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Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band. Gerhard Henschel
Читать онлайн.Название Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9783455005011
Автор произведения Gerhard Henschel
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
In Entebbe hatten israelische Geheimdienstleute den entführten Airbus gekapert und die Geiseln befreit, bis auf den letzten Mann, und aus einem Berliner Gefängnis waren vier Terroristinnen ausgebrochen. An zusammengeknoteten Bettlaken hatten die sich abgeseilt, wie in einem Krimi. Inge Viett, Monika Berberich, Juliane Plambeck und Gabriele Rollnick. Wo die sich jetzt wohl versteckt hielten mit ihren Gangsternamen im Personalausweis? Die hörten sich schon so verdächtig an: Rollnick, Plambeck, Berberich, Viett. Nicht ganz so schlimm wie Baader und Meinhof, aber doch übler als Kater Karlo.
Zu Höherem berufen war man, wenn man so hieß wie der amtierende französische Staatspräsident: Valéry Giscard d’Estaing. Der weilte gerade zu »Konsultationen« in Hamburg.
Renate mußte in Bielefeld Klausuren nachholen und in Meppen Fahrstunden. Als Olaf bei uns ankam, um noch welche von Renates Sachen einzusammeln, wollte Mama von ihm wissen, wie er sich das denke mit dem Studium und der ganzen Wohnerei in Bonn in wilder Ehe mit Renate und so weiter und was seine eigenen Eltern eigentlich dazu sagen würden.
»Das hab ich mich auch schon oft gefragt«, sagte Olaf, und er machte schnell wieder die Biege.
Auf Geheiß von Michaels Bruder Harald setzten er und seine Freundin Martina sowie Volker, Michael, Holger und ich uns abends in der Gutenbergstraße in einer Kneipe namens Bürgerstube zusammen. Michael und ich bestellten uns jeder eine Cola, und die anderen soffen Bier.
Außer ein paar Zauseln an der Theke waren wir die einzigen Gäste. Über unseren Getränkeverbrauch führte der dicke Wirt eine Strichliste. In einer Saufkneipe hatte ich vorher noch nie gesessen und mich bewirten lassen. Für eine zweite Cola hätte mein restliches Geld noch gelangt.
Aus der Musikbox meldete sich dieser Schönling aus Prag, wie hieß er noch? Der mit diesem unverschämten Namen? Karel Gott.
Herz, Schmerz
und dies und das,
ach, das ist uralt …
Haralds Freundin war schon fast 19, hatte lange blonde Haare und stammte aus Arzheim. Geredet wurde hauptsächlich über Lehrer vom Max-von-Laue-Gymnasium, die ich nicht kannte, aber einmal auch kurz über eklige alte Kindersprüche. Den ekligsten von allen steuerte Michael bei: »Ätschibätschi, Zuckerlätschi!« Das hätten er und seine Freunde im ersten Schuljahr ausgerufen.
Dann debattierten die anderen wieder übers Max von Laue, und ich hatte allmählich genug von der Bürgerstube.
Ein Heizungsmensch, den Papa von einer anderen Firma hatte kommen lassen, fand heraus, daß die Umwälzpumpe auch bei abgestellter Heizungsanlage im Sommerbetrieb unnötigerweise mitlief. Dieser Fehler bestand schon seit der Installation der Anlage durch die Firma Gerstacker. Den Wartungsvertrag wollte Papa kündigen.
Immer, wenn mein Typ im Garten nicht gefragt war, lag ich in Renates altem Zimmer auf der Matratze und hörte Radio.
So hop on, the world is swinging,
Don’t sit and twiddle your thumbs,
Get up and meet those pretty girls, girls, girls …
Schmissig war das, aber ich konnte trotzdem ganz beruhigt liegenbleiben. Auf dem Mallendarer Berg trieben sich solche Girls nicht herum. Und wenn sie’s doch getan hätten, dann wäre ich bei ihnen abgeblitzt. Ich hatte es ja nicht einmal geschafft, als Grundschüler beim Klassenausflug Roswitha Schricker anzusprechen oder später in der Badeanstalt meine Jugendliebe Piroschka, obwohl die mir goldene Brücken gebaut hatte. Für einen Versager wie mich war es das Klügste, keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen, sondern zuhausezubleiben und Radio zu hören.
Il avait un joli nom, mon guide,
Nathalie …
Gilbert Bécaud. Der hörte sich entschieden besser an als Peter Alexander mit seinem Gesäusel von der kleinen Kneipe, wo das Leben noch lebenswert sei.
