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A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth
Читать онлайн.Название A. S. Tory und die verlorene Geschichte
Год выпуска 0
isbn 9783749744053
Автор произведения S. Sagenroth
Жанр Контркультура
Серия A. S. Tory
Издательство Readbox publishing GmbH
Nun freute ich mich auf Campeto, auf Chiaras Großmutter Ludovica, ihren Vater Federico, die Taverne.
»Wann sollen wir nach Venedig aufbrechen? Bei mir hat sich Tory noch nicht gemeldet? Bei dir?«
Chiara warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. »Ja, hat er. Spätestens am Montagmorgen müssen wir los. Ich vermute, dass es ihm zu heikel war, dich zu kontaktieren. Immerhin könnte es sein, dass deine Mutter deine E-Mails kontrolliert. Könnte ich bei einem Ausreißer wie dir durchaus verstehen.«
Ich gab ein kurzes Grummeln von mir. Meine Mutter hatte das tatsächlich ein paar Mal versucht, sogar darauf bestanden, dass ich ihr das Passwort für den Laptop und mein Mailpostfach gebe. Aber das war nur in den ersten Monaten, danach war es ihr zu anstrengend geworden. Und es waren auch keine Nachrichten mehr von Tory gekommen.
»Er hat mir eine weitere kryptische E-Mail geschickt. Mit einem alten Plan von Venedig und zwei Fotos.«
»Du machst mich neugierig.«
»Allora, ich werde dir alles zeigen, sobald wir zuhause sind.« Chiara grinste mich an. »Ich bin genauso gespannt wie du. Aber bitte kein Wort zu meinem Vater. Er weiß genauso wenig wie deine Mutter. Und vermutlich ist das besser so.«
Was hatte es mit der Venedigreise auf sich? Die Frage ließ mich nicht los. Eine Weile schwiegen wir. Wie im Vorjahr hatte Chiara ihr Transistorradio dabei und es lief Creep von Radiohead. Ein Song, der definitiv kein Rumgequatsche vertrug. Zudem sang sie entsetzlich falsch, dafür lautstark, mit.
Nach den zahlreichen Kurven, die sich von der Küste aus in das toskanische Hinterland schlängelten, war mir wieder etwas übel. Doch als ich in der Ferne die dicht aneinander geschmiegten, hellbraunen Häuser, die hohen Pinien und Zypressen und weitreichenden Hügel mit Weinstöcken erkennen konnte, war es fast wie nach Hause zu kommen. Wir tuckerten durch die schmalen Gassen, bis wir die Toreinfahrt der Taverna Da Rosa erreichten. Der kleine Innenhof lag an diesem Spätnachmittag im Schatten, aus den Fenstern des unteren Gebäudes leuchtete warm das Licht aus der Taverne. Die Katzenfamilie schien Zuwachs bekommen zu haben. Eine kleine Schwarz-Weiße, die ich letztes Jahr noch nicht gesehen hatte, saß zwischen den Tontöpfen im Hof und lugte neugierig hervor. Die beiden Grauen lagen in den Fenstersimsen und sprangen uns entgegen, als wir knatternd anhielten. Chiaras Vater erschien in der Tür.
»Benvenuto Sid!«
Graue Schläfen, gebräunte Haut, ein großer, schlanker, stolzer Italiener mittleren Alters. Federico hatte mir schon letztes Jahr imponiert.
»Deer wilde Schweinehelde!« Ein Grinsen zog über sein Gesicht. Chiaras Grinsen. Die Anspielung auf meine Flucht vor dem großen Cinghiale ließ mich erröten. Federico war damals nicht so begeistert davon gewesen, dass ich um ein Haar eine unschöne Begegnung mit einem ausgewachsenen Wildschwein gehabt hätte und sie daher die Jagd vorzeitig abbrechen mussten. Aber er hatte mir zum Abschied einen Stoßzahn des Keilers geschenkt, der seitdem mein Talisman war und den ich auch jetzt an meinem Rucksack befestigt hatte.
