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nicht bezahlt werden, wofür es höchste Zeit war. Und als sich Jobst Oluf wieder zu einem schweren Gang anschicken wollte, um den Hauswirt zu bitten, ihnen die Miete zu stunden, da legte Jonas wie zufällig eine Quittung auf den Tisch, aus der zu ersehen war, daß diese bereits beglichen sei.

      »Jonas – du hast doch nicht etwa von deinem Geld…?« fragte Frau Hortense mit versagender Stimme.

      Doch der wehrte mit einer Handbewegung ab, als wäre diese Zumutung recht beleidigend für ihn. Schritt aus dem Zimmer, als lohne es sich gar nicht, weiter über die Sache zu sprechen.

      Die Herrin starrte ihm nach und brach dann in fassungsloses Schluchzen aus.

      Was Wunder, wenn Jobst Oluf über sich selbst, über die ganze Welt ergrimmte! Sich einen elendiglichen Schwächling schalt, der nicht einmal dazu imstande sei, seinen und der geliebten Mutter Unterhalt zu verdienen.

      *

      Wieder vergingen Wochen, und die drei Menschen in der kleinen Wohnung des Neubaus führten immer noch ein Leben voll Einschränkung und Not. Die tiefe Demütigung, die Mutter und Sohn empfunden, als ihnen zur Gewißheit wurde, daß sie von dem Geld des Dieners lebten, war einer stillen Resignation gewichen.

      Hätten sie geahnt, daß Jonas schon längst die kleine Summe, die er bisher als Notgroschen auf der Bank gehabt, aufgebraucht hatte – und nun anfing, seine überflüssigen Kleidungsstücke an einen Trödler zu veräußern – ihr Entsetzen wäre grenzenlos gewesen!

      Eben packte er wieder mit recht sorgenvoller Miene ein Kleiderbündel zusammen, um sich damit verstohlen zum Trödler zu schleichen.

      Sehr befriedigt kehrte er eine halbe Stunde später von seinem heimlichen Gang zurück, die alten Kleider hatten mehr gebracht, als er zu hoffen gewagt hatte. Da konnte er einmal leichtsinnig sein und der Herrin einen Kaffee brauen, wie sie ihn so gern trank.

      Er war eben im Begriff, in den Laden zu treten, der dem Neubau gegenüberlag, um Kaffee zu kaufen, als ihn eine Männergestalt seltsam fesselte. Dieser Mann hastete die Straße entlang und machte einen nervösen und gehetzten Eindruck. Er hielt einen Lodenmantel fest gegen die Brust gedrückt, der zu einem Bündel zusammengeballt war.

      Vor dem Steinkasten blieb er stehen, sah sich hastig nach allen Seiten um, als fühlte er seine Verfolger auf den Fersen und verschwand dann in dem Haus.

      Das alles kam Jonas ziemlich verdächtig vor. Ohne in den Laden zu treten, überschritt er schnell den Fahrdamm, eilte in das Haus – und blieb wie erstarrt stehen.

      Denn soeben drückte der Fremde Jobst Oluf Rave das Bündel in den Arm, zog die Korridortür hinter sich zu und wollte eiligst davonhasten.

      »Halt!« donnerte Jonas ihn an und versperrte ihm den Weg.

      »Mein Herr – ich bitte Sie – lassen Sie mich durch!« bettelte der seltsame Fremde beschwörend. »Es hängt wirklich sehr viel für mich von diesem Augenblick ab. Folgen Sie mir, und Sie werden sehen, daß ich nichts Schlechtes im Schilde führe.«

      Etwas in seiner Stimme rührte Jonas. Er wollte fragen, was das alles zu bedeuten habe, jedoch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Denn der Fremde hatte sich ganz plötzlich in einen sorglosen Herrn verwandelt, der mit ruhigen Schritten den beiden Menschen entgegenging, die soeben den Flur des Hauses betraten.

      Die Dame schien aufgelöst vor Erregung, stürzte sich auf den lächelnden Mann und schrie wie besessen: »Wo hast du Baby?«

      Die nachtschwarzen Haare, die dunklen Augen in dem tiefbrünetten Gesicht ließen darauf schließen, daß sie eine Ausländerin sei.

      Ihr Begleiter schien ebenfalls kein Deutscher zu sein, doch der Herr, den Jonas nun seit Minuten kannte, war es auf alle Fälle.

