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bei uns nicht Ouzo von einem Witz folgende Eigenschaften: „Ein Witz sollte um des Hörers oder Lesers willen schnell sein Ziel erreichen. Andererseits muss alles – dann aber wiederum nur das – gesagt werden, was zur Realisierung der Pointe nötig ist. Es ist der Witz selbst, der Kürze will. Genauer: Nicht er selbst, sondern unser Bewusstsein von ihm. Metaphorisch aber ist es in der Tat ‚er selbst‘. Er will also möglichst schnell zur Pointe und – mit ihr und durch sie – zu der kleinen Explosion kommen, die das Lachen oder das Lächeln des Hörers sind.“ Gauger vertritt daher das Prinzip: „so lang wie nötig, so kurz wie möglich“, schränkt jedoch anschließend ein: „Zur nötigen Länge gehört aber auch (rien n’est simple) eine gewisse Farbigkeit, eine gewisse andeutend situierende Ausgestaltung, also durchaus nicht nur das rein logisch oder intellektuell Notwendige.“ (Gauger, 2006, S. 14–15)

      „Witze, sind die kürzeste und präziseste Form erzählter Literatur“, meinte einmal Hellmuth Karasek, er war einer der vier Diskussionsteilnehmer des Literarischen Quartetts. Gute Witze unter Literatur einzureihen, wird nicht falsch sein – in einem gut erzählten Witz muss jedes Wort „sitzen“. Und manche Sprachwitze, die sich der Dialogform bedienen, sind eigentlich allerkürzeste Minidramen. Situationswitze sind allerkürzeste Kurzgeschichten.

      Mit dem Satz „Nein, der Witz geht ganz anders“ könnte man auch die viel beachtete Polemik Friedrich Torbergs gegen Salcia Landmann und ihr 1960 im Schweizer Walter Verlag erschienenes Buch Der jüdische Witz überschreiben. Salcia Landmann, geboren in Żółkiew, damals Galizien, heute Ukraine, war die Tochter des Ehepaares Israel Passweg und Regina Passweg, geborene Gottesmann. Während des Ersten Weltkriegs übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz nach St. Gallen. Sie promovierte in Philosophie und heiratete den Philosophen Michael Landmann. Ihre schriftstellerische Arbeit verstand sie als „stilles Requiem auf die untergegangene ostjüdische Kulturwelt“.

      Das erinnert ein wenig an Friedrich Torbergs Bestreben, der jüdischen Kultur, die durch die Schoah vernichtet wurde, ein Denkmal zu setzen. Sein erfolgreichstes Buch, Die Tante Jolesch, trägt den Untertitel „Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“.

      Im Oktober 1961 erschien in der Zeitschrift Der Monat jene Polemik Torbergs, die in der Folge hohe Wellen schlagen sollte. Ihr Titel: „Wai geschrien!“ oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz. Anmerkungen zu einem beunruhigenden Bestseller. Torbergs Aufsatz wurde seither oft in Auszügen zitiert, ich wollte den gesamten Artikel lesen. Also bestellte ich in der Nationalbibliothek den 14. Jahrgang der Berliner Zeitschrift und las in Heft 157 den durchaus vergnüglichen Beitrag. Anhand einiger Beispiele zeigt Torberg, wie Salcia Landmann die Witze ruiniert hat. Der folgende Witz über das Witzeerzählen selbst war bereits in den 1930er Jahren publiziert worden, in einem Buch, das im Titel nicht das Wort „Witze“, sondern den Ausdruck „Schwänke“ stehen hatte.

      Ein Bauer lacht dreimal über einen Witz: das erste Mal, wenn man ihn erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt, und das dritte Mal, wenn er ihn verstanden hat.

      Ein Pachtherr lacht zweimal: das erste Mal, wenn man ihm den Witz erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt. Verstehen wird er ihn nie.

      Ein Büttel (= Polizist) lacht nur einmal: wenn man ihm den Witz erzählt; denn er verbietet dir, den Witz zu erklären, und verstehen wird er ihn deshalb nie.

      Erzählst du den Witz einem Juden, so unterbricht er dich: „Ach, was, ein alter Witz!“ und er kann ihn dir besser erzählen.

