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      „Ich habe ja auch nicht gesagt, dass sie es war. Ich wollte dich lediglich darauf hinweisen, dass es Dämonen gibt, die sich mit Geld abgeben.“

      „Ja.“ Ich steige aus der Badewanne.

      „Oh je, du hast ja wirklich schlechte Laune.“

      Seufzend bleibe ich stehen, dann lasse ich mich von ihm trocken rubbeln. Dass ich dabei an einer Stelle nur noch nasser werde, ist ein eindeutig gewollter Nebeneffekt.

      Ich gehe in die Hocke. Hinter dem Gestrüpp bin ich unsichtbar, aber selbst sehe ich alles. Es regnet wie aus einer Gießkanne. Meine Sachen sind völlig durchnässt und kleben unangenehm auf der Haut. Am liebsten würde ich mich nackt ausziehen, aber kalte Windböen halten mich davon ab. Ich drücke den Rücken gegen den Baumstamm hinter mir und lege die Arme um die Beine. Ich zittere, es ist plötzlich kalt. Das Wasser dringt durch die Kleidung, alles an mir ist nass.

      Wo bin ich?

      Um mich herum Gestrüpp. Ein Baum. Grauer Himmel, aus dem es Bindfäden regnet. Geräusche. Ich wende den Kopf nach rechts und versuche durch die Sträucher hindurch zu erkennen, wo sie herkommen. Da ist ein Weg, schlängelt sich durch den Wald. Eine Prozession kommt, eine Beerdigung. Vorne gehen die Sargträger mit dem Sarg. Dutzende von Schwarzgekleideten.

      Etwas ist seltsam. Ich krieche unter dem Gestrüpp auf den Weg zu, um besser sehen zu können. Kinder. Es sind Kinder. Alles nur Kinder, gekleidet wie Erwachsene. Selbst die Sargträger sind Kinder.

      Es ist gespenstisch. Bis auf den Regen ist nichts zu hören. Die Gesichter der geschätzt 80 Kinder, die dem Sarg folgen, sind regungslos, wie Masken. Nirgendwo ein Regenschirm, eine Kapuze. Die in Anzüge und Kleider gekleideten Kindern sind genauso nass wie ich.

      Ich warte, bis die Prozession vorbeigezogen ist, dann krieche ich auf den Weg. Aufgerichtet folge ich den Kindern. Es fühlt sich an, als würde ich durch einen See waten, so dicht ist inzwischen der Regen. Wenn ich den Mund aufmache, ertrinke ich. Am Wegesrand stehen Laternen, deren Licht sich im Wasser zerstreut.

      Die Prozession erreicht ihr Ziel, die Kinder stellen sich um ein ausgehobenes Grab herum auf. Die Sargträger lassen den Sarg hinunter in das Loch, während die anderen Kinder einen seltsamen Singsang anstimmen, wie Kinder im Vorschulalter oft singen. Das Bild ist verrückt: Sie geben sich wie Erwachsene und dann dieser Gesang. Ich erschaudere, während ich die Kinder aus einem Versteck heraus beobachte. Der Regen ist mein Versteck.

      Nachdem das Grab zugeschaufelt ist, löst sich die Gruppe auf und die Kinder zerstreuen sich in allen Richtungen. Schließlich bin ich allein. Allein mit den Toten. Ich warte noch ein paar Minuten, bevor ich zum Grab laufe. Für mich wäre es zu klein, aber warum sollten ausgerechnet Tote erwachsen sein in dieser Kinderwelt?

      Wer bin ich und was tue ich hier??

      Die erste Frage bleibt offen, die zweite beantworte ich mir selbst, indem ich damit beginne, das Grab wieder auszuheben. Mit bloßen Händen ist das eine mühselige und dreckige Arbeit, vor allem, da sich die Erde durch den Regen in einen Sumpf verwandelt. Dennoch habe ich irgendwann endlich den Sarg freigelegt. Ich lege mich auf den Bauch und versuche, den Deckel hochzuziehen. Auf dem nassen Holz rutschen meine Finger immer wieder ab, meine Fingerspitzen bluten schon. Doch schließlich schaffe ich es, den Deckel mit beiden Händen so festzuhalten, dass ich ihn anheben und dann von unten packen kann. Ich ziehe ihn heraus und werfe ihn achtlos zur Seite.

      Im Sarg liegt ein Kind, doch es ist zu dunkel, als dass ich viel erkennen könnte. Ich suche meine Taschen ab nach etwas, womit ich Licht machen könnte. Aber selbst wenn ich etwas bei mir gehabt hätte, wäre es inzwischen durch den Regen unbrauchbar geworden. Ich lege mich also erneut in den Schlamm und ziehe stöhnend und ächzend den Sarg aus dem Grab. Jetzt kann ich das Kind besser erkennen.

