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Der Tod in der Salzwiese. Sibyl Quinke
Читать онлайн.Название Der Tod in der Salzwiese
Год выпуска 0
isbn 9783958131729
Автор произведения Sibyl Quinke
Жанр Языкознание
Серия Krimi
Издательство Bookwire
»Charly, ich brauche dich!«
»Wirklich? Das glaube ich nicht. Du bist so tough. Aber es ist schön, dich zu hören. Was gibt es denn so Wichtiges, was nicht warten kann?«
Lilli schilderte ihm, was sich in den Salzwiesen zugetragen hatte. Das war nichts, womit Bresniak hier auf der Insel gerechnet hätte. Hier, wo alles so einen friedlichen und ausgeglichenen Eindruck machte. Hatte Frau Extra ihnen nicht gesagt: »Hier kann die Tür ruhig offen bleiben, hier passiert nichts!«? Und jetzt eine tote Hand mit Arm! Lilli unterbrach seine Gedanken: »Charly, bitte mach was …«, mit dem Nachsatz: »… wozu habe ich dich?«, was ein Schmunzeln in sein Gesicht zauberte.
Kapitel 4
Bresniak war natürlich die Struktur des Polizeiapparates bekannt. Schließlich war er lange genug im Dienst im Allgemeinen und in der Mordkommission im Besonderen. Ein Kommissariat für Kapitalverbrechen konnte er sich auf dieser Insel nicht vorstellen, gerade einmal 1 700 Einheimische und bis zu 15 000 Feriengäste pro Jahr.
Wer sollte hier wen umbringen wollen? Die Einwohner, da kannte jeder jeden, und die Feriengäste, die wollten sich erholen und dann das Eiland wieder verlassen – oder hatte ein anderes Paar sich auch nicht wirklich auf ein Ferienziel einigen können, wie er und seine Lilli, und hatten das martialisch gelöst?
Er schob seine nicht ganz ernsten Spekulationen zur Seite. Er befand sich gerade auf dem Deich, dessen Durchbruch den Zugang zum Hafen gewährleistete.
Nicht weit von hier befand sich die Polizeistation, die er aus Neugierde schon einmal bei seiner Joggingtour umrundet hatte. In Juist liegt alles sehr nah beieinander, sodass er sich nach wenigen Minuten vor deren Eingang vorfand. Der ansässige Polizeikommissar war gerade dabei, die Tür zu schließen.
»Hallo, Kollege, schwer was los hier auf der Insel?«
»Wieso?«
»Leiche in der Salzwiese?«
»Sind Sie einer unserer Krimiautoren, die im September zum Krimifestival die Insel bevölkern? Seit unser Buchhändler da so aktiv ist, haben wir es hier immer wieder mit merkwürdigen Todesfällen zu tun.«
»Nein, nein, mir ist es ernst. Müssen Sie nicht in die Salzwiesen?«
»Was soll ich da?«
Weine, der ansässige Leiter der Polizeistation, reagierte unwirsch auf die Unterbrechung seines Tagesablaufes. Natürlich mussten sich die Kommissare nach den Ereignissen richten, die einen polizeilichen Einsatz erforderten, aber Weine war nicht nur hier auf der Insel stationiert, weil er auch ein Original-Insulaner war, sondern auch, weil er einen geregelten Tagesablauf liebte. Dieser war auf dem Eiland fast garantiert. Seine Einwohner, die wussten, wann sie ihn zu rufen hatten, und wenn es eine Auseinandersetzung in einer Kneipe gab, zu der er gerufen wurde, konnte er schon mal mit einer lapidaren Antwort reagieren wie: »Das werdet ihr doch selbst geregelt kriegen.«
Er war nicht der Typ, der sich so rasch aus der Ruhe bringen ließ. Und jetzt kam so ein aufgebrachter Jogger, um sich wichtig zu machen. So etwas konnte er gar nicht leiden. Und dann sprach er ihn auch noch als Kollege an; was für eine plumpe Anmache. Allerdings musste er auf ihn eingehen. Wenn sich dieser Tourist an oberer Stelle beschweren würde – nein, auf die internen Gespräche, die das nach sich ziehen würde, hatte er überhaupt keine Lust. »Hören Sie, meine Frau hat das Mittagessen auf dem Tisch stehen, die mag Unpünktlichkeit nicht. Die sagt: Das Essen kommt nur einmal am Tag warm auf den Tisch. Kommen Sie heute Nachmittag wieder, dann können wir über Ihre Todesfälle auf Juist reden.« Für Weine war damit das Gespräch beendet.
