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von Can­na­re­gio. Ob Cam­piel­lo de le Scuo­le 1256 die Adres­se des ab­ge­bil­de­ten Hau­ses ist? Das Foto ist un­scharf. Man kann kei­ne Haus­num­mer er­ken­nen.«

      Chia­ra nick­te. »Es steht auch kei­ne Tele­fon­num­mer da­bei. Wir wer­den be­sag­tem Herrn Bass­ani wohl ei­nen Be­such ab­stat­ten müs­sen und hof­fent­lich mehr er­fah­ren.«

      »So sieht’s wohl aus … Ei­ne an­de­re Fra­ge: Stimmt es, dass wir bei dei­ner Tan­te woh­nen?«

      Chia­ra lä­chel­te. »Es stimmt fast. Emi­lia ist kei­ne Tan­te, son­dern ei­ne Be­kann­te von Pa­pa. Ich war zwar schon ein­mal in Ve­ne­dig, vor un­ge­fähr zwei Jah­ren, war je­doch nicht bei ihr, ken­ne sie al­so auch nicht. Aber Pa­pa hat das schon ge­klärt. Wir kön­nen bei Emi­lia woh­nen. Es ist nicht in Can­na­re­gio. Aber das dürf­te kein Pro­blem sein.«

      »Okay, das ist pri­ma. Woll­test du mit dei­nem al­ten Pick-up fah­ren?«

      »Nein, der nützt uns in Ve­ne­dig eh we­nig. Und wir ken­nen noch nicht un­se­re an­de­ren Zie­le. Am Mon­tag­mor­gen kann uns Pa­pa nach Pi­sa mit­neh­men. Von dort kom­men wir gut mit dem Zug nach Ve­ne­dig.«

      Nach­dem ich mei­ne Mutter an­ge­ru­fen hat­te, pack­te ich ein paar Sa­chen aus dem Kof­fer, un­ter an­de­rem Ge­schen­ke für die Fa­mi­lie Da Ro­sa. Ma­ma hat­te da­rauf be­stan­den. Ei­ne al­te LP von Mi­ke Batt für Chia­ra, die sich tat­säch­lich im Lau­fe des Jah­res ei­nen al­ten Plat­ten­spie­ler zu­ge­legt hat­te, ei­ne Schach­tel Pra­li­nen für Lu­do­vi­ca und ei­nen Han­no­ver­aner Kräu­ter­schnaps für Fe­de­ri­co. Als ich die Sa­chen über­reich­te, freu­ten sich alle. Chia­ra muss­te bei Mi­ke Batt schal­lend la­chen, hat­te sie mir doch Ri­de to Aga­dir auf dem Flug nach Mar­ra­kesch vor­ge­spielt. Lu­do­vi­ca zeig­te ihr rei­zend­stes, zahn­lo­ses Lä­cheln und um­arm­te mich ganz fest. Fe­de­ri­co be­äug­te den Schnaps erst kri­tisch, nahm aber direkt ei­ne Kost­pro­be und lob­te ihn. Chia­ra über­setz­te mir mit ei­nem schel­mi­schen Lä­cheln, dass er ge­sagt hät­te, es wä­re zwar kein Grap­pa, aber da­für ab­so­lut okay.

      Für den Abend hat­te Lu­do­vi­ca ein Fes­tes­sen zu­be­rei­tet. Es gab Wild­schweins­chin­ken und Oliven als Vor­spei­se und als Haupt­ge­richt Pe­po­so, ei­nen wür­zi­gen Ein­topf aus ver­schie­de­nen Fleisch­sor­ten und To­ma­ten. Da­zu fri­sches Weiß­brot und den Haus­wein. Es ka­men auch Ver­wand­te und Freun­de, und es wur­de da­mit ei­ne mehr als tur­bu­len­te Run­de. Mü­de, aber zu­frie­den sank ich nach ein Uhr in mein Bett.

      Sonntag, 30.09.18

      Am Vor­mit­tag be­such­ten wir Chia­ras On­kel Raf­fae­le. Ich lern­te bei der Ge­le­gen­heit auch sei­ne Frau An­to­nia ken­nen. Ei­ne klei­ne, rund­li­che, freund­li­che Ita­li­en­erin. Sie zeig­te mir Fotos von ih­ren Kin­dern, Fran­ka und Fran­ce­sco, die bei­de bis zu den Win­ter­fe­rien im In­ter­nat waren, und er­zähl­te von der Wein­ern­te in die­sem Jahr, die dank des hei­ßen Som­mers aus­ge­zeich­net aus­ge­fal­len war, aller­dings viel Ar­beit ma­chen wür­de.

      Chia­ra und ich mach­ten an­schlie­ßend mit dem Pick-up ei­nen Kurz­trip in die nä­he­re Um­ge­bung. Der wei­te Blick in die hüge­li­ge Land­schaft mit den herbst­far­be­nen Wein­hän­gen war der Ham­mer. Kitsch­post­kar­ten­idyl­le pur, könn­te man sa­gen. Wir hör­ten da­bei Musik, ita­lie­ni­schen Pop im Wech­sel mit in­ter­na­tio­na­len Charts, hat­ten die Fens­ter her­un­ter­ge­kur­belt und ge­nos­sen ein­fach die Zeit.

