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Weg ermöglicht die volle Potenzialentfaltung der Familie.

      Egal, wie unsere persönliche Familiengeschichte sich also gestaltet – der mutige Blick zurück lohnt sich. Für ein tieferes Verständnis für uns selbst – und für unsere Kinder.

      INA: »ICH MACH ES GANZ ANDERS.«

      In Inas Familie wurde immer sehr unehrlich kommuniziert. Konflikte wurden nicht offen zur Sprache gebracht. Man hatte sich zugunsten der Harmonie unterzuordnen. Erst in der Pubertät erlebte Ina diese Dissonanz in vollem Ausmaß, weil sie feststellte, dass andere Familien ganz anders mit Konflikten umgingen. Bis dahin war sie davon ausgegangen, diese Art der Konfliktunterdrückung sei überall so. Die Weltsicht von Kindern ist universal, das heißt, was in ihrer Familie geschieht, nehmen sie als Istzustand an und akzeptieren es als normal.

      So begann Ina, die Konfliktbewältigung ihrer Familie als »nicht echt« anzuklagen und sich in ihrem Abnabelungsprozess völlig neue Verhaltensweisen anzutrainieren. Sie wollte es ganz anders machen als ihre Eltern und packte ab diesem Zeitpunkt jeden noch so kleinen Konflikt auf den Tisch. Allerdings erlebte sie dadurch in späteren Jahren auch die andere Seite dieser Vorgehensweise: Jede kleine Meinungsverschiedenheit in einer Partnerschaft konnte zu einem Riesenstreit führen. Auf diese Weise forcierte sie häufig so heftige Auseinandersetzungen, dass es zu Trennungen kam.

      Ina kam mit Partnerschaftsproblemen in die Beratung. Erst bei genauer Betrachtung bemerkte sie, auf welchen unterschwellig wirksamen familiären Strukturen sie ihr Leben aufgebaut hatte. Dem Versuch, alles ganz anders zu machen, hatte sie ihren Wunsch nach einem liebevollen Umgang miteinander komplett untergeordnet.

      In der gemeinsamen Arbeit erkannte sie nicht nur die eigene familiäre Prägung, sondern auch, warum ihre Eltern zu einer solchen Verhaltensweise miteinander gekommen waren. Auch sie waren – durch ihre kriegsgeprägten Eltern – nicht frei in ihrer Entwicklung gewesen und hatten das Verschweigen von Konflikten und unangenehmen Themen in der eigenen Kindheit erlernt. Indem Ina sich bewusst machte, dass jeder in ihrer Familie es so gut gemacht hatte, wie er oder sie es aufgrund der eigenen Erfahrungen eben vermochte, erlebte sie eine große innere Kehrtwende. Anstatt ihren Eltern vorzuwerfen, was sie alles falsch gemacht hatten, erkannte sie, welche Strukturen und Umgangsformen ihre Eltern und Großeltern geprägt hatten.

      Dieses Loslassen von Schuldzuweisungen führte in ihr selbst zu einer großen Lösung. Sie musste sich nun nicht mehr im absoluten Gegensatz zu ihren Eltern positionieren, sondern konnte für sich selbst das erste Mal spüren, welche wirklichen Wünsche sie für ihr eigenes Familienleben hatte. Dabei ist ehrliche Kommunikation ein wesentlicher Aspekt, aber eben nicht alles. Auch Verständnis, Verzeihen, ein liebevoller Umgang und echte Harmonie gehören dazu.

      LEON: »ICH MACH ES GENAUSO.«

      In Leons Familie war der Vater sehr streng und die Mutter diejenige, die den liebevollen Umgang mit den Kindern pflegte, das Essen kochte, Geschichten vorlas, tröstete. Der Vater war selten da, und wenn er da war, hatten die Kinder zu funktionieren. Leon stellte diese Rollenverteilung nie infrage. Er orientierte sich, so beschreibt er es, an seinem Vater mit seiner Arbeitsmoral und Disziplin und lernte, seine Gefühle nicht so stark zu zeigen. In seinem späteren Arbeitsleben neigte er dazu, sehr viel und ohne zu jammern zu arbeiten und jemand zu sein, auf den Verlass war.

      In Partnerschaften konnte er sich zum Teil öffnen und ein liebevolles Miteinander zulassen. Aber erst als er selbst Vater wurde, erlebte er einen inneren Konflikt, den er so bisher nicht kannte. »Ich wusste einfach nicht, wie ich mit unserer Tochter umgehen sollte. Meine Frau war liebevoll mit ihr und versorgte sie gut. Ich aber fühlte mich total überfordert. Gleichzeitig war da eine riesengroße Sehnsucht in mir, für meine Kleine da zu sein, aber ich hatte so eine Angst, dass ich alles falsch machen würde.«

      Seine Reaktion: viel Arbeit, um die Versorgung der Familie sicherzustellen. Denn dieses Muster kannte er und es ermöglichte ihm immerhin das Gefühl, auf diese Weise für seine Familie und besonders für seine Tochter da sein zu können. So ging er morgens früh weg und kehrte abends spät zurück und versuchte, das Duo Mutter-Tochter so wenig wie möglich zu stören. Erst als seine Frau sagte, dass er sie allein lasse, dass er gefühlskalt auf sein Kind reagiere und dass sie eine Trennung in Erwägung ziehe, erkannte er, dass er etwas ändern musste.

