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vorbeilaufen, und sieht an dem grauen Haus nach oben. Achte Etage. Da ist es. Da gehört sie hin, doch sie kann sich hier nicht sehen lassen. Noch nicht. Es ist noch zu früh, das hat auch Dr. Sterling gesagt.

      Ihr Herz rast, wenn sie daran denkt, wer dort oben nun sitzt, in ihrem Büro. Ihre Hände werden feucht wie ihr Schoß bei dem Gedanken an das feine Grübchen in seinem Kinn, an das Blitzen in seinen Augen, wenn er sie zu Dingen verführt, die sie früher nicht zu träumen gewagt hätte. An den spöttischen und mitleidigen Blick, den er ihr zuwirft, wenn sie ihn am Arm einer anderen Frau erwischt, Eifersucht und Lust im Herzen, die sie nicht zulassen will.

      Mit wem verbringt er seine Zeit? Hat er weitere Frauen seiner Bildersammlung hinzugefügt, die seinen Flur ziert und in der sich nun wohl auch ihr Foto befindet? Mit Schaudern erinnert sie sich an die Schwarzweiß-Aufnahmen der vielen Frauen, die dort hängen, sorgfältig drapiert in aufwendigen Rahmen, wie eine Ahnengalerie. Sie denkt an die erschrockenen, ängstlichen Gesichter, die sie von der Wand angestarrt haben, und an das Aufblitzen seiner Kamera, als er ihr seine Tätowierung auf den Steiß gemalt hat. La mienne, toujours. Die Meine, für immer.

      Ein Verrückter, der nicht einmal vor ihrer besten und einzigen Freundin Halt gemacht hatte. Stacy! Rebecca starrt auf die leeren Glasaugen des großen Gebäudes. Irgendwo da drin sitzt ihre ehemals beste Freundin, verheiratet und glückliche Mutter einer kleinen Tochter, und doch hatte auch sie ihm nicht widerstehen können. Rebecca hatte die beiden in ihrem Büro erwischt, lustvoll ineinander verkeilt auf ihrem Schreibtisch. Vielleicht war es das Schlimmste gewesen, das er ihr angetan hatte. Aber sie hatte ihm verziehen. Mit Stacy hatte sie seit Wochen kein Wort gesprochen, ihre Anrufe ignorierte sie, bis sie endlich aufgab und sich nicht mehr meldete. Nun sehnt sie sich plötzlich nach ihr. Sie würde ihr alles erzählen, vielleicht versteht sie ja. Sie hat Verständnis für die Freundin, wie konnte sie ihm nicht erliegen? Diesen schwarzen, dunklen Augen, die so tief in die eigene Seele hineinblickten und einem das Gefühl geben, der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Dem neckisch vorgewölbten Kinn, das ihm einen so männlichen und unnachgiebigen Ausdruck verleiht, wie ein strenger Vater, dessen Zuneigung man sich unter allen Umständen erarbeiten will.

      Enttäusche mich nicht, hatte sein Blick in jeder Minute gesagt, und verbissen eifrig wie eine strebsame Tochter hatte sie getan, was er von ihr erwartete, und sie hatte es genossen.

      Natürlich hatte er sich Stacy absichtlich ausgesucht. Er wusste von ihrer besonderen Beziehung, und Stacy war die einzige Person in ihrem Leben gewesen, der sie von ihrer verhängnisvollen Affäre berichtet hatte. Er hatte nicht mit ihr geschlafen, weil er das so wollte. Sie war eine Trophäe, ein Symbol seiner Macht, mit dem er Rebecca gezeigt hatte, wie sehr er sie in der Hand hatte.

      Nachdenklich kaut sie auf der Unterlippe und geht zurück in die Straße, in der das große, schwarze Auto parkt, auf das sie früher einmal so stolz gewesen ist. Dann fährt sie nach Hause. Wenn sie nur nicht so schrecklich allein wäre ...

       Kapitel 2

      Dr. Sterling hatte ihr Mut gemacht und gemeint, es sei der richtige Schritt. Und nun steht sie, mit seinen Worten noch im Ohr, wieder vor dem großen Gebäude mit der eintönigen Fensterfront, hinter der sich die klimatisierten Büroräume befinden, die jahrelang ihr zweites Zuhause gewesen waren.

      Ihr Herz rast bei dem Gedanken an ihn, der sich in diesem Komplex befindet und jederzeit auf die Straße treten könnte. Sie sehen könnte.

      Sie wartet hier nicht auf ihn. Da es erst früher Nachmittag ist, wird er noch nicht herauskommen, er hat sicher viel zu tun seit ihrem Arbeitsausfall. Denkt er wohl an sie? Fragt er sich nicht, wie es ihr geht nach ihrem letzten Treffen? Oder hat er einfach genug von ihr, jetzt, da sein Ziel doch erreicht ist? Er hatte sie besessen, sie hatte alles zugelassen, was er von ihr verlangte, und zuletzt wurde sie auch noch beruflich ausgebootet von ihm. Krank, haha. Sie schnauft verächtlich und starrt wie hypnotisiert auf die gläserne Tür, die sich wie von Geisterhand leise zischend öffnet, sobald jemand hineingeht oder herauskommt.

