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A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth
Читать онлайн.Название A. S. Tory und die verlorene Geschichte
Год выпуска 0
isbn 9783749744053
Автор произведения S. Sagenroth
Жанр Контркультура
Серия A. S. Tory
Издательство Readbox publishing GmbH
Chiara nickte. »Es steht auch keine Telefonnummer dabei. Wir werden besagtem Herrn Bassani wohl einen Besuch abstatten müssen und hoffentlich mehr erfahren.«
»So sieht’s wohl aus … Eine andere Frage: Stimmt es, dass wir bei deiner Tante wohnen?«
Chiara lächelte. »Es stimmt fast. Emilia ist keine Tante, sondern eine Bekannte von Papa. Ich war zwar schon einmal in Venedig, vor ungefähr zwei Jahren, war jedoch nicht bei ihr, kenne sie also auch nicht. Aber Papa hat das schon geklärt. Wir können bei Emilia wohnen. Es ist nicht in Cannaregio. Aber das dürfte kein Problem sein.«
»Okay, das ist prima. Wolltest du mit deinem alten Pick-up fahren?«
»Nein, der nützt uns in Venedig eh wenig. Und wir kennen noch nicht unsere anderen Ziele. Am Montagmorgen kann uns Papa nach Pisa mitnehmen. Von dort kommen wir gut mit dem Zug nach Venedig.«
Nachdem ich meine Mutter angerufen hatte, packte ich ein paar Sachen aus dem Koffer, unter anderem Geschenke für die Familie Da Rosa. Mama hatte darauf bestanden. Eine alte LP von Mike Batt für Chiara, die sich tatsächlich im Laufe des Jahres einen alten Plattenspieler zugelegt hatte, eine Schachtel Pralinen für Ludovica und einen Hannoveraner Kräuterschnaps für Federico. Als ich die Sachen überreichte, freuten sich alle. Chiara musste bei Mike Batt schallend lachen, hatte sie mir doch Ride to Agadir auf dem Flug nach Marrakesch vorgespielt. Ludovica zeigte ihr reizendstes, zahnloses Lächeln und umarmte mich ganz fest. Federico beäugte den Schnaps erst kritisch, nahm aber direkt eine Kostprobe und lobte ihn. Chiara übersetzte mir mit einem schelmischen Lächeln, dass er gesagt hätte, es wäre zwar kein Grappa, aber dafür absolut okay.
Für den Abend hatte Ludovica ein Festessen zubereitet. Es gab Wildschweinschinken und Oliven als Vorspeise und als Hauptgericht Peposo, einen würzigen Eintopf aus verschiedenen Fleischsorten und Tomaten. Dazu frisches Weißbrot und den Hauswein. Es kamen auch Verwandte und Freunde, und es wurde damit eine mehr als turbulente Runde. Müde, aber zufrieden sank ich nach ein Uhr in mein Bett.
Sonntag, 30.09.18
Am Vormittag besuchten wir Chiaras Onkel Raffaele. Ich lernte bei der Gelegenheit auch seine Frau Antonia kennen. Eine kleine, rundliche, freundliche Italienerin. Sie zeigte mir Fotos von ihren Kindern, Franka und Francesco, die beide bis zu den Winterferien im Internat waren, und erzählte von der Weinernte in diesem Jahr, die dank des heißen Sommers ausgezeichnet ausgefallen war, allerdings viel Arbeit machen würde.
Chiara und ich machten anschließend mit dem Pick-up einen Kurztrip in die nähere Umgebung. Der weite Blick in die hügelige Landschaft mit den herbstfarbenen Weinhängen war der Hammer. Kitschpostkartenidylle pur, könnte man sagen. Wir hörten dabei Musik, italienischen Pop im Wechsel mit internationalen Charts, hatten die Fenster heruntergekurbelt und genossen einfach die Zeit.
