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Szenen aus dem Landleben. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Szenen aus dem Landleben
Год выпуска 0
isbn 9783955014797
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nachdem sie einige Zeit über stillschweigend getrabt waren, sagte Benassis lachend zu seinem Gefährten:
»Donnerwetter, Rittmeister Bluteau, Sie bringen mich wie einen Häher zum Schwatzen und erzählen mir nichts aus Ihrem Leben, das interessant sein dürfte. Ein Soldat Ihres Alters hat zu viele Dinge gesehen, als dass er nicht mehr als ein Abenteuer zu erzählen hätte.«
»Und doch ist mein Leben«, erwiderte Genestas, »das übliche Heeresleben. Alle Soldatengesichter ähneln sich. Da ich niemals befehligte und immer nur einen Rang eingenommen habe, in dem man Säbelhiebe empfängt oder austeilt, hab' ich getan, was die anderen taten: Bin dahin gegangen, wohin Napoleon uns geführt, und habe alle Schlachten mitgemacht, wo die kaiserliche Garde sich geschlagen hat. Das sind allzu bekannte Ereignisse. Sich um seine Pferde kümmern, manchmal Hunger und Durst leiden, sich schlagen, wenn's sein muss, das ist das ganze Soldatenleben. Ist das nicht höchst einfach? Es gibt Schlachten, die für uns in nichts weiter wie einem Pferde bestehen, das sein Eisen verloren hat und uns in der Tinte sitzen lässt. Alles in allem habe ich so viele Länder gesehen, dass ich mich daran gewöhnt habe, deren zu sehen, und ich hab' so viele Tote gesehen, dass ich mein eigenes Leben schließlich für nichts achtete.«
»Indessen haben Sie persönlich doch in gewissen Augenblicken in Gefahr schweben müssen; würden diese eigenen Gefahren, wenn Sie sie erzählen, nicht interessant sein?«
»Vielleicht,« antwortete der Major.
»Schön, sagen Sie mir, was Sie am tiefsten erschüttert hat. Haben Sie keine Angst, ich werd' nicht glauben, dass es Ihnen an Bescheidenheit fehlt, selbst wenn Sie mir eine heroische Tat erzählen würden. Wenn ein Mensch ganz sicher ist, von denen, welchen er sich anvertraut, verstanden zu werden, muss er ein gewisses Vergnügen darin finden, zu sagen: ›Das hab' ich getan.‹«
»Gut, ich will Ihnen eine Einzelheit erzählen, die mir manchmal Gewissensbisse macht. Während der fünfzehn Jahre, die wir uns herumgeschlagen haben, ist's nicht ein einziges Mal dahin gekommen, dass ich, außer im Falle berechtigter Verteidigung, einen Menschen getötet habe. Wir sind in der Schlachtlinie, wir greifen an; wenn wir die uns Gegenüberstehenden nicht zurückwerfen, fragen sie uns nicht um Erlaubnis, uns umzubringen; also muss man töten, um nicht vernichtet zu werden, und das Gewissen ist ruhig. Doch, mein lieber Herr, es ist mir einmal begegnet, dass ich einem Kameraden in einem besonderen Falle das Kreuz eingeschlagen habe. Wenn ich darüber nachdenke, bereitet die Sache mir Qual und das verzerrte Gesicht jenes Menschen steht mir manchmal vor Augen. Sie mögen darüber urteilen ... Es war auf dem Rückzuge von Moskau. Wir glichen mehr einer abgetriebenen Rinderherde als einer großen Armee. Disziplin und Fahnen bedeuteten nichts mehr! Jeder war sein eigener Herr und der Kaiser hat damals, das kann man sagen, erfahren, wo seine Macht endigte. Als wir in Studzienka, einem kleinen Dorfe oberhalb der Beresina, anlangten, fanden wir dort Scheunen, Hütten, die wir als Brennmaterial verwenden konnten, eingegrabene Kartoffeln und Runkelrüben. Seit einiger Zeit waren wir weder Häusern noch Fraß begegnet: die Armee hat flott gelebt. Die zuerst Gekommenen haben, wie Sie sich denken können, alles aufgefressen. Ich bin als einer der letzten angekommen. Zu meinem Glücke hatte ich weder Hunger noch Schlaf. Ich erblicke eine Scheune, gehe hinein, sehe dort etwa zwanzig Generäle, höhere Offiziere, alles, ohne ihnen zu schmeicheln, Männer von großem Verdienst: Junot, Narbonne, des Kaisers Adjutant, kurz, die berühmten Häupter der Armee. Auch einfache Soldaten gab es dort, die ihr Strohlager keinem Marschall von Frankreich würden abgetreten haben. Die einen schliefen im Stehen, aus Platzmangel, gegen die Wand gelehnt, die anderen lagen auf dem Boden ausgestreckt, und alle hatten sich so fest aneinandergedrückt, um sich warmzuhalten, dass ich vergebens eine Ecke suchte, um mich dort unterzubringen. Als ich über diese Menschendiele ging, schimpften die einen, die anderen sagten nichts, doch niemand ließ sich stören. Man würde sich nicht haben stören lassen, um einer Kanonenkugel aus dem Wege zu