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drückte dem Kommenden stumm die Hand, der sich dann zu den andern setzte, die nach und nach einen großen Halbkreis um den Kamin bildeten. Alle hatten die Köpfe gesenkt. Die Knie aufeinander, schaukelten sie mit den Beinen und stießen von Zeit zu Zeit einen tiefen Seufzer aus. Alle langweilten sich maßlos, aber keinem fiel es ein, wieder zu gehen.

      Um neun Uhr kam Homais zurück, beladen mit einer Menge Kampfer, Benzoe und aromatischen Kräutern. Auch ein Gefäß voll Chlor brachte er mit, um die Luft zu desinfizieren. Felicie, die Löwenwirtin und die alte Frau Bovary standen gerade um Emma herum, damit beschäftigt, die letzte Hand ans Totenkleid zu legen. Sie zupften den langen steifen Schleier zurecht, der bis hinab an die Atlasschuhe reichte.

      Felicie wehklagte:

      »Ach, meine arme gute Herrin! Meine arme gute Herrin!«

      »Sehn Sie nur!« sagte die Witwe Franz seufzend, »wie reizend sie noch immer ausschaut! Man möchte drauf schwören, daß sie gleich wieder aufstünde!«

      Dann beugten sie sich über sie, um ihr den Kranz umzulegen. Dabei mußten sie den Kopf etwas hochheben. Da quoll schwarze Flüssigkeit aus dem Munde hervor, als erbräche sie sich.

      »Mein Gott! Das Kleid! Geben Sie acht!« schrie Frau Franz. Und zum Apotheker gewandt: »Helfen Sie uns doch! Oder fürchten Sie sich vielleicht?«

      »Ich mich fürchten?« erwiderte er achselzuckend. »Nein, so was! Ich habe in den Spitälern noch ganz andres gesehen und erlebt, als ich Pharmazeutik studierte. Wir brauten uns unsern Punsch im Seziersaal! Der Tod erschreckt einen Philosophen nicht. Ich habe sogar die Absicht – wie ich schon oft gesagt habe – , meinen Körper der Anatomie zu vermachen, damit er dermaleinst der Wissenschaft noch etwas nützt.«

      Der Pfarrer kam und fragte nach Karl. Auf den Bescheid des Apothekers erwiderte er:

      »Die Wunde, wissen Sie, ist noch zu frisch.«

      Darauf pries Homais ihn glücklich, weil er nicht darauf gefaßt zu sein brauche, eine teure Gefährtin zu verlieren, worauf sich ein Disput über das Zölibat entspann.

      »Es ist unnatürlich,« sagte der Apotheker, »daß sich ein Mann des Weibes enthalten soll. Manche Verbrechen….«

      »Aber, zum Kuckuck!« rief der Priester. »Kann denn ein verheirateter Mensch das Beichtgeheimnis wahren?«

      Nun griff Homais die Beichte an. Bournisien verteidigte sie. Er zählte ihre guten Wirkungen auf. Er wußte Geschichten von Dieben, die auf einmal ehrliche Menschen geworden wären. Sogar Soldaten seien, nachdem sie im Beichtstuhl ihrer Sünden ledig gesprochen, fromme Menschen geworden. Und in Freiburg sei ein Diener….«

      Sein Partner war eingeschlafen. Als die schwüle Luft im Zimmer immer unerträglicher wurde, öffnete der Pfarrer das Fenster. Da ward der Apotheker wieder wach.

      »Wie wärs mit einer Prise?« fragte er ihn. »Hier! Das hält munter!«

      In der Ferne bellte irgendwo fortwährend ein Hund.

      »Hören Sie, wie der Hund heult?« fragte der Apotheker.

      »Man sagt, daß sie die Toten wittern«, sagte der Priester. »Ähnlich ist es bei den Bienen. Sie verlassen ihren Stock, wenn im Haus ein Mensch stirbt.«

      Homais erhob keinen Einwand gegen diesen Aberglauben, denn er war bereits wieder eingeschlafen.

      Bournisien, der widerstandsfähiger war, bewegte noch eine Zeitlang leise die Lippen. Dann senkte sich allmählich sein Kinn, sein dickes schwarzes Buch entfiel ihm, und er begann zu schnarchen.

      So saßen sie einander gegenüber, mit vorgestreckten Bäuchen, mit ihren aufgedunsenen Gesichtern voller Stirnrunzeln. Nach all ihrem Zwist vereinte sie die gleiche menschliche Schwäche. Sie regten sich ebensowenig wie der Leichnam neben ihnen, der zu schlummern schien.

      Karl kam. Er weckte die beiden nicht. Er kam zum letzten Male. Um Abschied von ihr zu nehmen.

