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      Vor ihren Augen glitt eben mit leichten Segeln die französische Brigantine vorüber, die sie auf dem See verfolgt hatte. Sie hielt Kurs auf den Anlegeplatz der Molly. An Deck des Schiffes befanden sich dreißig bis vierzig lachende und schwätzende Matrosen. Eine etwas kräftigere Stimme hob sich aus den anderen heraus.

      »Was sagt der Franzose, Sir?« wandte sich Burns, der kein Französisch verstand, an Richard Waltham.

      »Wenn wir nur erst aus diesem Hexenkessel von Inseln und Kanälen heraus wären«, übersetzte Waltham.

      Die Brigantine verschwand um die Biegung und entzog sich ihren Blicken. Gleich darauf vernahmen die Lauschenden ein Freudengebrüll, das ohne Zweifel der entdeckten Prise galt.

      Der alte Farmer stöhnte unwillkürlich auf und schlug die Hände vor das Gesicht; seine Schultern zuckten wie im Krampf. Abgesehen von dem Verlust seiner Güter schien der Rückweg in die Heimat endgültig abgeschnitten. Auch John war unwillkürlich blaß geworden, und Bob entleerte sein beträchtliches Arsenal von Seemannsflüchen und wünschte Pest und Verderben auf alle Franzosen herab. Aber was half das schon?! Selbst das ausdruckslose Gesicht des Indianers verdüsterte sich.

      »Was bedeutet das, Sir?« fragte Waltham, der die Zusammenhänge ja nicht kannte, betroffen.

      »Daß die Franzosen soeben mein Schiff gekapert haben, das jenseits der Biegung vertäut lag«, stöhnte der Farmer. »Es ist Krieg, Sir. Und was uns anbetrifft, so sitzen wir jetzt aller Hilfsmittel beraubt, in der Wildnis.«

      Betroffen hörte Waltham, was sich in den letzten Wochen ereignet hatte und in welcher Lage er sich jetzt mit seinen Befreiern befand. »Und durch mich seid Ihr in diese Lage gekommen«, murmelte er verstört. »Und ich weiß nicht einmal, wann und wie ich Euch den materiellen Schaden ersetzen kann, von allem anderen zu schweigen.«

      »Gottes Wille, Sir, müssen uns fügen«, seufzte der Alte. »Euch zu helfen, war Menschen- und Christenpflicht. Redet nicht davon. Müssen sehen, was zu tun ist. Was meint Ihr, Bob?«

      »Heillose Sache, Sir«, knurrte der Bootsmann, »aber solange Bob Green lebt, gibt er nicht auf. Ist nie seine Sache gewesen. Was wir müssen, ist klar: Müssen zum Genesee. Wie, muß sich zeigen. Vorerst scheint's geraten, von der Insel hier wegzukommen. Möchte sonst sein, daß wir zwischen zwei Feuer geraten.«

      »Ja«, seufzte der Farmer, »wird weiter nichts übrig bleiben. Also auf in die Jolle. Wollen uns zunächst ein anderes Versteck suchen und dann weiter überlegen.«

      Sie durchführen eine Stunde lang die in majestätischem Schweigen liegende Inselwelt, ohne auf irgendein Zeichen menschlichen Lebens zu stoßen, und hielten schließlich an einer kleinen, dicht belaubten Insel. Sie sprachen während der Fahrt kaum ein Wort. Und ebenso schweigsam suchten sie sich im Inneren der Insel einen Lagerplatz.

       Inhaltsverzeichnis

      Seit Tagen schon zogen die Gefährten durch den Wald; es schien kein Ende nehmen zu wollen. Soweit das Auge reichte, sah es nichts als breitstämmige Eichen, ungeheure Ahorne, Hickorys und Sykomoren, von wildem Lianengestrüpp umwuchert. Hier und da ein entwurzelter Baumriese, modernd und dem Fäulnistod preisgegeben, am Boden; häufig waren drei, vier Stämme, riesige Barrikaden bildend, quer übereinander gefallen. Unter dem dichten Laubdach herrschte ein trübes Dämmerlicht; die Strahlen der Sonne hatten es schwer, den dichten Blattbaldachin zu durchdringen. In dem grünschimmernden Wasser des kleinen Baches, in dessen Nähe die Männer am Feuer saßen, tanzten silberne Lichter.

      Ni-kun-tha, der Schnelle Falke, hatte einen kapitalen Hirsch geschossen, und obgleich es nicht ratsam schien, hatten die in die Wildnis Verschlagenen sich entschlossen, ein kleines Feuer in Gang zu setzen, sogleich darauf bedacht, nur trockenes Reisig zu verwenden, um möglichst wenig Rauch zu entwickeln. Sie hatten sich von den saftigsten Stücken des erlegten Tieres eine kräftige Mahlzeit gebraten und lagen nun, in ihren Gedanken versunken, um das mählich verglimmende Feuer. Ni-kun-tha weilte nicht bei ihnen, er streifte im Wald.