      »Was suchst du eigentlich hier, Grace?« fragte er mit lächelnder Ironie. »Was willst du eigentlich von mir? Ich an deiner Stelle würde mich hüten, in einem fremden Haus einen derartigen Skandal zu machen.«

      Das schien die erregte Dame zur Besinnung zu bringen. Ihre Stimme klang nun leise und verhalten, als sie fragte: »Wo halten du meine Baby gefangen? Es müssen sein in dieses Haus, meine Baby!«

      »Ja, gewiß – bei den Schneidersleuten oben ist es, bei denen ich soeben zur Anprobe war«, entgegnete er dreist und unverfroren.

      Diese Sicherheit verblüffte die erregte Frau. Leise weinend wandte sie sich an ihren Begleiter.

      »André – meine Baby«, schluchzte sie und lehnte sich an seine Brust, was dem Herrn anscheinend sehr peinlich war.

      »Laß doch, Grace«, sagte er. »Ich habe dir doch gesagt, daß du das Baby nicht mitnehmen kannst. Wir müssen wirklich eilen, damit wir noch den Zug erreichen.«

      »Ohne Baby ich nicht kommen mit«, schluchzte die Frau herzzerreißend.

      »Das hättest du dir früher überlegen sollen, bleibe denn hier, und ich fahre ohne dich«, entgegnete der Herr nun reichlich unwillig.

      »Sagst du, wo mein Baby ist?« zischte die Dame dem Herrn noch einmal drohend zu, der neben Jonas stand.

      »Zu Hause«, war die erschöpfende Antwort. »Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja zur Polizei gehen und die Stadt und Umgegend nach Baby durchsuchen lassen. Vielleicht wird dir das Gericht dann noch einmal deutlich klarmachen, daß du jedes Recht an das Kind verwirkt hast.«

      »Oh, du jämmerlicher Schuft!« keuchte sie, und die kleine Faust fuhr ihm unter die Nase. Da zog ihr Begleiter sie fort, zerrte sie aus dem Hause und nach dem Auto hin, das auf der Straße hielt. Als sie sich noch einmal umwenden wollte, stieß er sie ohne weiteres in das Auto hinein und schlug die Tür zu.

      Der andere Mann war ihnen gefolgt, stand nun neben dem Auto, schaute in dessen Inneres und pfiff leise durch die Zähne.

      »Oh, mein Freund ist ja auch darin.« Er verbeugte sich ironisch zu einer Gestalt hin, die neben dem Chauffeur saß.

      Er sah dem Auto nach, bis es um die Ecke verschwunden war, und wandte sich dann an Jonas, packte dessen Arm und zog ihn in das Haus hinein.

      »Kommen Sie, noch ist die Gefahr nicht vorüber«, flüsterte er ihm zu.

      Kopfschüttelnd folgte er dem seltsamen Fremden, der nun mit wenigen Schritten vor der Tür der Raveschen Wohnung stand und wie besessen klingelte. Die Tür öffnete sich, und Jobst Oluf stand vor ihnen, immer noch mit rührendem Ungeschick das rätselhafte Bündel im Arme haltend.

      Der Anblick war so komisch und rührend zugleich, daß der Fremde schnell die Tür hinter sich zuzog und dann in ein herzliches Lachen ausbrach.

      »Mein Herr, wer Sie auch sein mögen«, sagte der Fremde immer noch lachend, »ich bin Ihnen jedenfalls zu großem Dank verpflichtet. Wenn Sie mir nun gestatten wollen, ein wenig bei Ihnen zu verweilen, dann will ich Ihnen alles erklären.«

      Nun kam auch Frau Hortense herbei, die das Schrillen der Glocke aus dem Mittagsschläfchen gestört hatte. Einen Augenblick lang zögerte sie, doch dann zeigte sie mit einer einladenden Bewegung nach der Tür des Wohnzimmers und ließ den Herrn eintreten.

      Jetzt erst sah der Fremde die Menschen an, mit denen er auf so seltsame Art bekannt geworden, und tiefes Erschrecken malte sich auf seinem hübschen, offenen Gesicht.

      Er hatte geglaubt, bei Leuten zu sein, wie sie eben in derartigen Steinkästen wohnen. Erschrocken und sehr verlegen flog nun sein Blick über die kostbare Einrichtung des Zimmers, blieb an den vornehmen Gestalten von Mutter und Sohn haften.

      »Verzeihung«, stotterte er fassungslos. »Ich dachte – ich glaubte – in solchem Hause.«

      »Das tut ja wirklich nichts zur Sache, mein Herr«, sagte Frau Hortense ganz liebenswürdig. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

      Sie bot ihm einen Sitz an, den er auch sofort einnahm. Er war tief beschämt.

      »Jobst Oluf, was hast du denn da?« wandte sich Frau Hortense lachend an den Sohn, der noch immer stocksteif dastand, das Bündel mit herrlichem Ungeschick hielt.

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