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höher auflösende Sinneswahrnehmungen als normale Menschen. Was normal auch immer sein mag. Neben dem brutal intensiven Geruch der zerstörten Tomaten rieche ich als erstes Angst. Todesangst. Ich rieche Bens Angst.

      Und dann ist da ein vertrauter Geruch, nur viel, viel intensiver. Der Geruch von Dämonen. Er ist sehr spezifisch, für geübte Nasen wie meine gut erkennbar. Auch Katharina hat diesen Geruch, allerdings nur dezent. Hier jedoch, in diesem Gemüsegarten, waren Vollblutdämonen unterwegs. Damit ist jeder Zweifel ausgeräumt – es waren keine Menschen. Wie konnte ich das auch nur annehmen? Dieser Geruch hätte mir auffallen müssen in der Bank, wäre er auch ohne den allgegenwärtigen Gestank toter Seelen. Fiona! Ich korrigiere, nicht die Seelen stanken, sondern ihr brutaler Tod.

      In der Zwischenzeit sind Jack und zwei Polizisten auch da. Jack sieht mich vorwurfsvoll an, spart sich aber jede Bemerkung bezüglich meiner Stunteinlage.

      „Hast du was rausgefunden?“

      Ich mustere kurz die beiden Polizisten und deren mitleidigen Gesichtsausdruck, dann wende ich mich Jack zu. „Ja.“ Statt einer weiteren Erklärung folge ich der gut sichtbaren und noch besser riechbaren Spur. Ziemlich eindeutig verließen die Entführer das Grundstück auf demselben Wege, auf dem sie gekommen waren. Der riesengroße Gemeinschaftsgarten des Mietshauses grenzt an einen öffentlichen Erholungspark, durch einen mindestens zwei Meter hohen Maschendrahtzahn davon abgetrennt.

      „Auf der anderen Seite geht es weiter“, stellt Jack lakonisch fest.

      Ich betrachte den Park. Etwas weiter südlich fließt die Labe, spätestens darin würde ich die Spur verlieren. Außerdem sind in dem Park zu viele Leute unterwegs.

      „Manchmal liebe ich deinen Humor, Jack. Hast du hier noch was zu tun?“

      „Alle wären froh, wenn ich sie hier nicht bei der Arbeit stören würde. Kann ich dir von unserem hervorragenden Kaffee in der Zentrale anbieten?“

      „Sandras Kaffee? Jederzeit.“

      Wir fahren in die Polizeizentrale, getrennt. Im Vorzimmer des Polizeichefs werde ich überschwänglich von Sandra begrüßt. Erstaunt stelle ich fest, dass ich Jack überholt habe. Ich lümmle mich in den Chefsessel und lege die Beine auf die Lehne. Dabei fallen mir die roten Tomatensaftflecken auf. Sie sehen wie Blutflecken aus.

      Jack und Sandra kommen gleichzeitig, sie mit dem Kaffee. Nachdem sie wieder draußen ist, halte ich fragend meine Zigarettenschachtel hoch. Jack nickt. Ich zünde mir eine Zigarette an und betrachte ihn neugierig.

      „Ich habe ein paar Leute angesetzt, Bens letzte Fälle anzuschauen. Oder findest du es nicht seltsam, dass er entführt wurde?“

      „Ich finde im Moment alles seltsam“, erwidere ich melancholisch.

      „Fiona? Alles in Ordnung?“

      „Bestimmt“, versichere ich und nehme einen tiefen Zug. „Jack, ich habe noch nie davon gehört, dass Vollblutdämonen sich mitten am Tag einen Menschen holen. Auf diese Weise nicht einmal nachts. Und noch ungewöhnlicher ist dieser Banküberfall.“

      „Er ist jedenfalls Thema Nummer eins in den Medien. Aber nicht mehr lange. Schwuler Polizist wird entführt, sein Freund ausgeweidet, und das mitten am helllichten Tag in einer bewachten Luxuswohnanlage.“

      „Klingt nach einem Schundroman.“

      „Leider.“

      Ich grinse leicht. „Es müssten vier oder fünf Dämonen sein, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie völlig unbemerkt durch die Gegend laufen.“