      Der junge Waltham machte einen müden und erschöpften Eindruck. Ihm, der so lange hinter Gittern gesessen hatte und nur dürftig ernährt worden war, machten die Strapazen des anstrengenden Waldmarsches besonders zu schaffen. Das blonde Haar hing ihm wirr und zerzaust in das blasse Gesicht, die Augen glänzten fiebrig, und sein für Abenteuer dieser Art nicht berechneter Anzug zeigte überall in Flecken und Rissen die Spuren des Waldes. Zu den ungewohnten Anstrengungen kam bei ihm außerdem der innere Aufruhr. John und Bob hatten ihm inzwischen eingehend Bericht erstattet; er wußte, daß sein Oheim tot und unter welchen Umständen er gestorben war, er wußte, daß er die Qualen der letzten Zeit und sein gegenwärtiges Elend seinem ehrenwerten Vetter Hotham verdankte; Trauer, Scham und Zorn stritten sich in seinem aufgewühlten Innern.

      Den beiden Burns, Vater wie Sohn, taten die Strapazen des Marsches nicht viel. Auch sie waren müde und einigermaßen erschöpft, aber durchaus nicht mehr, als die Anstrengungen einer beschwerlichen Tagesreise es bedingten. Fast noch erschöpfter und unglücklicher als Richard Waltham war dagegen Bob Green, der Schiffer. Er war es am wenigsten von allen gewöhnt, durch den Wald zu streifen – der junge Baronet hatte sich immerhin oft gern als Jäger betätigt – er war es gewöhnt, auf dem Wasser zu leben, das sein eigentliches Element war. Sein schwerer, massiger Körper war für anstrengende Märsche wenig geeignet. Er lag jetzt, die Hände unter dem Kopf verschränkt, der Länge nach auf dem Rücken und war so müde und erschöpft, daß er darüber das Rauchen vergaß, während ihm sonst die Pfeife doch kaum ausging. In seinem eigentlichen Element war unzweifelhaft der Miami-Häuptling, den es gleich nach dem Essen schon wieder in die Tiefe des Waldes getrieben hatte.

      Die Männer hatten sich schweren Herzens entschlossen, an Land zu gehen und den Weg durch die Wälder zu nehmen; aber den alten Farmer zog es unwiderstehlich nach der heimatlichen Scholle, und es gab nun, da sie die Molly verloren hatten, keine andere Möglichkeit. Der Miami hatte sich bereit erklärt, die Führung zu übernehmen, und der junge Waltham hatte sich der kleinen Gesellschaft wohl oder übel anschließen müssen, obgleich er sehr viel lieber nach Stacket Harbour geeilt wäre, um seinem sauberen Vetter das Handwerk zu legen.

      Ausgedehnte Sümpfe zu ihrer Rechten hatten die Männer gezwungen, weiter nach Süden zu gehen, als sonst nötig gewesen wäre. Abgesehen von den Beschwerlichkeiten des Marsches selbst war ihnen bisher nichts Außergewöhnliches begegnet. Die Wälder lagen so unberührt, als habe sie vor ihnen nie eines Menschen Fuß betreten. Da sie glaubten, das Sumpfgebiet nun hinter sich gelassen zu haben, beabsichtigten sie, sich möglichst schnurgerade westwärts zu wenden; so mußten sie eines Tages in den Bereich des Genesees kommen.

      John warf dem mit fast erloschenem Gesicht unter einem Baum hockenden Waltham einen teilnahmsvollen Blick zu. »Mut, Sir Richard«, sagte er, sich zu einem Lächeln zwingend, »wir schaffen's schon. Oder fürchtet Ihr, nicht durchzuhalten?«

      Der Baronet sah auf: »Oh, ich werde schon. Es tut mir leid, daß ich Euch Mühe mache.«

      »Unsinn!« wehrte John ab, »wir sitzen jetzt alle zusammen sozusagen auf denselben Bootsplanken fest – –«

      »Bootsplanken!« ächzte Bob Green, den Kopf hebend, »hol Euch der Satan, Bursche, von Bootsplanken zu reden, wenn ein christlicher Seemann gezwungen ist, von morgens bis abends durch Gestrüpp und Dornenhecken zu kriechen, über Baumwurzeln zu stolpern und über Barrikaden zu klettern! Der Henker hole diesen verdammten Wald, in dem's nicht mal Luft genug zum Atmen gibt!«

      »Wärt wohl lieber auf dem Ontario, was?« grinste John, lachend die Zähne zeigend.

      »Weiß Gott!« ächzte der Bootsmann, »meinetwegen auch auf dem Ozean!«

      »Nun, den Ontario habe ich nicht gerade in guter Erinnerung«, lachte John, »habe manchmal wahrhaftig keinen Penny mehr für mein Leben gegeben.«

      »Ha!« rief Bob, »du verdammter Narr! Gibt's etwas Großartigeres auf der Welt als einen steifen Südwest, wenn die Wogen über den Bug rollen und unter einem

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