hätte, ist das nun der Fall. Unsere Generation ist zum ersten Mal mit einem weltweiten Ausnahmezustand konfrontiert. Dabei können wir alle hoffen, dass es eine Ausnahme bleibt. Gerade jetzt stellen sich viele die Frage, wann oder ob das Ganze ein Ende haben wird, und wenn ja, wie es danach weitergehen wird. Im Moment herrscht überall Ungewissheit: Sind die Ausgangssperren und die Kontaktverbote nur eine vorübergehende Beschränkung oder werden sie für unser zukünftiges Leben so etwas wie Alltag sein? Was passiert, wenn sich dieser Ausnahmezustand in einen Normalzustand verwandelt? Selbst wenn das Ganze demnächst ein Ende hat, wird es nie mehr so sein wie zuvor, da bin ich mir ziemlich sicher.

      Mein Kopf schwirrt von den ganzen Gedankengängen, die ich in den letzten Tagen immer wieder habe. Die Ungewissheit macht sich in mir breit. Wie sieht meine Zukunft aus, kann ich mein Abitur zum geplanten Zeitpunkt machen, wird es später möglich sein zu reisen, kann mein Papa irgendwann sein Café wieder öffnen? In meiner Brust spüre ich einen schweren Druck und ich bin erleichtert, als mein Papa uns zum Essen ruft und ich meinem Gehirn eine kleine Auszeit geben kann. Abends liege ich in meinem Bett. Ich bin total erschöpft und meine Gedanken kreisen immer noch wie verrückt. Mein Handy vibriert. Es ist eine Nachricht von meiner Mutter. Sie schreibt mir, dass sie heute nicht nach Hause kommen wird. Auf der Arbeit ist super viel los und sie haben gerade einen neuen Patienten reinbekommen, der noch dringend versorgt werden muss. Sie sagt, sie hofft, dass es mir gut geht und ich mir nicht zu viele Gedanken mache. Zuletzt wünscht sie mir noch eine gute Nacht. Ich schaue in den wolkenlosen Himmel über mir und ohne dass ich es zunächst bemerke, laufen mir langsam Tränen über meine Wangen.

      10 Jahre später, es ist Abend und ich liege im Bett. Ich bin nun schon 27 Jahre alt. Ich schaue in den Himmel, schaue in die wolkenlose Nacht.

      Am Himmel leuchten die Sterne hell und ich bin irgendwie dankbar, dankbar für die Krise, diesen Ausnahmezustand damals während der Corona-Pandemie. Und ich bin damit nicht allein. Wenn man sich an das Jahr 2020 zurückerinnert, sind das zwar nicht unbedingt schöne Dinge, die einem in den Sinn kommen, aber die meisten von uns empfinden eine gewisse Dankbarkeit. Das soll jetzt nicht falsch rüberkommen, wir sind ganz sicher nicht dankbar für die vielen Todesopfer, die das Virus gefordert hat, dennoch hat sich die Welt seit der Pandemie verändert und zwar, im Gegensatz zu den Krisen vorheriger Zeiten, sichtlich zum Guten. Die Menschen haben in der Quarantäne viel dazugelernt und haben die Dinge, die für sie zuvor ganz normal und alltäglich waren, angefangen stärker wertzuschätzen. Viele Leute haben ihr Leben entschleunigt und den Fokus wieder auf die für sie und die Gemeinschaft wichtigen Dinge im Leben gerichtet. Übermäßiges Konsumverhalten, Vielfliegerei und Massentourismus haben stark abgenommen. Die Menschen hinterfragen ihr Tun mehr und machen sich Gedanken darüber, warum sie auf dieser Erde sind und wie ein sinnvolles Leben aussehen kann. Die meisten Menschen sind bedachter und liebevoller in ihrem Handeln geworden. Sie sind sich bewusster über dieses Geschenk, leben zu dürfen. Auch die Wirtschaft hat sich verändert. Themen wie Nachhaltigkeit sind in den Vordergrund gerückt, wohingegen schlechte Arbeitsbedingungen nur noch sehr selten sind. Der Klimawandel wurde verlangsamt und die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels bis 2050 ist heute sehr realistisch.

      Vieles hat sich verändert und obwohl es niemand geglaubt hat, hat sich Vieles zum Guten gewendet. Das Jahr 2020 wird in den Geschichtsbüchern zwar immer für schlimme Ereignisse stehen, aber auch für Hoffnung, neue Möglichkeiten und Zukunft.

      (Helena Schoen)

       Neunte Geschichte

      „Wow, wir sollten wirklich hoffen, dass dieses Virus die Menschen bedachter und liebevoller macht“, sagt ein Mädchen in meinem Alter. Die Geschichte hat uns alle zum Nachdenken angeregt. Nach ein paar Minuten macht sich eine etwas unbehagliche Stille breit, deshalb fängt eine rothaarige Frau an, eine Geschichte über eine weitere Virusinfektion zu erzählen.

      Heute war ich an der Reihe, zu dem kleinen Einkaufsladen unseres Dorfes zu gehen, um die wichtigsten Lebensmittel, die meine Familie und ich brauchten, zu besorgen. Seitdem das ganze Land von einer sehr gefährlichen Virusinfektion befallen ist, steht auch unser Dorf unter Quarantäne. Das heißt, dass hier niemand rein-, geschweige denn rauskommt. Dies ist auch der Grund,

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