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Kind!« rief sie dann verblüfft und schaute auf ein vielleicht zehn Wochen altes Kind, das fest schlief.

      Es herrschte tiefe Stille in dem Zimmer, als sich Frau Hortense nunmehr dem Fremden zuwandte, der zerknirscht in seinem Sessel kauerte.

      »Mein Herr, wollen Sie uns nicht erklären…?«

      Er war so blaß und verstört, daß Jonas hinauseilte und gleich darauf mit einer Karaffe Wasser und einem Glas zurückkehrte.

      Währenddessen hatte Frau Hortense das Kind von des Sohnes Arm genommen, schritt zum Sofa und bettete das Kleinchen warm und weich.

      Das Wasser half dem Fremden wieder auf die Beine, und nun stand er vor Frau Hortense und Jobst Oluf, sich in tadelloser Weise vor ihnen verbeugend.

      »Hans Heinrich Brandler«, nannte er seinen Namen und sah dann hoch, mit dem ihm eigenen treuherzigen Blick. Und er entwaffnete auch Frau Hortense.

      »Nehmen Sie wieder Platz, Herr Brandler, und erklären Sie uns die Situation, die, wie Sie wohl zugeben werden, recht seltsam ist.«

      »Ach ja«, atmete er erleichtert auf.

      »Ich heiße Hans Heinrich Brandler, wie ich schon sagte, und bin Besitzer des Gutes Groß-Löschen, das fünf Kilometer von dieser Stadt entfernt liegt. Vor etwas mehr als einem Jahr heiratete ich eine Südamerikanerin, eine Pensionsfreundin meiner Base Manuela Brandler, die Besitzerin der Herrschaft Hohenweiden ist.

      Meine jetzt von mir geschiedene Frau besuchte damals meine Base. Ich lernte Grace kennen, verliebte mich in sie, und schon acht Wochen später waren wir Mann und Frau. Wie übereilt diese Ehe geschlossen war, mußte wir sehr bald einsehen. Grace fühlte sich kreuzunglücklich in Deutschland.

      Als nun vor einigen Monaten ein Geschäftsfreund ihres Vaters anlangte, um ihr Grüße von ihren fernen Eltern zu überbringen – da – na, kurz und gut – betrog sie mich mit ihm. Ich reichte selbstverständlich die Scheidungsklage ein. Es ging auch alles glatt, und wir hätten in Frieden auseinandergehen können, wenn Baby nicht gewesen wäre. Das Kind wurde mir vom Gericht zugesprochen – und da erwachten in Grace plötzlich Muttergefühle, die bisher niemals an ihr wahrzunehmen gewesen waren.

      Ich hätte ihr das Kind auch gelassen, wenn ich sicher gewesen wäre, daß sie es liebte. Doch es war mir leider allzusehr bewußt, daß sie das Kind nur mit sich nehmen wollte, um mir weh zu tun.

      Der Tag der Abreise wurde festgesetzt, die Karten für den Dampfer bestellt und am Abend vorher Abschied gefeiert – mit sehr vielen Tränen und obligater Rührseligkeit, so daß ich annehmen mußte, es täte Grace nun doch leid, von mir zu gehen.

      Doch ich war wach – hellwach! Den größten Argwohn hegte ich gegen den Diener, den der Liebhaber meiner verflossenen Frau bei sich hatte. Ich wich daher nicht mehr von Babys Seite.

      Es war kurz vor der Abfahrt. Ich saß am Bettchen meiner Kleinen, als ich Schritte hinter mir hörte. Ich fuhr herum – und sah in die tückischen Augen des Dieners, sah seine mageren, scheußlichen Hände nach meinem Mädchen greifen. Dann sah ich noch einen Lappen, dem ein ganz scheußlicher Geruch entströmte.

      Nun begann ein lautloses, zähes Ringen; mein Jiu-Jitsu-Griff war ihm zum Glück nicht geläufig. So lag er dann bald betäubt am Boden. Ich ergriff mein Mädel, enteilte, hüllte Baby in das erstbeste Kleidungsstück, das ich fassen konnte, kurbelte meinen Wagen an und raste davon.

      Meine kleine Schaukel konnte selbstverständlich nicht mit dem großen Wagen des Galans konkurrieren, und so dauerte es nicht allzulange, bis ich merkte, daß ich verfolgt wurde. Kurz entschlossen ließ ich meinen Wagen in dieser Straße stehen, rannte die Straße hinunter und stieß auf dieses Haus, drückte auf den ersten besten Klingelknopf und drückte mein Mädel in die ersten besten Arme.

      So, nun konnte ich den Leutchen ganz seelenruhig unter die Augen treten. Bald wäre alles an der Gründlichkeit dieses Herrn gescheitert«, dabei zeigte er – nun schon ganz vergnügt – auf Jonas.

