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den sie noch aus ihrer Jugendzeit kannte, hatte ihm das Testament, mit dem sie ihrer Nichte das Haus vermachte, und den Raben in die Hand gedrückt, ihm kurz die Anweisung gegeben, beides Tysja auszuhändigen, und war dann, auf der Stelle und ohne weitere Ankündigung einfach tot umgefallen.

      Nun hatte Notar Rechtsprecher nicht nur die leidvolle Aufgabe, die Großnichte ausfindig zu machen und ihr vom Tod der Tante zu berichten, nein, er musste auch noch dafür sorgen, dass Trine Wackerzahn auf würdevolle Weise sein Büro verlassen konnte. Denn so eine tote Hexe macht sich wirklich nicht gut in einer anständigen Rechtsanwaltskanzlei. Und die Entsorgung musste auch noch möglichst schnell vonstattengehen, denn die Tage waren warm und irgendwann einmal beginnt auch die sauberste tote Hexe an, unangenehm zu riechen.

      Trine Wackerzahn fand schließlich ihre letzte Ruhestätte auf dem heimischen Friedhof, auf dem extra für die vielen in der Stadt lebenden guten Hexen ein Bereich abgeteilt worden war. Denn, so sagten die Bewohner von Hexenhausen, bei denen ginge es nicht immer ganz so mit rechten Dingen zu.

      Gwendolin und der Notar hatten Trine die letzte Ehre erwiesen. Sonst war niemand zu der Beerdigung erschien. Wie auch, es wusste ja keiner, dass die alte Lady zum Sterben in die Stadt zurückgekehrt war. Aber hätten sie es gewusst, die Hexenhauser, na, das ist eine andere Geschichte ...

      *

      Kleine Hexerei mit Folgen

      Im Laufe von Gwendolins Erzählung erfuhr Tysja nun auch, dass der Rabe der Familie Wackerzahn schon viele Jahrzehnte lang eng verbunden war. Ja, dass er sogar schon Trines Mutter, und deren Mutter und wiederum deren Mutter fest zur Seite gestanden hatte.

      „Hier muss wohl alles und jeder Hunderte von Jahren alt werden“, dachte die kleine Hexe, die gerade einmal 80 Lenze zählte – und so in Hexenkreisen fast noch ein „Küken“ war.

      „Das nicht gerade“, griff Gwendolin den Gedanken Tysjas auf, den diese aber nicht laut geäußert hatte. „Aber alt sind in deiner Familie alle geworden.“

      Machte eine kurze Pause und fügte hinaus: „Alle, mit Ausnahme deiner Eltern.“

      Tysja wollte hier einhaken, denn sie wusste nicht viel über Vater und Mutter, war noch zu klein gewesen, als diese starben, doch der Rabe blockte sofort ab und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.

      „Ich bin jetzt auch müde“, sagte er, „ich muss mich mal ein Stündchen aufs Ohr legen, war anstrengend heute für mich.“

      Gwendolin gähnte laut und vernehmlich, flatterte aus der Küche hinaus, den Flur entlang und dann in den ersten Stock hinauf.

      „Ich nehme wieder mein altes Zimmer“, hörte Tysja ihn noch krächzen, dann verschwand er in einem der oberen Zimmer, schloss die Tür ein wenig lautstark hinter sich und Tysja, die kleine Hexe, war das erste Mal seit zwei Tagen wieder einmal alleine.

      „Da hab ich mir ja zwei merkwürdige Hausgenossen angelacht“, schmunzelte sie. „Zwei ganz merkwürdige Genossen.“

      Sie ging zum Ofen, der auch ein Erbstück der Tante war, setzte einen Kessel mit Wasser auf, holte einen Beutel Pfefferminztee aus dem schwarzen Koffer und brühte sich eine leckere Tasse Tee auf.

      Den trank die kleine Hexe immer dann, wenn sie es sich so richtig gemütlich machen wollte.

      Und genau dies wollte sie jetzt tun – nach all der Aufregung.

      Tysja warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Oh, schon so spät“, sagte sie. „Gestern hab ich doch, irgendwo, irgendwo müssen sie doch sein ...“

      „Was“, tönte es jetzt hinterm Küchenschrank hervor.

      Amalia, die Spinne, war erwacht vom Duft des Pfefferminztees, den auch sie über alles schätzte, und auch Tysjas Gemurmel hatte sie mit angehört.

      „Was suchst du?“, fragte sie noch einmal.