gehen, war dort aber nicht genötigt, die Maximen der albern-honetten Höflichkeit zu befolgen. Endlich bemerkte ich im Hintergrunde der Scheune eine Art inneres Dach, auf das niemand den Gedanken oder vielleicht die Kraft gehabt hatte hinaufzuklettern. Ich steige hinauf, richte mich dort ein; auch als ich mich in meiner ganzen Länge ausgestreckt habe, sehe ich noch jene wie Kälber herumliegenden Menschen. Dies traurige Schauspiel machte mich fast lachen. Die einen kauten, eine Art tierischen Vergnügens bezeigend, erfrorene Mohrrüben, und in schlechte Schals eingemummte Generäle schnarchten, als wenn es donnerte. Ein angezündeter Fichtenast erhellte die Scheune; wenn er sie in Brand gesetzt hätte, würde sich kein Mensch erhoben haben, um ihn zu löschen. Ich lege mich auf den Rücken, und ehe ich einschlafe, richte ich natürlich die Augen nach oben, und da sehe ich den Hauptbalken, auf dem das Dach ruhte, und der die Deckenbalken trug, eine leichte Bewegung von Osten nach Westen machen. Der verfluchte Balken tanzte recht hübsch. ›Meine Herren,‹ sagte ich zu denen unter mir, ›draußen ist ein Kamerad, der sich auf unsere Kosten wärmen will.‹ Der Balken musste bald herabfallen. ›Meine Herren, meine Herren, es wird bald aus sein mit uns; sehen Sie doch den Balken an!‹ rief ich noch einmal ziemlich laut, um meine Schlafgenossen aufzuwecken. Sie haben sich wohl den Balken angesehen, mein Herr, doch die, welche schliefen, haben sich wieder ans Schlafen gemacht, und die da aßen, haben mir gar nicht geantwortet. Als ich das sah, musste ich meinen Platz, auf die Gefahr hin, ihn zu verlieren, verlassen; denn es handelte sich darum, diesen Haufen Ruhm zu retten. Ich gehe also hinaus, laufe um die Scheune herum und sehe da einen großen Teufelskerl von Württemberger, der mit einer gewissen Begeisterung an dem Balken zerrte. ›Hallo, hallo,‹ sage ich zu ihm, indem ich ihm begreiflich mache, dass er seine Arbeit aufgeben müsse. – ›Gehe mir aus dem Gesicht, oder ich schlag' dich tot!‹ schrie er auf deutsch. ›Ach gut ja! Qui mire aous dem Guesit,‹ antwortete ich ihm, ›darum handelt sich's nicht!‹ Nehme sein Gewehr, das er auf der Erde gelassen hatte, schlage ihm das Kreuz ein, gehe wieder hinein und schlafe. Das ist die Geschichte!«
»Aber das war ein Fall berechtigter Verteidigung, die man gegen einen Menschen zugunsten vieler unternahm; Sie haben sich also nichts vorzuwerfen!« sagte Benassis.
»Die anderen,« fuhr Genestas fort, »haben geglaubt, es sei eine Grille von mir gewesen; doch, Grille oder nicht, viele dieser Leute leben heute gemächlich in schönen Häusern, ohne dass ihr Herz von Dankbarkeit beschwert wird!«
»Würden Sie diese schöne Tat denn nur getan haben, um jenes übermäßige Interesse, das man Dankbarkeit nennt, dafür zu erlangen?« fragte Benassis lachend. »Das hieße Wucher treiben.«
»Ach, ich weiß wohl,« antwortete Genestas, »dass das Verdienst einer guten Handlung beim geringsten Vorteil, den man daraus zieht, flötengeht; sie erzählen, heißt, sich eine Rente von Eigenliebe zu verschaffen, die mehr wert ist als Dankbarkeit. Wenn der anständige Mensch indes immer still wäre, würde der Verpflichtete kaum mehr von der Wohltat reden. In Ihrem System hat das Volk Beispiele nötig; wo würde es die bei einem solchen allgemeinen Schweigen finden? Noch etwas anderes: Wenn Ihr armer Pontonier, der die französische Armee gerettet und sich nie in der Lage gefunden hat, mit Nutzen davon zu schwatzen, sich den Gebrauch seiner Arme nicht erhalten hätte, würde ihm sein Gewissen Brot geben? ... Antworten Sie darauf, Philosoph?«
»Vielleicht gibt es nichts Absolutes in der Moral,« antwortete Benassis; »doch dieser Gedanke ist gefährlich; er lässt den Egoismus die Gewissensfälle zugunsten des persönlichen Interesses deuten. Hören Sie, Rittmeister: ist der Mann, der den Prinzipien der Moral strikt gehorcht, nicht viel größer als der, welcher von ihnen abweicht – selbst notgedrungen? Würde unser Pontonier, der ganz und gar gliederlahm ist und Hungers stirbt, nicht in gleichem Maße erhaben sein, wie es Homer ist? Zweifelsohne ist das Menschenleben eine letzte Probe für die Tugend wie für das Genie, welche, die eine wie das andere, von einer besseren Welt gefordert werden. Tugend und Genie scheinen mir die beiden schönsten Formen jener vollkommenen und beständigen Aufopferung zu sein, welche die Menschen zu lehren Jesus Christus gekommen ist. Das Genie bleibt arm, indem es die Welt erleuchtet;