      Das Räucherwerk qualmte noch. Die bläuliche Wolke vermählte sich am Fensterkreuz mit dem Nebel, der hereindrang. Draußen blinkten einige Sterne. Die Nacht war mild.

      Das Wachs der Kerzen träufelte in langen Tränen herab auf das Bettuch. Karl sah zu, wie die gelben Flammen flackerten. Der Lichtschimmer machte ihm die Augen müde.

      Über das Atlaskleid huschten Reflexe; es war weiß wie Mondenschein. Emma verschwand darunter, und es schien ihm, als gehe die Tote in alle die Dinge ringsumher über, als lebe sie nun in der Stille, in der Nacht, im leisen Winde, in dem wirbelnden Kräuterdufte….

      Und mit einem Male sah er sie wieder in Tostes auf der Gartenbank unter dem blühenden Weißdornbusch … dann in Rouen auf dem Gange durch die Straße … und dann auf der Schwelle ihres Vaterhauses, im Gutshofe, in Bertaux…. Es war ihm, als höre er das Jodeln der lustigen Burschen, die unter den Apfelbäumen tanzten bei seiner Hochzeitsfeier. Wie hatte das Brautgemach nach ihrem Haar geduftet! Wie hatte ihr Atlaskleid in seinen Armen geknistert, wie sprühende Funken! Dasselbe Kleid! Damals und heute!

      Langsam zog sein ganzes einstiges Glück noch einmal an ihm vorüber. Er sah sie vor sich in ihren eigentümlichen Bewegungen, ihrer Haltung, ihrem Gang. Er hörte den Klang ihrer Stimme. Immer wieder brandete die Verzweiflung an ihn heran, unaufhörlich, unversiegbar wie die Flut des Meeres am Strande.

      Eine gräßliche Neugier überkam ihn. Langsam und klopfenden Herzens hob er mit den Fingerspitzen den Schleier. Aber da schrie er vor Schrecken laut auf, und die beiden andern Männer erwachten. Sie zogen ihn fort und führten ihn hinunter in die Große Stube.

      Bald darauf kam Felicie und richtete aus, Bovary wolle vom Haar der Toten haben.

      »Schneiden Sie ihr welches ab!« befahl der Apotheker.

      Da sie sichs nicht getraute, trat er selbst mit der Schere heran. Er zitterte so stark, daß er die Haut an der Schläfe an mehreren Stellen ritzte. Endlich raffte er sich zusammen und schnitt blindlings zwei-oder dreimal zu. Es entstanden ein paar kahle Stellen mitten in dem schönen schwarzen Haar der Toten.

      Der Apotheker und der Pfarrer versenkten sich wieder in ihre Bücher, nicht ohne von Zeit zu Zeit einzunicken. Jedesmal, wenn sie wieder erwachten, warfen sie es sich gegenseitig vor. Der Pfarrer besprengte das Zimmer mit Weihwasser, und Homais schüttete ein wenig Chlor auf die Dielen.

      Felicie hatte für sie gesorgt und auf der Kommode eine Flasche Branntwein, Käse und ein langes Weißbrot bereitgestellt. Gegen vier Uhr früh hielt es der Apotheker nicht mehr aus. Er seufzte:

      »Wahrhaftig. Eine Stärkung wäre nicht übel!«

      Der Priester hatte durchaus nichts dagegen. Er ging aber erst die Messe lesen. Als er wieder zurückkam, aßen und tranken beide, wobei sie sich angrinsten, ohne recht zu wissen warum, verführt von der sonderbaren Fröhlichkeit, die den Menschen nach überstandenen Trauerakten ergreift. Beim letzten Gläschen klopfte der Priester dem Apotheker auf die Schulter und sagte:

      »Wir werden uns am Ende noch verstehen!«

      In der Hausflur begegneten sie den Leuten, die den Sarg brachten. Zwei Stunden lang mußte sich Karl von den Hammerschlägen martern lassen, die von den Brettern zu ihm hallten. Dann legte man die Tote in den Sarg aus Eichenholz und diesen in die beiden andern. Aber da der letzte zu breit war, füllte man die Hohlräume mit Werg aus einer Matratze. Als der letzte Deckel zurechtgehobelt und vernagelt war, stellte man den Sarg vor die Tür. Das Haus ward weit geöffnet, und die Leute von Yonville begannen herbeizuströmen.

      Der alte Rouault kam an. Als er das Sargtuch sah, wurde er mitten auf dem Markte ohnmächtig.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Rouault hatte den Brief des Apothekers sechsunddreißig Stunden nach dem Ereignis erhalten. Um ihn zu schonen, hatte Homais so geschrieben, daß er gar nicht genau wissen konnte, was eigentlich geschehen

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