      „Ich auch nicht, deswegen lasse ich jeden Polizisten der Stadt alles auseinandernehmen, was irgendwie auffällig ist.“

      „Du warst ja richtig fleißig.“

      Jack seufzt, dann setzt er sich an seinen Schreibtisch. Nachdenklich mustert er mich. „Du hast dich verändert.“

      „Ich esse keine Menschen.“

      Er lacht. „Das wollte ich damit auch nicht behaupten. Ich schätze, du wirst mir den Grund nicht erzählen.“

      „Warum ich keine Menschen esse? Oh, das ist einfach. Sie schmecken mir nicht.“

      „Ich sollte dir die Zigaretten wegnehmen, sie tun dir offensichtlich nicht gut.“

      „Versuchs doch!“ Ich grinse. „Du und James, ihr seid euch sehr ähnlich.“

      „Und das heißt konkret?“

      „Ihr bringt mich beide gezielt zum Lachen, wenn ich scheiße drauf bin.“

      „Ach, das meinst du.“

      „Und ihr werdet alt.“ Zack. Das konnte ich mir nicht verkneifen. Für einen Moment bin ich unsicher, ob ich nicht zu weit gegangen bin. Mit James kann ich das machen, das weiß ich. Aber Jack kenne ich nicht so gut. Doch dann entspannen sich seine Gesichtszüge und er stellt fest: „Du bist respektlos. Aber auf eine charmante Weise.“

      „Autsch.“

      „Ich wünschte, ich hätte eine Tochter wie dich.“ Und zack. Er ist ein guter Sparringspartner.

      „Jetzt sind wir wohl quitt und können ernsthaft arbeiten“, erwidere ich. Er grinst.

      Mein Handy macht Höllenkrach. Wer zum Teufel hat „Race with the Devil“ als Klingelton eingestellt?

      „Was ist das?“, fragt Jack entgeistert.

      „Mein Motto: Race with the Devil.“ Ich muss grinsen, während ich den Anruf annehme. „Hallo, mein Schatz.“

      „Hi. Störe ich?“

      „Du? Niemals!“

      „Ich werde dich gegebenenfalls daran erinnern. Wo bist du?“

      „Bei Jack im Büro.“

      „Grüß ihn von mir. Gehe ich recht in der Annahme, dass du nicht in der nächsten halben Stunde nach Hause kommst?“

      „Ich könnte auf die Idee kommen, Einsteins Relativitätstheorie zu widerlegen, dann doch.“

      „Schatz, hübsche Blondinen haben keine Ahnung von Physik, also zerstöre bitte nicht mein Weltbild.“

      „Du bist ansatzweise zynisch.“

      „Zum Glück nur ansatzweise. – Und, wie sieht es aus?“

      „Beschissen. Sie sprangen mal eben im zweiten Stock durch das Fenster, fraßen Bens Spielkameraden halb auf und sprangen wieder aus dem Fenster. Dabei nahmen sie Ben mit. Ob als Proviant oder aus weniger niederen Gründen, lässt sich derzeit nicht sagen.“

      „Nenn du mich noch einmal zynisch.“

      „Wusstest du eigentlich, dass er schwul ist?“

      „Gewusst nicht, aber ich hatte so eine Vermutung. Nur ist das nichts, was man einfach mal so fragt.“

      „Ja, das ist wahr. Manchmal erschreckt mich meine eigene Naivität. – Bist du eigentlich noch bei meinen Eltern?“

      „Wir sind.“

      „Klasse. Frag bitte meine Mutter, wie man Tomatensaftflecken aus Jeans entfernt.“

      „Wie bitte?“

      „Tomatensaftflecken. Jeans. Entfernen.“ Ich sehe Jack strafend an, der sich vor Lachen verschluckt.

      „Warum fragst du sie nicht selbst?“, fragt James säuerlich und reicht mich weiter.

      „Mama?“

      „Mein Kind, James hat erzählt, was passiert ist. Ich habe davon ja auch im Fernsehen was gesehen, das ist ja schrecklich.“

      „Im Fernsehen wurde berichtet, dass ich Tomatensaftflecken auf der Hose habe?“

      „Was?“

      Ich zünde mir mit einer Hand eine neue Zigarette an, und Jack sieht sich ungerührt

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