Papa reparierte die Spülmaschine. Wenn die wieder lief, sollte die Tapete in meinem alten Kinderzimmer einen neuen Anstrich verpaßt kriegen, und danach war die Garage an der Reihe.
Von den Kohlrabistiften spuckte Papa mittags fast die Hälfte wieder aus. Für Volker, Wiebke und mich brachte das den Vorteil mit sich, daß auch wir das Zeug nicht alles aufzuessen brauchten. Mir war schon vom Geruch der Appetit vergangen. Klopse und Kartoffeln, okay, aber Kohlrabi? Und dann noch so holziger?
Gerlachs hatten Bohneneintopf gegessen. Danach müffelte es bei denen im ganzen Haus. Michael und ich gingen in den Keller runter, Tischtennis spielen, wobei wir uns blaue Flecken holten, weil die Tischtennisplatte fast so groß war wie die Grundfläche des Kellerzimmers, in dem außerdem noch allerhand Gerümpel rumstand.
Wenn man die Netzkante getroffen hatte, so daß der Ball davon auf die gegnerische Hälfte abtropfte, mußte man »Sorry« sagen.
Von den fünf Tischtennisbällen war nach einer Stunde bloß noch einer heile, und der verkeilte sich nach einem Zickzacksprung von der Platte über die Zimmerdecke hinter einer alten Waschmaschine, die wir auch mit vereinten Kräften keinen Millimeter von der Stelle bewegen konnten.
Michael mußte dann sowieso noch seine Hausaufgaben machen. Mathe, Bio, Englisch und Physik.
Zuhause schmierte ich mir Brote und hörte Nachrichten. In Italien war eine Chemiefabrik explodiert und in Berlin der Justizsenator zurückgetreten. Hermann Oxfort. Gustav würde sich an dessen Namen und an das Datum des Rücktritts bestimmt noch in fünfzig Jahren erinnern. Ich wollte mir jetzt auch möglichst viele Namen merken, für immer, aber leichter als bei den Namen von Politikern aus dem zweiten oder dritten Glied fiel mir das bei den Namen von Markenartikeln wie Sexanorma, Sanursex, Repursan, Duscholux oder Libido-6. Die prägten sich mir von ganz alleine ein, ob ich das wollte oder nicht.
Mein Typ werde verlangt, rief Volker hoch, als es geklingelt hatte, und dann zählte mir der Postbote vor der Haustür 25 Mark in die Hand. Ich staunte das Bargeld an. Ein grüner Lappen und ein Heiermann! Womit hatte ich das verdient?
Das sei das Honorar für den Quatsch, den ich in der Zeitung abgesondert hätte, sagte Volker, und da begriff ich erst, was los war: Ich hatte mir diese 25 Mark mit meinem Beitrag für die »Zeit-Lupe« erwirtschaftet! Daß es auch noch Geld gab für die Glücklichen, die ihren Sermon in der Zeit in Druckerschwärze wiederfanden, hatte ich nicht gewußt. Und nun war ich auf einmal der stolze Besitzer von 25 selbstverdienten Eiern.
»Wenn du vernünftig bist«, sagte Papa, »dann legst du dir ein Sparbuch an und zahlst dein Kapital als Grundstock ein, statt alles gleich wieder zu verjuxen.«
Genau das wollte ich aber. Nach dem Mittagessen fuhr ich mit dem Bus nach Koblenz, um alles auf den Kopp zu hauen, aber das war leichter gesagt als getan, denn wohin mit dem Schotter? Ich kaufte mir ein Eis und latschte die Löhrstraße lang. Da redeten die Kowwelenzer, wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
»Willst dau hej anwaggse?«
»Mir donn die Fööß wieh …«
»Ma haddet nit leischt, awwer leischt haddet eine.«
»Isch hannen Stein im Schoh.«
»Ett gitt Leut!«
»Isch kann nimmie. Hull dau doch emo dä Kinnerware!«
»Dat könnte dir so passe.«
»Asu demm is mit dä geseschnede Kärz nit ze helwe …«
Von einem Grabbeltisch im Kaufhof fischte ich mir ein preislich stark herabgesetztes Buch über Adolf Eichmann, und dann fuhr ich zurück.
Adolf Eichmann hatte im Dritten Reich die Deportation der Juden in die Vernichtungslager organisiert und war 1960 in Argentinien von den Israelis entführt, in Jerusalem