      Ich schau­te sie von der Sei­te an. Ihr wie immer ver­wu­schel­tes ro­tes Haar weh­te im Fahrt­wind, sie lach­te und scherz­te, summ­te und sang zur Musik mit, die ge­ra­de lief, ich glau­be, es war so ein al­ter ita­lie­ni­scher Schla­ger. » … da­ba­dan, da­ba­dan, ba­ba­dan … tu …« In dem Mo­ment wuss­te ich, egal, was bei un­se­rem Trip her­aus­kom­men wür­de, es war klas­se, Chia­ra wie­der­zu­se­hen. Selbst wenn un­klar blieb, was aus un­se­rer Freund­schaft wur­de und wie aus­sichts­los es im Grun­de war. Sie hier in Ita­li­en, ich in Han­no­ver. Wir hat­ten die­se zwei Wo­chen. Und da­rüber freu­te ich mich in die­sem Augen­blick irr­sin­nig.

      Am spä­ten Nach­mit­tag such­ten wir nach pas­sen­den Zug­ver­bin­dun­gen für den näch­sten Tag und goo­gel­ten nach mehr In­fos über Ve­ne­dig und den Stadt­teil Can­na­re­gio.

      Den Sonn­tag­abend ver­brach­ten wir nach dem Es­sen ab­schlie­ßend in der Sports­bar in Mon­te­ver­di. Chia­ra stell­te mich ei­ni­gen Freun­den und Be­kann­ten vor, die ich im letz­ten Jahr noch nicht ken­nen­ge­lernt hat­te. Ich frag­te mich, wer von ih­nen schon ihr Freund ge­we­sen war. Ein Typ namens Sal­va­to­re sah mich lan­ge und auch et­was arg­wöh­nisch an und frag­te mit selt­sa­mer Be­to­nung: »Du bist al­so Sid?« Wäh­rend die an­de­ren recht aus­ge­las­sen und lo­cker waren, ver­hielt er sich die gan­ze Zeit über ab­wei­send. Trotz­dem wur­de der Abend ganz nett. Nach ein paar Darts- und Bil­lard­run­den bra­chen wir ge­gen elf Uhr auf, da es am näch­sten Mor­gen schon früh los­ge­hen soll­te.

      Als ich ge­ra­de das Licht aus­ma­chen woll­te, klopf­te es an der Tür. Er­staunt öff­ne­te ich. Chia­ra schlüpf­te ins Zim­mer. Schon in ei­ner Art Schlafs­hirt. Grund­gü­ti­ger! Ich blick­te auf ein rie­si­ges Ab­bild von Al­bert Ein­stein. In psy­che­de­li­schen Far­ben. Der al­te Herr starr­te mir ge­ra­de­wegs ins Ge­sicht und streck­te die Zun­ge her­aus. Aber der Spruch war gut: Le­arn from yes­ter­day, li­ve for to­day, ho­pe for to­mor­row. Ich muss­te mich den­noch an­stren­gen, ei­ni­ger­ma­ßen ernst zu blei­ben. »Sehr schick, was du da an­hast.«

      Sie schau­te an sich her­un­ter, zuck­te aber nur mit den Ach­seln. Dann räu­sper­te sie sich: » … Be­vor es mor­gen los­geht – ich ha­be mir noch­mals die E-Mails von To­ry durch­ge­le­sen. Er hat in­direkt da­vor ge­warnt, dass nicht nur Schö­nes bei der Rei­se raus­kommt. Und dann, dass du über dich et­was er­fah­ren könn­test … Was glaubst du, was er da­mit meint? Ich grü­be­le schon die gan­ze Zeit. Macht ei­nen ganz kir­re.« Sie setz­te sich auf den ein­zi­gen Stuhl im Zim­mer und schau­te mich fra­gend an. Ich nahm wie­der auf mei­nem Bett Platz und über­leg­te, was ich da­rauf ant­wor­ten soll­te. »Ich ha­be das gan­ze Jahr über To­ry nach­ge­dacht, wie du weißt. Dass er uns nach Ve­ne­dig füh­ren wür­de, da­rauf wä­re ich aller­dings beim be­sten Wil­len nicht ge­kom­men. Tja, was To­ry da­mit meint … schwer zu sa­gen. Aber na­tür­lich hat er mich vor al­lem da­mit ge­packt: dass ich über mich et­was her­aus­fin­den kann. Ich ha­be kei­ne Ah­nung, was das sein soll. Er hat außer­dem da­mals ver­dammt we­nig über sich er­zählt. Ich glau­be, dass da et­was Trau­ri­ges ist. Und aus ir­gend­ei­nem Grund sol­len aus­ge­rech­net wir das her­aus­fin­den …«

      Chia­ra nag­te an ih­rer Un­ter­lip­pe. »Hm. Ja, du hast viel­leicht recht. So ein Ge­fühl ha­be ich auch. Ich freue mich da­rauf, aber ich ha­be auch ein biss­chen Angst da­vor, was wir ent­de­cken wer­den. Und ob ich über­haupt alles wis­sen will.«

      Ich schau­te sie an. So nach­denk­lich kann­te ich sie gar nicht. Da­her sag­te ich auf­mun­ternd. »Hey, wir kön­nen doch selbst ent­schei­den, wie viel wir her­aus­fin­den wol­len.« Mit ei­nem Ni­cken er­hob sie sich, beug­te sich dann rasch zu mir, gab mir ei­nen Kuss auf die Wan­ge und schnel­ler, als ich das rea­li­sie­ren konn­te, war sie aus dem Zim­mer ver­schwun­den. Was war das ge­we­sen? Ich saß noch

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