      »Rebecca! Was machst du denn hier?«

      Sie erkennt die jugendlich klingende Stimme sofort und fährt zusammen. Dann dreht sie sich vorsichtig zu ihr um.

      Die schlanke Blondine läuft freudestrahlend auf sie zu und umarmt sie.

      »Natalie!« Ihre Sekretärin hier zu sehen hat sie nicht erwartet. »Gehst du schon nach Hause?«

      Natalie schüttelt den Kopf. »Nein, nein, ich musste nur etwas für Mr Adams besorgen. Aber wie geht es dir? Bist du wieder gesund? Kommst du bald wieder? Marc arbeitet vierzehn Stunden am Tag, er will dich so perfekt wie möglich ersetzen, aber ich wünschte, du wärest wieder da.« Die schlanken Arme drücken sich um ihre Schultern und pressen sie fest gegen den leichten Trenchcoat, den die Sekretärin trägt.

      »Ich bin noch nicht wieder gesund«, murmelt Rebecca und kann den Blick nicht vom Eingang abwenden. Nur niemanden verpassen. »Ich warte auf Stacy.«

      Natalie runzelt die jugendlich glatte Stirn und pustet eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Habt ihr euch gestritten? Ich habe sie neulich gefragt, ob sie weiß, wie es dir geht, aber sie ist mir ausgewichen. Sonst ist sie ja immer so fröhlich und offen, aber bei der Frage wirkte sie plötzlich betroffen und traurig.«

      Rebecca hebt die Schultern und verzieht den Mund zu einem traurigen Grinsen. »Na ja, wir kennen uns schon so lange, und selbst unter besten Freundinnen kann ein Streit ja mal vorkommen ...« Den Grund des Streites verschweigt sie der jungen Frau lieber. Es ist schlimm genug, dass sie von einer Affäre zwischen Rebecca und Marc weiß, das ganze Ausmaß des Desasters muss sie nicht erfahren.

      »Ruf mich doch mal an, wenn du Zeit hast«, sagt Natalie und tätschelt beinahe mütterlich ihren Arm. »Wir können einen Kaffee zusammen trinken und ich kann dir ein bisschen Büroklatsch verraten. Vielleicht heitert dich das auf? Werd ganz bald wieder gesund, ja? Versprochen?«

      Rebecca nickt aufatmend. »Ich gebe mir Mühe«, sagt sie. Und dann erstarrt sie vor den Augen der jungen Frau zur Salzsäule.

      Natalie folgt ihrem Blick irritiert und sieht sofort, wer diese Reaktion ausgelöst hat. »Marc!«, ruft sie fröhlich und winkt dem großen, schlanken Mann zu, der in der offenen Glastür stehen geblieben ist und irritiert lächelt.

      Rebecca stockt der Atem. Sie will weglaufen, fort von hier, aber ihre Beine versagen ihr den Dienst. Wie festgefroren steht sie da in ihrem grauen Mantel, ungeschminkt und nicht frisiert, in flachen Schuhen, die er doch so sehr verabscheut an ihr.

      Was denkt sie sich da? Es sollte ihr egal sein, wie sie aussieht, sie will ihn nicht sehen und schon gar nicht mit ihm sprechen. »Es ist zu früh«, dröhnen die Worte von Dr. Sterling in ihren Ohren. »Geben Sie sich Zeit. Er ist gefährlich für Sie.«

      Sie kriegt keine Luft, während sie zusieht, wie er sich ganz langsam nähert. Wie in Zeitlupe sieht sie ihn auf sich zukommen, und das Blut rauscht in ihren Ohren, verursacht heftige Kopfschmerzen. Ihr wird übel.

      Sie streckt die zitternde Hand nach Natalie aus und berührt ihren Arm. »Ich ... Ich muss wieder ... weg ...«, stößt sie hervor, dreht sich auf dem Absatz um und läuft die Straße hinunter. Sie ist blind, nimmt die Menschen um sich herum nicht wahr, die sie irritiert ansehen. Sie rennt um ihr Leben, läuft so weit, bis sie außer Sichtweite ist und lässt sich erschöpft und mit rasendem Herzen in einem Hauseingang fallen.

      Dort schließt sie die Augen und lehnt den Kopf an die harte Mauer. Warum musste er ausgerechnet jetzt aus dem Büro kommen und sie sehen? In diesem Aufzug? In ihrer Verfassung? Er wäre vielleicht sogar entsetzt, wenn er wüsste, wie es um sie steht. Und doch hat sein Anblick wieder diese wilden Emotionen in ihr ausgelöst, die sie nicht kontrollieren kann. Ihre Hände sind eiskalt und feucht, sie presst die zitternden Knie aneinander und legt die Stirn darauf, um sich selbst zu beruhigen.

      Zu gefährlich ... Natürlich kann sie dem inneren Drang nicht widerstehen. Obwohl sie doch genau weiß, dass es ihr nicht guttun wird, rappelt sie sich nach wenigen Minuten auf und tritt zurück auf die Straße. Dann geht sie wie mechanisch die Straße wieder hinunter, zwischen den hohen Bürogebäuden vorbei, die das ganze Viertel

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