Wir betraten den Gastraum. Die Tische waren für den Abend gedeckt. Rot-karierte Tischdecken. Weiße, zu Mützen gefaltete Servietten. Glänzende Weingläser in verschiedenen Größen. Die in den Wandvertiefungen des alten Gemäuers eingelassenen Leuchter spendeten ein warmes Licht. Ich erinnerte mich an meinen ersten Abend hier, das erste Glas Wein, Chiaras Verwandte und Freunde, einen völlig anderen Alltag als bei uns zuhause. Es waren angenehme Erinnerungen. Ludovica kam mir freudestrahlend entgegen und holte mich aus meinen Betrachtungen. Die kleine Frau umarmte mich und bedachte mich dann mit einem Schwall italienischer Sätze, denen ich kaum folgen konnte. Ich hatte mir in den letzten Monaten Mühe gegeben, etwas mehr Italienisch zu lernen, dennoch war mir das einfach zu schnell, ich verstand aber so viel, dass sie ihre Freude zum Ausdruck bringen wollte, mich nach so langer Zeit wiederzusehen. Nachdem ich mit Gesten und verschiedensten Sprachbrocken Ludovica und Federico begrüßt hatte, deutete Chiara an, dass es Zeit wäre, mein Zimmer zu beziehen. So folgte ich ihr die schmale Treppe zu den kleinen Gästezimmern hoch. Meins lag wie im vorigen Jahr ihrem Zimmer gegenüber. Ich stellte mein Gepäck ab und schon zog sie mich in ihren Raum. Auf ihrem Schreibtisch lagen drei Bilder und eine ausgedruckte Mail. Neugierig näherte ich mich. Chiara nahm den Papierbogen mit der E-Mail und gab ihn mir. Ich setzte mich auf ihren Schreibtischstuhl und las.
Verehrtes Fräulein Chiara, lieber Sid,
es freut mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Vielleicht können Sie mir mit Ihrer Suche Fragen, die ich mein Leben lang hatte, beantworten und die Mauer, die ich um meine Vergangenheit errichtet habe, einreißen. Es gab Zeiten, da hätte ich das nicht gewollt. Jetzt fühle ich mich bereit und sehe gerade Sie beide als geeignet an.
Bin ich die Summe meiner Vorfahren und meiner Vergangenheit? Oder bestimme ich selbst, wer ich sein will? Kann ich mich immer wieder neu erfinden? Was machen Freundschaft, Liebe, Hass und Schuld mit mir? Bekommt am Schluss alles einen Sinn, soll man verzeihen?
Ich weiß es nicht, aber vielleicht finden Sie beide eine Antwort.
Anbei eine Adresse, ein alter Stadtplan und zwei alte Fotografien. Ich wünsche Ihnen beiden eine gute Reise und bin gespannt, was Sie in Erfahrung bringen werden.
Mit freundlichen Grüßen
A.S. Tory
Chiara schaute mich fragend an. »Und?«
»In der Tat sehr kryptisch. Aber … macht echt neugierig. Er spricht von einer Mauer, die er um seine Vergangenheit errichtet hat. Hm … Hass und Schuld? Ob der alte Mr. Tory etwas verbrochen hat? Und was hat es mit dieser Anzeige in seiner ersten E-Mail auf sich?«
Sie zuckte statt einer Antwort mit den Achseln. Man sah ihr an, dass sie ebenfalls darüber nachgedacht hatte.
Ich nahm die Bildausdrucke in die Hand. Auf einem war ein Ausschnitt aus einem alten Stadtplan abgebildet. Auf einem anderen eine alte schwarz-weiße Fotografie mit einem Mädchen und einem Jungen, schwierig zu schätzen, vielleicht dreizehn Jahre alt, darunter zwei Namen: Greta und Fritz.
»Wer sind Greta und Fritz?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Ist es Tory? Geschwister von Tory? Freunde? Der Junge sieht dir übrigens