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Was?

      »Du möchtest frühstücken gehen? Mit mir?«, frage ich schockiert.

      »Boahr, was ist denn da dabei?«, fragt er genervt, während er die Augen verdreht. »Es ist sechs Uhr morgens und wir haben beide Hunger. Also hör auf so verflucht nervig zu sein. Ich grabe dich schon nicht an, keine Sorge.« Er schnaubt mit voller Verachtung in meine Richtung. Das ist nicht neu, verletzt mich aber jedes Mal und ich weiß nicht wieso.

      Meine Stimme ist leise und mein Ego angekratzt, als ich aus dem Fenster sehe und sage: »Darüber mache ich mir keine Sorgen.«

      »Und wieso bist du dann schon wieder so verklemmt?«

      »Bin ich nicht, ich weiß nur nicht, ob ich mit jemandem frühstücken gehen möchte, von dem ich nicht mal weiß, ob ich ihn überhaupt leiden kann.«

      Er versteift sich und umgreift das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten.

      Dann macht er mitten auf der Straße eine Vollbremsung und fährt rechts ran.

      »Spinnst du?«, keife ich, doch er greift unbeeindruckt über mich, öffnet meine Tür und starrt wieder nach vorn. Als ich mich nicht rühre, sieht er zu mir und sagt mit beängstigend ruhiger Stimme.

      »Na dann.« Sein Blick jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. »Man sieht sich.« Er macht eine kurze Pause. »Maria.«

      Diesmal klingt der Name wie das gemeinste Schimpfwort, das er kennt. Als ich wortlos aussteige, bildet sich ein Kloß in meinem Hals, den ich einfach nicht runterschlucken kann, während er wortlos davonfährt.

      Der Weg zu meinem Auto scheint endlos zu sein und abgesehen von den müden, gedankenverlorenen Gesichtern der ersten Frühaufsteher, die an mir vorbeiziehen, scheint die Stadt wie ausgestorben.

      Ich will einfach nur nach Hause. Die Ereignisse dieses Abends hätten für zehn gereicht und ich bin ausgelaugt.

      Als ich endlich an meinem Wagen angekommen bin, mache ich drei Kreuze auf meiner imaginären To-do-Liste und wiege den Kopf in meinem Nacken.

      Ich atme tief durch und als mir bewusst wird, dass ich immer noch seine Jacke trage, streife ich sie mir von den Schultern.

      Ich falte sie einmal zusammen und lege sie über meinen Unterarm, bevor ich daran rieche.

       Was? Hab ich gerade…?

      Völlig perplex werfe ich sie in mein Auto.

      Ich brauche dringend Schlaf.

       Kapitel 8

      Es sind die funkelnden Augen eines kauernden Tigers, die mir den Atem rauben. Voller Angst und einem rätselhaften Verlangen in mir starre ich zurück, während er mich taxiert.

      Aus dem Dunkel hinter mir ertönt ein quietschendes Geräusch.

      Es sieht aus wie ein verrostetes Eisentor, das in einem schwarzen Hintergrund verschwimmt.

      Als es sich öffnet, erfüllt ein dumpfes Pochen die Dunkelheit, und ein leuchtend schlagendes Herz kommt zum Vorschein.

      Ich schrecke auf und brauche einen Moment, um mich zu sammeln.

      Es war nur ein Traum. Doch auch wenn er eine willkommene Abwechslung zu meinen sonstigen Albträumen war, war er doch verdammt skurril.

      Als ich heute Morgen zu Hause angekommen bin, bin ich, so wie ich war, ins Bett gefallen. Und im Moment gibt es eigentlich genau wie jeden Morgen keinen vernünftigen Grund für mich, um überhaupt wieder aufzustehen. Doch nachdem ich, genau wie jeden Morgen, eine Stunde lang an die Decke gestarrt und mich gefragt habe, was aus meinen Leben geworden ist, tue ich es trotzdem.

      Daniel hat mir eine kleine Nachricht auf ein Post-it geschrieben, welches er mithilfe eines Fußballmagneten an unserem Kühlschrank befestigt hat.

       ›Bin beim Spiel.

      Wollte dich nicht wecken. Meld dich!