      „Die Schokoladenkekse mit den Haselnussstückchen oben drauf, die suche ich“, antwortete die kleine Hexe. „Gestern habe ich sie noch in meinem Koffer gesehen. Ich mag keinen Pfefferminztee, wenn ich nicht meine Lieblingsplätzchen dazu essen kann.“

      Amalia, die jetzt wieder auf dem Küchentisch saß, direkt neben der Tasse mit Pfefferminztee, errötete.

      „Die“, stotterte sie verlegen vor sich hin, „die habe ich heute Morgen schon verputzt. Die waren so leeeecker ...“

      „Schäm dich“, antworte Tysja auf Amalias Geständnis, die noch schnell ein „Entschuldige bitte“ hinterher schickte.

      „Macht aber nichts“, tröstete Tysja, „wozu hat man denn eine Hexe im Haus.“

      Ging in den Flur, nahm wieder ihren Hexenhut vom Haken, den sie hier nun immer sorgfältig aufhängen wollte, damit er ja nicht verloren gehe, kramte den Zauberstab aus einer Schublade in der Küche hervor und rief:

      „Schlubber, Bubber, Erdbeergrubber“, nachdem sie sich – so wie es sein musste – dreimal zuvor im Kreise gedreht hatte und ein wenig Sternenstaub aus dem Salzstreuer verteilt hatte.

      Keine zwei Sekunden später stand eine Schüssel mit herrlichem Gebäck vor den beiden Freundinnen, die es sich schmecken ließen.

      „Ich will nicht unverschämt sein“, vernahm jetzt die kleine Hexe Amalia. „Aber wäre es wohl möglich, wenn du uns noch für die herrlichen, köstlichen, einzigartigen Schokoladenkekse mit Haselnussstückchen oben drauf ein wenig Sahne zaubern könntest?“

      „Nein, natürlich nicht“, antwortete Tysja, die die ganze Prozedur noch einmal vollführt. Und schon - schwuppdiwupp, stand ein Tellerchen mit Sahne vor der Spinne.

      „Köstlich, köstlich, einfach lecker. Hexen ist doch wirklich eine prima Sache.“ Jetzt war die Spinne rundum glücklich. Mit einem wehmütigen Blick fügte sich dann nach einer Weile hinzu: „Schade nur, dass ich es selbst nicht kann.“

      *

      Drei Freunde erobern ein Haus

      Die Tage zogen ins Land. Mehr und mehr nahmen die drei Freunde Hexe, Spinne und Rabe Besitz von dem kleinen windschiefen Haus in der Dümpelgasse 7.

      Wie ein Haus doch leiden kann, wenn es viele Jahre lang lieblos behandelt wird. Das kleine Fachwerkhäuschen, das natürlich rote Dachpfannen hatte, aber erholte sich nach Tysjas Einzug von Tag zu Tag mehr von seinem langen Dornröschenschlaf.

      Und weil jeder der drei Bewohner natürlich seine eigenen Ideen bei der Renovierung verwirklichen wollte, glich es bald einem wahren Künstlerhaus. Jedes Fachwerk war in einer anderen Farbe gestrichen, hier rot, dort gelb und blau, mal violett, mal rosarot, und auch die kleinen, hutzeligen Fensterrahmen hatten jeder eine andere Farbe aufzuweisen.

      Bald schon sagten die Leute: „Schaut nur, das ist das Haus von Tysja, der kleinen Hexe mit den roten Haaren. Ist es nicht schön geworden! Wisst ihr noch, wie schäbig es vor Wochen noch war?“

      Irgendwann hieß das Haus in der ganzen Stadt dann auch nur noch Sonnenhaus, weil es den Menschen beim Anblick so viel Freude machte und ihnen das Herz erwärmte.

      Natürlich hatte sich auch im Inneren des Hauses viel getan. Jeder der drei Bewohner hatte sein kleines Reich für sich. Der Rabe Gwendolin im Obergeschoss, da hatte er zumindest hin und wieder einmal Ruhe haben wollte vor dem „Weibsvolk“ – wie er Tysja und Amalia nannte.

      „Da habe ich außerdem den besseren Überblick“, hatte er seine Entscheidung offiziell begründet. Außerdem, auch das hatte Gwendolin angemerkt, hatte er das Zimmer früher schon einmal bewohnt.

      Die Spinne Amalia hatte sich in der Küche gemütlich eingerichtet, nicht zuletzt, weil sie eine kleine Naschkatze war. Auch Tysja hatte ihr kleines Zimmerchen im Erdgeschoss noch ein wenig schöner gemacht, Kerzen aufgestellt, Gardinen

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