      Leon hatte, anders als Ina, alles gemacht, wie er selbst es in seiner Familie erlebt hatte. Auch wenn er als Kind unter der Abwesenheit des Vaters gelitten hatte, verankerte sich doch in ihm das Gefühl, dass sich ein Mann – und Vater – genau auf diese Weise zu verhalten habe. Da seine Mutter die liebevolle Bezugsperson gewesen war, überließ er diesen Aspekt seiner Frau. Er spürte den inneren Konflikt, war aber selbst nicht fähig, aus den erlernten Strukturen auszubrechen.

      In der gemeinsamen Arbeit erkannte er, dass er als Kind einen anderen Vater gebraucht hätte. Einen, der nicht immer nur arbeitet, sondern sich auch Zeit nimmt. Der mit seinen Kindern spielt und sie verteidigt, anstatt sie zu bestrafen. Er merkte aber auch, wie sich sein eigener Vater aufgrund seiner Familiengeschichte entwickelt hatte und welches Männerbild sich da von Generation zu Generation eingeprägt hatte. Der Vater hatte früh die Mutter verloren und die Erziehung der jüngeren Geschwister in einer Zeit übernehmen müssen, in der Hunger, Armut und Chaos herrschten und auf den eigenen Vater kein Verlass war. Für Leons Vater bedeutete Liebe, dafür zu sorgen, dass Essen auf dem Tisch stand.

      Durch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte veränderte sich Leons Blick auf seine Familie: Die anfängliche Wut verwandelte sich in Verständnis und Mitgefühl. Er bemerkte, dass sein Vater eine völlig eigene Form von Zuneigung gewählt hatte. Indem er dafür sorgte, dass es den Kindern an nichts fehlte und sie einen guten Start ins Leben hatten, hatte er sein Möglichstes getan. Mit diesem neuen Verständnis konnte Leon das bisher als unumgänglich empfundene Verhalten völlig neu bewerten. Er spürte, dass Liebe auch durch Väter möglich war und dass er die Wahl hatte, wie er sie seiner Tochter geben wollte.

      DAS KLEINE IM GROSSEN – FAMILIE IN DER GESELLSCHAFT

      Auch wenn es in diesem Buch um unseren kleinsten Kosmos geht, den Familienkosmos, so ist es doch wichtig, sich klarzumachen, dass alles, was im Kleinsten wirkt, auch im Großen, in diesem Fall unserer Gesellschaft, sichtbar ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es seit 75 Jahren keinen Krieg gab. In anderen Teilen der Welt finden hingegen weiterhin Kriege statt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren unsere Vorfahren katastrophalen Zuständen ausgesetzt, nachdem Deutschland schuldhaft zwei Weltkriege entfacht hatte. Mord, Verrohung, Tod, Denunziation, Folter, Verfolgung und Terror gingen mit diesen und so vielen anderen Kriegen einher. Geschichten von Schuld, Angst und Scham haben die Generationen vor uns geprägt. Verdrängung und Härte, Schmerz und Wut, Ohnmacht und Macht haben sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Schrecken nicht vorüber: Trennung, Terror, Flucht, Bespitzelung, Berufsverbote, Atomkriegsgefahr. Auch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten barg Probleme: Menschen, die so lange getrennt gewesen waren und so Unterschiedliches erlebt hatten, trafen mit der wirtschaftlichen Übernahme eines ganzen Staates und seiner Bevölkerung aufeinander. Massenarbeitslosigkeit und Verunsicherung aufgrund der globalen Herausforderungen beeinflussen unser Verhalten bis heute.

      Andere Länder und Kontinente haben nicht minder schlimme Erfahrungen gemacht, teilweise sogar katastrophale Dinge erlebt, denken wir nur an den jahrhundertelangen Sklavenhandel, an Kastensysteme, Kolonialismus, Rassentrennung und Apartheid, Reservate, Unterdrückung, Militärdiktaturen, an das Verschwinden von Menschen, an Wirtschaftssanktionen, Finanzkrisen, Folter, Bürgerkriege, Atombomben.

      Traumaexperten gehen davon aus, dass in einer Gesellschaft erlebtes Trauma häufig verdrängt wird, aus Unfähigkeit, mit dem Erlebten heilend umzugehen. Sie führen viele gesellschaftliche Probleme auf dieses jahrelange Verschweigen zurück. Gerade Menschen, die eine Traumaprägung weit von sich weisen, seien oft besonders stark traumatisiert.

      Man kann von unserer Gesellschaft als einem Traumakollektiv sprechen, einer eher willkürlich zusammengefügten Gruppe von Individuen, die alle entweder selbst Traumen von Vernachlässigung, Gewalt und Unsicherheit durchgemacht haben oder in deren Familie erlebtes Trauma seine

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