      Als ich in den Spiegel sehe, stelle ich fest, dass ich genauso aussehe, wie ich mich fühle. Meine Augen sind geschwollen und die Ränder darunter reichen fast bis zu meinem Kinn. Mein Schädel fühlt sich an wie ein Ballon und ich hab solchen Hunger, dass mir davon schon ganz übel ist. Doch ganz egal wie chaotisch und anstrengend der gestrige Tag auch war. Ich hab mich seit so langer Zeit zum ersten Mal wieder wie ein ganz normaler Mensch gefühlt.

      Was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, doch für mich ist es zu etwas Unerreichbarem geworden. Es ist unmöglich für mich, mich normal zu fühlen und es gibt Augenblicke, in denen ich mich so elend fühle, dass es unmöglich für mich ist, mit normalen Menschen zusammen zu sein.

      Heute ist definitiv einer dieser Tage, also ziehe ich mir den größten Pullover an, den ich finden kann, lege mich auf die Couch und verstecke mich vor der Welt.

      Als ich durch die verschiedenen Sender zappe, verkrampft sich meine Hand und eine bittere Erinnerung durchfährt mich wie ein Blitz.

      Es ist die Erinnerung an den ersten schweren Krampfanfall.

      Es ist die Erinnerung an den dunkelsten Tag meines Lebens.

      Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen.

      Ich schätze, das wird sich auch niemals ändern.

      Denn es ist die Erinnerung an den Tag, an dem ich mich verlor.

      In dem Moment, als das Wort Tumor zum allerersten Mal fiel, war auch in meinem Kopf zum allerersten Mal vollkommene Stille.

      Es fühlte sich an, als hätte jemand den Stecker gezogen und ich würde plötzlich in Zeitlupe leben.

      Ich sah, dass der Arzt weiterredete, doch alles was ich hörte, war der monotone Piepton in meinen Ohren. Es war der einsamste Moment in meinem Leben. Meine ganze Welt zerbrach innerhalb von Sekunden und alles, was ich tun konnte, war regungslos dabei zuzusehen.

      Genau das bin ich seitdem. Ein Zuschauer!

      Ein Zuschauer mit einem Tumor im Hirn, dessen Gefäßwände von Sekunde zu Sekunde poröser werden und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie dem Druck des Bluts darin nicht mehr standhalten können. Es ist eine tickende Zeitbombe.

      Eine tickende Zeitbombe, die in dem vergangenen Jahr auf keine Behandlung reagiert hat, sei es nun Bestrahlung oder die diversen chemischen Mittel, die sie in mich reinpumpen.

      Man muss kein Arzt sein, um zu wissen, was das bedeutet und ich habe sehr lange gebraucht, um zu begreifen, dass es keine weitere Möglichkeit gibt, mich vor dem zu bewahren, was auf mich zukommen wird.

      Es ist 17: 00 Uhr, als Daniel mit einer Pizza in das Wohnzimmer trudelt. Er ist wirklich einer von den wenigen Menschen, dessen Gegenwart mir niemals lästig wird. Bei ihm kann ich sein, wie ich bin.

      Er erträgt alle meine Launen und weiß, wann ich meine Ruhe haben will oder was er tun muss, wenn ich einen schlechten Tag hab.

      Ich bin wirklich froh, ihn um mich zu haben, und weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist.

      Als ich damals nach einem Mitbewohner gesucht hab, habe ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt.

      Ich habe ihnen meinen Gesundheitszustand geschildert und ihnen erklärt, warum ich nicht allein wohnen kann. Die meisten von ihnen hat das abgeschreckt, doch Daniel hat sofort zugestimmt.

      Seitdem hat er mir nicht ein einziges Mal das Gefühl gegeben, eine Belastung für ihn zu sein.

      Er ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte.

      ***

      Nach einem schnellen Frühstück, inklusive der sechs verschreibungspflichtigen Medikamente, die ich zweimal täglich in mich reinwerfe, beschließe ich, heute anders in den Tag zu starten.

      Ich föhne mir die Haare mit einer Rundbürste und verstecke diese dunklen Pandaaugen unter einem Make-up,

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