      Ein zehnjähriges Mädchen, die Hände ordentlich auf dem Bauch gefaltet, die Augen verschlossen. Sie sind grau. Das weiß ich sehr genau, denn ich starre entgeistert auf mich selbst.

      Graue Augen, die ins Nichts starren. Die Augen einer Toten? Ich trete so weit zurück, dass ich meinen Körper im Spiegel sehen kann. Ist das wirklich eine 26-Jährige?

      Bin ich das wirklich?

      Mir ist kalt. Als ich die Arme um mich lege, fällt mir auf, dass ich mich umarme. Was ist los mit mir? Wie kann ein Traum mich derart verwirren? Was bedeutet er?

      Mir ist klar, dass er eine Botschaft ist. Ich habe als Kriegerin oft genug mit Dingen zu tun, die sich in kein rationales Weltbild pressen lassen, mich eingeschlossen. Aber dieser Traum ist etwas sehr Persönliches. Der Anblick meines Kind-Ichs hat etwas sehr Tiefes berührt, und ich kann nicht einordnen, was das für Gefühle sind, die mich fast in einen Zombie verwandeln. Und das Letzte, was ich jetzt sehen will, ist die Visage des Psychoterroristen. Er weiß eh schon viel zu viel über mich. Ich glaube, er weiß mehr als ich.

      Ich lasse die Arme sinken, bis sie einigermaßen locker an den Seiten herunterhängen. Schlanke, sehnige Gestalt, flacher, muskulöser Bauch, kleine, runde Brüste. Kurze Haare. Gefährlich sehe ich wirklich nicht aus. Wer mich nicht kennt, hält mich für ein schüchternes, unsicheres Mädchen. Zumindest wer nicht genau hinschaut, denn ich stehe aufrecht.

      Viel wichtiger ist jedoch, dass ich sehr deutlich auch das kleine Mädchen im Spiegel sehe.

      Ich trete wieder näher an den Spiegel heran und betrachte mein Gesicht. Die unauffällig vollen Lippen, die fast immer angedeutet diesen zynischen Zug haben. Die gerade, schmale Nase. Und die grauen Augen. Sie sind kalt – ja, fast leblos.

      „Wer bist du?“, flüstere ich.

      In einem Anfall von Trotz beschließe ich, dass mich der Traum kreuzweise kann und verlasse empört das Badezimmer. James ist gerade fertig mit dem Tischdecken, als ich nackt auftauche. Er mustert mich eindringlich. Ich kenne diesen Blick und mag ihn grad nicht. Er scheint es zu merken, denn die obligatorische Frage kommt nicht. Stattdessen reicht er mir stumm meinen Kaffee.

      „Schatz.“ Er mustert mich noch eindringlicher. Wenn ich nackt „Schatz“ sage, scheint das was Bedrohliches zu haben. „Schatz?“

      „Ja.“

      „Was Ja?“

      „Was du auch immer fragst.“

      „Wie kommst du darauf, dass ich was fragen will?“

      „Weil du 'Schatz' gesagt hast. Mit einem Punkt. Kein Fragezeichen, kein gedehntes 'Schaaaaatz', sondern kurz und knackig 'Schatz'. Das bedeutet, du willst mir eine Frage stellen, und von der Antwort hängt mein Leben ab. Also habe ich schon mal vorsorglich Ja gesagt.“

      Ich starre ihn mit offenem Mund an.

      „Wie lautet denn nun die Frage?“

      „Äh … habe ich vergessen.“

      „Glück gehabt. Möchtest du frühstücken, mein Schatz?“

      Ich nicke stumm und setze mich. Er grinst. „Das kommt nicht oft vor, dass man dich sprachlos kriegt.“

      „Das stimmt. – Meinst du, ich sollte zum Psychoterroristen?“

      „Was willst du da?“

      „Na ja, vielleicht kann er mir den Traum erklären.“

      „Wieso sollte dir ein Psychotherapeut den Traum erklären können?“

      „Er hat das gelernt.“

      James verschüttet vor Lachen seinen eigenen Kaffee. „Scheiße!“ Dann blickt er mich fassungslos an. „Das glaubst du aber nicht ernsthaft, oder?“

      „Wieso nicht? Er hat wirklich was drauf.“

      „Das glaube ich dir ja. Aber ein Trauma zu behandeln ist was ganz anderes, als einen Traum zu erklären.“

      „Freud hat auch ...“

      „Freud! Lass den mal schön aus dem Spiel. Kannst ja deinen Psychoterroristen fragen, was er von dem hält.“

      „Nicht

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