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erstaunt war sie, als vor der selbigen ein von einem Fuß auf den anderen tretender Notar Rechtsprecher stand.

      „Guten Morgen“, sagte er, wartete gar nicht erst die Antwort der kleinen Hexe ab, sondern drängte an ihr vorbei ins Haus.

      Anscheinend kannte er sich hier gut aus, denn ohne nach dem Weg zu fragen, ging er schnurstracks in die Küche, wo er von Amalia mit den Worten „Na, du alter Rechtsverdreher, lebst du auch noch“, empfangen wurde.

      Offensichtlich kannten sich die beiden gut, denn Notar Rechtsprecher konterte gleich in Amalias Richtung: „Hallo Amalia, lange nicht gesehen. Ich dachte schon, dich hätten längst die Vögel gefressen.“

      Nachdem nun die Begrüßung mehr oder weniger herzlich ausgefallen war, ließ sich der Notar auf einen Stuhl fallen, um sofort wieder aufzuspringen. Dann tischte er sein Anliegen auf. „Tysja“, begann er, „als wir gestern miteinander gesprochen haben, da habe ich etwas ganz Wichtiges vergessen.“

      Und das war ihm peinlich, denn Notar Rechtsprecher sammelte nun mit der rechten Hand die Krümel vom Tisch ein, die dort noch von dem ausgiebigen Mahl lagen, und friemelte mit der linken Hand in seinem spärlichen Haar.

      „Etwas ganz Wichtiges“, betonte er nochmals und warf Tysja, die am Küchentisch Platz genommen hatte, einen vielsagenden Blick zu.

      „Etwas ganz ganz Wichtiges“, fügte er hinzu und trat wieder ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

      „Machen Sie es doch nicht so spannend“, Tysja konnte es vor lauter Neugier kaum noch aushalten.

      Die Tante Trine, so begann der Notar endlich, hatte Tysja nicht nur das Haus hinterlassen, sondern auch noch einen Mitbewohner.

      „Ach, das weiß ich doch schon“, freute sich die kleine Hexe und warf Amalia, die inzwischen zur Küchenlampe emporgekrochen war und sich dort niedergelassen hatte, einen freundlichen Blick zu.

      „Nein“, schüttelte Rechtsprecher den Kopf. „Es handelt sich nicht um Amalia, sondern um Gwendolin, Trines Raben.“

      Und den hatte der Notar gleich mitgebracht. Er fasste in seine Jackentasche, die, wie Tysja und Amalia, die bei der Nennung des Namens Gwendolin leicht gehüstelt hatte, erst jetzt bemerkten, ziemlich ausgebeult war.

      In der Jackentasche steckte der gefiederte Freund.

      Diesem aber widerstrebte es offensichtlich, die warme Behausung zu verlassen, denn Hand und Rabe schienen im Verborgenen der Jacke einen kleinen Kampf auszutragen.

      „Manchmal ist er ein wenig stur“, stieß der Notar in Tysjas Richtung hervor, „aber wirklich nur manchmal.“

      „Stur, stur“, krächzte es aus der Jackentasche, „stur ist hier nur eeeiiiner.“

      Dann hatte Gwendolin den Kampf verloren. Notar Rechtsprecher hob das Tier siegessicher empor, doch konnte es sich Gwendolin nicht verkneifen, den Mann, der ihn in diese unmögliche Situation gebracht hatte, noch einmal kräftig in den Finger zu zwicken.

      „Autsch“, schrie der so Traktierte auf, gab dem Raben noch einen Nasenstülpser auf den Schnabel und setzte ihn schließlich auf dem Küchentisch ab, wo Gwendolin sofort begann, die wirklich allerletzten Krümel aufzupicken.

      Tysja und Amalia hatten das Geschehen bis zu diesem Zeitpunkt fassungs-, vor allen Dingen aber sprachlos verfolgt.

      „Potzblitz“, entfuhr es nun der kleinen Hexe. Ungläubig rieb sie sich die Augen. „Na, das ist mir ja eine merkwürdige Erbschaft.“

      Amalia sagte nichts.

      „Alles erledigt“, resümierte nun der beflissene Notar, dem dieser unsägliche Dienst aufs Auge gedrückt worden war. „Meine Damen, Gwendolin, ich empfehle mich.“

      Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ward plötzlich nicht mehr gesehen. Ganz so, als hätte er sich von einem Augenblick zum nächsten in Luft aufgelöst.

