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      Trotz seines offenkundigen Desinteresses zeigen sich die Frauen in ihrer Verzweiflung doppelt hartnäckig, ihm ihren Schmuck zu verkaufen, und so hat er ein paar recht beachtliche Stücke zu Spottpreisen erstanden. Sein Blick gleitet über das stattliche Vermögen im Diebesnest, diese Flut von Armbändern, Broschen, Halsketten, Hutnadeln, Kamel-Manschettenknöpfen, einzelnen antiken Perlen und einer schönen Auswahl an filigranem Silber und Gold. Er mustert den Haufen Glitzerkram, und doch entzieht sich ihm, was er so verzweifelt sucht. Grob reißt er die Lupe hoch, die er an einer Kette um den Hals trägt, und schielt gereizt hindurch. Sein rastloser Zeigefinger stochert in dem geheimen Schatz herum und schnipst ungeduldig eine einzelne Visitenkarte beiseite, falls sich darunter weitere Schmuckstücke verstecken sollten.

      Als er endlich die kaputten, angelaufenen Ohrringe mit Schnörkelmuster ausgräbt, fühlt er sich fiebrig. Er drapiert ein klobiges Goldhalsband mit rosaroten Rubinen als Schutz und Tarnung über die beiden einfachen Metallplättchen, die überirdisch leuchten, wie jenes schlanke palästinensische Flüchtlingsmädchen in Abu Satars vager Erinnerung. Sie hatte ihm den billigen Schmuck verkaufen dürfen, und für den Gefallen hatte er ihr einen hohen Preis abverlangt. Es war sein erstes Schnäppchen dieser Art, umso befriedigender aufgrund seiner Unschuld wie auch ihrer, allerdings ist ihm das gar nie in den Sinn gekommen. Abu Satar lässt die Lupe sinken, dann schließt und verriegelt er vorsichtig die Glasvitrine. Er blickt auf und lässt das Schnäppchen-Emporium auf sich wirken. Trotz seiner lebenslangen, harten und hingebungsvollen Arbeit kann er selbst kaum glauben, wie all dies seinen Anfang nahm: als ein Brett unter einer Markise, ein an vier Stangen geknotetes Stück Stoff. Der Stand hatte damals nur einen einzigen Zweck: die getrocknete, mit etwas Sesamstaub besprenkelte Thymian-und-Sumach-Mischung zu verkaufen, die der Familie Aufgabe und Namen verlieh: Satar. Dank ein paar bröseliger Blätter, Körner und einer geheimen magischen Zutat – Hanfsamen, denen Abu Satar seine eigene Neigung zu Träumereien zuschreibt – entwickelte sich der Zeltstand schließlich zu einem gedrungenen Gebäude an einem immer betriebsameren Trampelpfad.

      Unter seinem Vater war der Dorfladen nie eine großartige Goldgrube gewesen. Hin und wieder bogen sich die Holzregale unter jemenitischen Kaffeesäcken oder Baumwollgarn, das Wanderhändler über die Seidenstraße gebracht hatten. Doch meistens waren die einzigen ausgestellten Waren ein paar unbestimmbare, verkrumpelte Päckchen, die ungeöffnet auf einem der oberen Regalbretter blieben, sowie ein großes Fass Bratöl. Es war einfach eine Frage von begrenztem Angebot und noch begrenzterer Nachfrage. Für alles Unwesentliche blieb nur sehr wenig Geld übrig; was die Bauern nicht selbst auf dem Acker produzieren konnten, darauf verzichteten sie in der Regel.

      In der Generation seines Vaters waren drei Eigenschaften sehr viel wichtiger als die Frage, wie viele Schafe und Ziegen ein Mann besaß. Zuallererst kam die Ehrbarkeit. So betrachtet war der Händler schon durch seinen Beruf gehandicapt, der in der strengen sozialen Hierarchie einen der unteren Ränge belegte. Ganz oben thronten die Nomaden, die stolz und edel wie von alters her das Land durchstreiften. Als Nächstes kamen all jene, die Felder bestellten und Tiere hielten. Sie bildeten die Untergrenze des Akzeptablen. Unter den Bauern standen die madanijin, Stadtmenschen, die sich von modernen Erfindungen hatten verführen lassen und ihre Bindung an die Erde verloren. Dann, nur ein Stückchen über Wahrsagern, Prostituierten und Dieben, kam die Schicht der Kaufleute, die volkstümlich als nasabin verdächtigt wurden, Gauner und Spitzbuben.

      Trotz der allgemeinen Neigung, jemanden wie ihn gleich gänzlich abzulehnen, verwandelte Abu Satar der Ältere einen Ort spärlichsten Handels in eine Stätte der Begegnung. Zum Nebenerwerb schrieb er Briefe, und auch Kaffeekanne und Argileh hielt er stets griffbereit. Wenn gerade keiner der Männer zum Wasserpfeiferauchen zugegen war, bat Abu Satar die Dorfjugend in den Laden. So wuchs eine ganze Generation heran, deren Kindheit geprägt war durch den süßen Geschmack gebrannter Pistazien zum Klang von Tahiya Kariokas blechernem Orchester aus einem alten Grammofon. Dies endete schlagartig, als der Vater 1947 starb und der Laden an seinen halbwüchsigen Sohn überging.