Ich schaute sie von der Seite an. Ihr wie immer verwuscheltes rotes Haar wehte im Fahrtwind, sie lachte und scherzte, summte und sang zur Musik mit, die gerade lief, ich glaube, es war so ein alter italienischer Schlager. » … dabadan, dabadan, babadan … tu …« In dem Moment wusste ich, egal, was bei unserem Trip herauskommen würde, es war klasse, Chiara wiederzusehen. Selbst wenn unklar blieb, was aus unserer Freundschaft wurde und wie aussichtslos es im Grunde war. Sie hier in Italien, ich in Hannover. Wir hatten diese zwei Wochen. Und darüber freute ich mich in diesem Augenblick irrsinnig.
Am späten Nachmittag suchten wir nach passenden Zugverbindungen für den nächsten Tag und googelten nach mehr Infos über Venedig und den Stadtteil Cannaregio.
Den Sonntagabend verbrachten wir nach dem Essen abschließend in der Sportsbar in Monteverdi. Chiara stellte mich einigen Freunden und Bekannten vor, die ich im letzten Jahr noch nicht kennengelernt hatte. Ich fragte mich, wer von ihnen schon ihr Freund gewesen war. Ein Typ namens Salvatore sah mich lange und auch etwas argwöhnisch an und fragte mit seltsamer Betonung: »Du bist also Sid?« Während die anderen recht ausgelassen und locker waren, verhielt er sich die ganze Zeit über abweisend. Trotzdem wurde der Abend ganz nett. Nach ein paar Darts- und Billardrunden brachen wir gegen elf Uhr auf, da es am nächsten Morgen schon früh losgehen sollte.
Als ich gerade das Licht ausmachen wollte, klopfte es an der Tür. Erstaunt öffnete ich. Chiara schlüpfte ins Zimmer. Schon in einer Art Schlafshirt. Grundgütiger! Ich blickte auf ein riesiges Abbild von Albert Einstein. In psychedelischen Farben. Der alte Herr starrte mir geradewegs ins Gesicht und streckte die Zunge heraus. Aber der Spruch war gut: Learn from yesterday, live for today, hope for tomorrow. Ich musste mich dennoch anstrengen, einigermaßen ernst zu bleiben. »Sehr schick, was du da anhast.«
Sie schaute an sich herunter, zuckte aber nur mit den Achseln. Dann räusperte sie sich: » … Bevor es morgen losgeht – ich habe mir nochmals die E-Mails von Tory durchgelesen. Er hat indirekt davor gewarnt, dass nicht nur Schönes bei der Reise rauskommt. Und dann, dass du über dich etwas erfahren könntest … Was glaubst du, was er damit meint? Ich grübele schon die ganze Zeit. Macht einen ganz kirre.« Sie setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer und schaute mich fragend an. Ich nahm wieder auf meinem Bett Platz und überlegte, was ich darauf antworten sollte. »Ich habe das ganze Jahr über Tory nachgedacht, wie du weißt. Dass er uns nach Venedig führen würde, darauf wäre ich allerdings beim besten Willen nicht gekommen. Tja, was Tory damit meint … schwer zu sagen. Aber natürlich hat er mich vor allem damit gepackt: dass ich über mich etwas herausfinden kann. Ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Er hat außerdem damals verdammt wenig über sich erzählt. Ich glaube, dass da etwas Trauriges ist. Und aus irgendeinem Grund sollen ausgerechnet wir das herausfinden …«
Chiara nagte an ihrer Unterlippe. »Hm. Ja, du hast vielleicht recht. So ein Gefühl habe ich auch. Ich freue mich darauf, aber ich habe auch ein bisschen Angst davor, was wir entdecken werden. Und ob ich überhaupt alles wissen will.«
Ich schaute sie an. So nachdenklich kannte ich sie gar nicht. Daher sagte ich aufmunternd. »Hey, wir können doch selbst entscheiden, wie viel wir herausfinden wollen.« Mit einem Nicken erhob sie sich, beugte sich dann rasch zu mir, gab mir einen Kuss auf die Wange und schneller, als ich das realisieren konnte, war sie aus dem Zimmer verschwunden. Was war das gewesen? Ich saß noch