      „Was war das denn für ein Abgang?“, hörte man nach einer ganzen Weile auch Amalia wieder.

      Und zum Raben gewandt sagte sie: „Lange nicht gesehen, schwarz Gefiederter.“

      Der so Angesprochene aber machte keine Anstalten, sich mit einer der beiden Hausbewohnerinnen zu unterhalten. Er war wohl noch immer beleidigt, pickte aber weiter die Krümel vom Tisch und brummte etwas vor sich hin, was aber weder Tysja noch Amalia genau verstanden, das sich aber so wie „So was nennt man nun Brotzeit“ anhörte.

      „Du alter Meckerer“, griff Amalia den Raben an, „du musst es ja nicht essen.“

      Immerhin war sie es gewesen, die das Frühstück aufgetischt hatte, und dafür schon ziemlich früh aus den Federn gekrochen war.

      „Verdammich noch mal, Ruhe hier“, entfuhr es jetzt Tysja. Sie wurde selten böse, aber wenn es dann doch einmal geschah, dann suchte der so Gescholtene besser einmal das Weite, denn Madam Fliegendreck konnte schon ganz schön ungemütlich werden.

      „Das hier ist mein Haus. Ich habe euch nicht eingeladen, bei mir zu wohnen. Wenn ihr es doch wollt, dann vertragt euch gefälligst!“

      Gwendolin und Amalia schauten erst sich, dann Tysja erschrocken an. Wie konnten einer so kleinen, freundlich drein blickenden Person nur solch unsanfte Worte entgleiten, schienen sie sich zu fragen. „Ganz der Fritz“, bemerkte nun Gwendolin in Richtung Amalia, „ganz der Fritz.“

      Und das waren die ersten verständlichen Worte, die der Rabe in seinem neuen Zuhause von sich gab.

      „Ja, ja, die Fliegendrecks“, ließ sich nun auch Amalia vernehmen, „wenn die mal sauer werden, dann ist mit denen nicht gut Kirschen essen.“

      „Ich verdrücke mich jetzt“, sagte Amalia noch, „nach dem Essen muss ich ein wenig ruhen.“

      Dann kroch sie von dannen und nahm ihren Lieblingsplatz hinterm Küchenschrank ein.

      *

      Das Testament der Tante Trine

      „Da hinterm Küchenschrank hat Amalia schon immer gern gesessen“, lachte der Rabe urplötzlich auf. „Da kann sie nämlich im Verborgenen alles mit anhören, was hier in der Küche gesprochen wird, und ist trotzdem unsichtbar. Aber das alles kannst du ja nicht wissen.“

      „Nein, das kann ich nicht“, entfuhr es der kleinen Hexe, der ihr plötzlicher Wutausbruch von vorhin schon wieder leidtat. „Überhaupt habe ich nicht den leisesten Schimmer, was hier überhaupt vorgeht.“

      „Nun, da kann ich dir weiterhelfen“, antwortete Gwendolin, „ich kenne die ganze Geschichte in- und auswendig.“

      Und dann legte er los, ohne dass Tysja auch nur noch ein Wort sagen musste.

      Erzählte von Tante Trine, die viele Jahre lang im Ausland gelebt hatte und erst kurz vor ihrem Tod nach Hexenhausen zurückgekehrt war. Berichtete von den vielen Reisen, die er, Gwendolin, gemeinsam mit der Tante unternommen hatte.

      „Die Trine nämlich hat es verstanden ihr Leben zu genießen“, sprach er wehmütig. „Die hatte nichts übrig für diesen ganzen Firlefanz, für all das, was ihr hier so Familie nennt. Nur mich mochte sie stets um sich haben, wir waren wirklich gute Freunde.“

      Natürlich erzählte der Rabe auch von Trines letzten Tagen.

      „Sie ahnte, dass ihr nicht mehr lange Zeit bleiben würde.“ Gwendolin war bei dem Gedanken an sie den Tränen nahe. „Dann hat sie sich deiner erinnert“, sagte er zu Tysja und blickte ihr in die Augen. „Du bist ihre Großnichte. Dein Vater war der Sohn ihrer Schwester Mimi. Sie hat dich aber nur einmal gesehen, vor vielen Jahren, als du noch eine sehr sehr kleine Hexe warst.“

      Und natürlich

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