      (Joffe, S. 37, basierend auf Olsvanger, S. 3)

      Das ist ein schöner Metawitz, ein Witz über den Witz beziehungsweise über das Witzeerzählen, und er hat einen subtilen Inhalt. Die beste Interpretation dieses Witzes habe ich in Josef Joffes empfehlenswertem Buch über den jüdischen Humor mit dem Titel Mach dich nicht so klein … gefunden. „Die Gojim, also die Christen, sind aus Sicht des Erzählers grundsätzlich nicht besonders helle“, schreibt der angesehene Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, „aber der Landbesitzer und der Polizist, die Mächtigen, sind noch blöder als der Bauer, der in der Hierarchie nur knapp über dem Juden steht und deshalb schon fast ‚einer von uns‘ ist.“ Auf diese Weise „erhebt sich der Jude über seine Umwelt“. Für den osteuropäischen Schtetlbewohner, der selber fast nie Land besitzen durfte, „ist der Verpächter eine wirtschaftliche und der Polizist eine existenzielle Bedrohung, weil er eine willkürliche Staatsmacht vertritt. (…) Diesen Typen ihren geistigen Rückstand zu bescheinigen, bietet seelischen Trost in auswegloser Lage.“ Eine andere Interpretation könnte lauten: „Bleib auf dem Teppich. Du hast zwar die besseren Pointen, aber die haben die Macht.“ (Joffe, S. 37–38)

      Landmann kannte die Quelle, aber sie veränderte den Schluss.

      Erzählt man aber einem Juden einen Witz, so sagt er: „Den kenn’ ich schon!“ – und erzählt einen noch besseren. (Landmann, 1960, S. 510)

      Dass Torberg diese Veränderungen sauer aufstießen, ist verständlich. „Nein! Nein! Erstens sagt er nichts, denn das würde bedeuten, dass er den Witz bis zum Ende anhört – er unterbricht ihn. Zweitens erzählt er nicht einen noch besseren, denn das würde bedeuten, dass er den ersten für gut hält – er hält ihn aber für schlecht. Und drittens erzählt er überhaupt keinen besseren, denn das würde bedeuten, dass er einen anderen erzählt – er erzählt aber den gleichen Witz anders, weil er überzeugt ist, ihn besser erzählen zu können.“ (Torberg, Wai, S. 49)

      Ein Geschäftsmann kehrt von einer längeren Reise zurück und erfährt, dass in der Zwischenzeit einer seiner besten Freunde gestorben ist. Sogleich begibt er sich auf den Friedhof, um am Grab des Verstorbenen das Totengebet zu verrichten.

      Hier ruht Samuel Kohn

      Ein ehrlicher Mensch

      Ein guter Kaufmann

      lautet die Inschrift, die er auf dem Grabstein liest.

      „Armer Sami“, murmelt er. „Mit zwei wildfremde Leut’ haben sie dich ins Grab gelegt.“ (Torberg, Wai, S. 49)

      Ein großartiger Witz. Was hat Salcia Landmann daraus gemacht?

      Eine Jüdin spaziert auf dem Friedhof umher und liest die Aufschriften auf den Grabsteinen. Sie liest unter anderem

      Hier ruht Jossel Rosenblum, Kantor

      Ein frommer Mann

      Ein tugendhafter Mann

      „Gott über die Welt“, ruft die Jüdin entsetzt, „drei Juden unter einem einzigen Stein.“ (Landmann, 1960, S. 214)

      Torbergs Kommentar liest sich auch in diesem Fall amüsant: „… was soll damit gewonnen sein, dass Jossel Rosenblum Kantor ist? Seit wann werden auf den Grabsteinen die Ruf- oder Kosenamen der Beerdigten angegeben (Jossel statt Josef)? Seit wann ‚spazieren‘ Jüdinnen auf Friedhöfen? Und wer, vor allem, hat jemals von jüdischen Lippen den Ausruf ‚Gott über die Welt‘ gehört?“ (Torberg, Wai, S. 50)

      Weil die von Torberg inkriminierten Witze im Original so großartig sind, noch ein drittes Beispiel, auf das ich in einem späteren Kapitel zurückkommen werde (siehe S. 245 f.).

      „Ornstein, was ist los mit Ihnen?“, ruft aufgeregt ein Passant, der im Straßengewühl auf einen anderen zugetreten ist. Früher waren Sie groß – jetzt sind Sie klein. Früher waren Sie dick, jetzt sind Sie mager. Früher hatten Sie eine Glatze, jetzt haben Sie Haare. Früher …“ – „Aber ich heiße ja gar nicht Ornstein“, kann der Angeredete endlich unterbrechen. „Was?! Ornstein heißen Sie auch nicht mehr?“ (Torberg, Wai, S. 50)

      Salcia Landmann lässt den Rufer seinen Text abspulen, nachdem er über den Irrtum informiert wurde.

      „Hallo Ornstein!“ – „Ich heiße doch gar nicht Ornstein.“ – „Herr des Himmels! Wie kann sich ein Mensch nur so verändern. Die Figur ist verwandelt, die Haarfarbe, die Nase auch – und sogar der Name ist ein anderer geworden.“ (Landmann, 1960, S. 237)

      Torberg kritisiert außerdem Fehler in Landmanns Buch, „über die sich nicht streiten lässt“: Falsche Sterbedate von Arthur Schnitzler und Henri Bergson, ein falsches Geburtsdatum

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