      Satar ibn Satar war nach seinem Vater benannt worden und hatte wiederum seinen Erstgeborenen nach sich selbst benannt. Die sozialen Gepflogenheiten verlangten somit, dass dieser Abu Satar heißen müsse – Vater des Satar. Der Ausdruck verdeutlichte den Stellenwert männlicher Erben und sollte Würde und Verantwortungssinn vermitteln, doch Fadhmas Bruder behandelte den Namen wie einen Scherz. Er sagte gerne, er sei sein eigener Vater, ein Selfmademan im wörtlichen Sinne. Für vieles fand er Zeit, jedoch nicht für die sozialen Nettigkeiten seines Vaters. Gleich zu Anfang, als er das Geschäft übernahm, widmete er sich mit ganzem Herzen dem Streben nach Profit. Unter den gegebenen Umständen war das leichter gewollt als getan, doch er ließ sich nicht entmutigen. Er beendete das informelle Kreditsystem seines Vaters und machte sich tatkräftig daran, offene Rechnungen begleichen zu lassen, von denen manche jahrzehntelang unbezahlt geblieben waren. Nichts von alledem machte ihn bei den Nachbarn sonderlich beliebt.

      Es war keine Frage des blinden Glaubens. Abu Satar war ein Mann weitreichender Interessen. Er studierte die Zeitungen, die als Packmaterial in den Laden kamen. Auch wenn die Zeitungen sechs Monate alt waren, strich er sorgsam jede Seite glatt und vertiefte sich stundenlang darin. Seine so gewonnenen Kenntnisse des Zeitgeschehens bestätigten ihm, dass seine Aufgabe nicht unmöglich war. Erfolg in der Welt hing von der Haltung ab. Er musste nur aus allem, was sich ihm anbot, den eigenen Vorteil ziehen.

      Er brauchte nicht lange zu warten. Alles begann vor einer Ewigkeit während einer jungfräulichen Begegnung mit palästinensischer Unschuld. Als dann die Flüchtlinge in das abgelegene Bergdorf strömten und Aufnahmelager eingerichtet wurden, legte die internationale Hilfskarawane den Geschäften vor Ort nahe, sich an der Versorgung zu beteiligen, und so wurde dem Laden mehr als hier und da ein Sack Maismehl gespendet. 1958, zehn Jahre später, als der irakische König Faisal der Zweite hingerichtet wurde, kam wieder alles durcheinander. Libanon steckte mitten in seinem ersten Bürgerkrieg, und gemeinsam mit der syrischen Baath-Partei gründete der charismatische Gamal Abdel Nasser die Vereinigte Arabische Republik. Abu Satar war genau die Sorte von heißblütigem jungem Mann, den der panarabische Nationalismus eigentlich hätte ansprechen müssen, doch sein Herz war bereits von der freien Marktwirtschaft erobert. Seit er in Hollywood-Schwarz-Weiß-Filmen Kühlschränke mit automatischer Innenbeleuchtung gesehen hatte, war er für immer verloren. Als die Briten dem halbwüchsigen König Hussein nach dem Attentat auf dessen Großvater König Abdallah ihre Unterstützung zusicherten, zeigte Abu Satar sein Wohlgefallen, indem er im ganzen Laden Union Jacks mit dem Slogan Keep Calm and Have some tea aufhängte. Es dauerte nicht lange, bis er zum Nutznießer einer weiteren unerwarteten Zuwendung wurde: einer beträchtlichen Investition in Jordaniens Infrastruktur durch die im Sues-Debakel in Verruf geratenen westlichen Länder. Ihre Kapitalisierung aller arabischen Staaten – außer Ägypten – führte zum Bau neuer Straßen, die das Dorf mit dem Rest des Landes verbanden und einen verstärkten Handel bis hinunter zum Golf von Akaba und dem Roten Meer ermöglichten. So wurden die ersten Maschen von Abu Satars grenzübergreifendem Netzwerk geknüpft und die Grundsteine eines Traumes gelegt, der erst noch geboren werden sollte: das Schnäppchen-Emporium.

      Alle zehn Jahre brachte ein weiterer politischer Umbruch Abu Satars Kasse zum Klingeln. Der »Rückschlag« des desaströsen Krieges von 1967, die Naksa, wurde von vielen als bittere Niederlage empfunden. Doch für den allzeit wachsamen Händler bedeutete er einen unerwarteten Aufschwung. Zweifelsohne hatte sich sein Land austricksen lassen, als es sich an diesem kolossalen Unglück beteiligte. Die Kampfjets, die ein leichtgläubiger König über dem Westjordanland sah, waren keine ägyptischen, wie vom hitzigen Nasser versprochen. Innerhalb von 144 Stunden hatte Jordanien das Westjordanland und Ostjerusalem verloren. Doch ob durch Sieg oder Niederlage, in einer solchen Größenordnung brachte jeder Regierungswechsel Schmuggelware wie am Fließband. Selbst wenn die Waren vom anderen Flussufer durchweicht und voller Schnecken ankamen – alles wurde verwertet und im Laden ausgestellt. Um die schiere Menge zu bewältigen, erweiterte Abu Satar das Geschäft um einen labyrinthartigen Anbau. Doch Jordaniens politische Niederlage forderte ihren eigenen Preis.

      1970 explodierte der Militarismus im Land wie ein Dampfkochtopf. Im Verlauf des Schwarzen Septembers – ein weiterer Euphemismus für einen Putschversuch und Bürgerkrieg – wurden zwanzigtausend palästinensische Fedajin aus dem Land verjagt, während ihre Familien blieben.

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