Bresniak hingegen war es jetzt klar, dass die Meldung, die ihm Lilli gerade gemacht hatte, nicht den Weg in diese Polizeistation gefunden hatte. Aber warum sollte er an ihrer Nachricht zweifeln? Er stellte sich als Kriminalhauptkommissar der Wuppertaler Mordkommission vor und berichtete von dem Anruf seiner Freundin. »Wenn Sie jetzt das Gebäude abschließen, wie erreicht man Sie hier?«
Der Polizeikommissar deutete auf einen Zettel, der an der Tür klebte: »Da ist eine Handy-Nummer. Da kann man mich erreichen.«
»Sind Sie alleine hier?«
»Nein, im Sommer habe ich noch Unterstützung von einem Kollegen aus Deutschland. Aber wir sitzen natürlich nicht ständig hier auf der Wache.«
»Meine Freundin hat mit Sicherheit nicht diese Handy-Nummer angerufen, woher sollte sie die auch haben? So wie ich sie einschätze, hat sie die 112 gerufen. Kommt die bei Ihnen nicht an?«
»Ach so! Da landet die … äh … wo? Ich weiß es gar nicht so genau, das kommt bei uns nicht vor.«
»Mann, Kollege, ich denke, es ist ernst. Wollen Sie nicht nachhören, wo der Notruf eingegangen ist?«
Knurrig drehte sich der örtliche Kollege um. Hatte er sich doch schon auf das Mittagessen gefreut, seine Angetraute hatte ihm heute sein Lieblingsgericht, Sauerbraten mit Rosinen und Klößen versprochen, und das stand wahrscheinlich schon auf dem Tisch, und jetzt diese Störung. Er war sich nicht sicher, ob dieser Bresniak echt war oder nur flunkerte. Aber er wollte keine Unsicherheit zeigen.
Die Leichen, von denen er auf Juist wusste, die gab es nur bei Beerdigungen, und die waren immer die Folge eines natürlichen Todes gewesen. Wenn es nun wirklich ein Kapitalverbrechen gegeben haben sollte – es wäre zu peinlich, wenn er nicht reagiert haben sollte. Da waren ihm doch Meldungen über Ruhestörungen oder Raufereien zwischen ein paar Hitzköpfen, die er meist persönlich kannte, lieber. Da konnte er ein Machtwort sprechen und dann war wieder alles in Ordnung. Seine Insel war strafrechtlich betrachtet ein Eiland. Da gab es keine Verbrecher, und so brauchte er den Kontakt zum Festland so gut wie gar nicht. Er konnte sich nicht erinnern, wann er dieses das letzte Mal gesucht hatte. Das war wahrscheinlich während der letzten Fortbildung, und die war auch schon eine Weile her. Wo musste er jetzt anrufen? Er begann zu schwitzen. Er wollte sich nicht die Blöße geben, dass er nicht umfänglich Bescheid wusste. In Aurich? Wo war die Nummer? – Er wählte selbst die 112, da musste er richtig ankommen.
»Rettungsstation Wittmund. Ihren Namen und Adresse bitte«, meldete sich sofort die Zentrale.
Bresniak lauschte dem Gespräch, das sich zwischen dem Festland und der Insel entspann. Offensichtlich war die Meldung von Lilli irgendwo im Orbit gelandet. Keiner schien irgendetwas zu wissen. Die totale Verwirrung. Hoffentlich löste sich alles in Wohlgefallen auf. Doch die Nachricht von Lilli, warum sollte er daran zweifeln? Aber wie sollte sich eine Ermittlung vernünftig gestalten, wenn die eine Hand nicht wusste, was die andere tat oder wusste?
»Bei uns soll es eine Leiche geben. Warum teilt ihr uns das nicht mit? Oder nehmt ihr uns nicht ernst?« Der Polizeikommissar reagierte genervt. Es konnte nicht sein, dass er als Vertreter der Staatsgewalt hier auf der Insel ignoriert wurde. Was dachten die sich eigentlich auf dem Festland? So nicht! Was bildeten die sich ein. Da musste er auf den Putz hauen. Wenn etwas auf der Insel passierte, dann war er schließlich einzubinden!
»Verdammt, bei euch ist das? Und wir machen hier eine Salzwiese nach der anderen scheckig. Warum habt ihr das nicht korrekt gemeldet? Ihr wisst doch, welche Angaben wir brauchen. Ihr müsst uns das Leben nicht schwerer machen als unbedingt notwendig.«
»Gemeldet?