      »Doch es ging besser, als ich annahm«, erzählte Brandler weiter. »Die liebevolle Mutter mußte abziehen. Rache im Herzen – und ich habe mein kleines Mädel – Gott sei Dank!«

      Er seufzte tief auf, und sein zärtlicher Blick ging zu dem Töchterlein hin.

      »Gnädige Frau – zürnen Sie mir?« fragte er dann die Hausfrau wie ein betrübter kleiner Junge, und sie mußte wiederum lachen.

      »Herr Brandler, ich habe ganz gewiß kein Recht, Ihnen zu zürnen. Ich verstehe nur nicht, warum Sie nicht die Polizei zu Hilfe riefen.«

      »Ach – die Polizei!« winkte er geringschätzig ab. »Bis die sich erst bequemt und etwas untersucht! Der Diener war aus zähem Material, er hätte einen zweiten Anschlag nicht gescheut und hätte hinter der Polizei hergelacht – den sicheren Raub im Arme.«

      »Wenn Frau Grace es sich aber nun einmal in ihr Köpfchen gesetzt hat, das Kind zu bekommen?« ließ sich nun Jobst Olufs Stimme leise vernehmen. »Man kann den Diener ja unauffällig hier gelassen haben…«

      »Daran habe ich auch schon gedacht«, entgegnete Brandler, »und daher kann ich mein Kleinchen auch nicht mit mir nach Hause nehmen. Muß mich bemühen, ihm eine Unterkunft zu suchen, wo es geborgen ist.«

      »Das wird nicht so einfach sein«, warf Jobst Oluf bedenklich ein.

      »Ja, das weiß ich alles«, seufzte Hans Heinrich. »Wenn nur erst einige Wochen vorüber wären, denn länger dürften die Muttergefühle meiner ehemaligen Frau nicht andauern.«

      »Lassen Sie das Kind hier, Herr Brandler«, sagte Frau Hortense, einer plötzlichen Eingebung folgend.

      Zuerst begriff Hans Heinrich das Angebot nicht so recht; er sah Frau Hortense ganz verständnislos an, die ihm aufmunternd zunickte. Da sprang er auf, drückte ihre Hände in seiner impulsiven Art an die Lippen.

      *

      Nun begann in der kleinen Wohnung ein ganz anderes Leben. Das kleine Wesen, das so plötzlich in das beschauliche Dasein der drei Bewohner gefallen war, brachte eine tolle Verwirrung in diesen mit so peinlicher Sorgfalt geführten Haushalt.

      Als Brandler nach einigen Wochen die Kunde brachte, daß mit Frau Grace und ihrem Gatten – das Paar war inzwischen auf dem Schiff getraut worden – auch der Diener gefahren sei, konnte man aufatmen. Und als nach zehn Wochen aus glaubwürdiger Quelle die Nachricht kam, daß sich Frau Grace bereits wieder Mutter fühlte, war jede Gefahr vorüber. Ihr Interesse für ihr Kind aus erster Ehe war nun wohl sehr gering.

      Diese Kunde löste gemischte Gefühle aus. Brandler war glückselig, doch weniger Frau Hortense und Jonas. Selbst Jobst Oluf nahm die Nachricht nicht mit Begeisterung auf. Auch er hatte das süße Geschöpfchen liebgewonnen und sah es ungern scheiden.

      »Nun werden auch die gemütlichen Stunden, die ich in diesem Hause verleben durfte, ein Ende haben«, sagte Brandler ehrlich betrübt. »Ich möchte Baby nun wieder zu mir nehmen – und was hätte ich dann hier wohl auch zu suchen?«

      »Das hängt doch ganz von Ihnen ab, Herr Brandler«, tröstete Frau Hortense, und seine betrübte Miene hellte sich sogleich auf.

      »Ich darf wirklich herkommen, sooft ich nur will, gnädige Frau?«

      »Gewiß, mein junger Freund«, sagte sie herzlich. »Unsere Bekanntschaft – oder sagen wir ruhig Freundschaft – wurde unter so ungewöhnlichen Umständen geschlossen, daß sie nicht wieder enden darf. Außerdem muß ich unsere Didi oft sehen können, sonst sehne ich mich zu sehr nach dem süßen Kleinchen.«

      »Wirklich?« strahlte Hans Heinrich. »Dann ist es auch nicht unbescheiden, wenn ich Sie bitte, Baby noch so lange zu behalten, bis ich eine gute, zuverlässige Pflegerin gefunden habe?«

      »Ganz und gar nicht, Herr Brandler. Je länger Sie uns das Püppchen lassen, desto lieber ist es uns. Ich werde Ihnen auch helfen, eine gute Pflegerin zu finden.«

      Deshalb hatte sie auch an einem Vormittag einen Gang unternommen. Jobst Oluf war wieder

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