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an. Nach dem, was sie in den vergangenen Monaten erlebt hatten, waren sie immer beunruhigt, wenn sich unerwarteter Besuch einstellte.

      »Bin sofort wieder da«, versprach Gordon, stand vom Tisch auf und ging zur Haustür. Dort stand eine Kommode, an der er eine Schublade öffnete, um eine Pistole herauszunehmen.

      Dann trat er vorsichtig zur Tür, schaute durch den Spion und sah erleichtert, dass es Rainey zusammen mit einem anderen Beamten war. Er entriegelte das Schloss und öffnete. »Hi, Chief.«

      »Gordon, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich wäre nicht hier, wenn es sich nicht um etwas Dringendes handeln würde«, begann Rainey mit seinem breiten Brooklyner Akzent, der auch nach vielen Jahren in McCall immer noch nicht ganz verschwunden war.

      »Kein Problem, kommen Sie rein«, erwiderte Gordon und öffnete die Tür ganz.

      Die Männer traten in den Flur. Beide hielten ihre Mützen in den Händen. »Nett haben Sie es hier«, bemerkte Rainey.

      »Danke. Also, was liegt an?«

      »Vor einer knappen Stunde haben wir an unserem südlichen Checkpoint einen Wagenzug angehalten. Wir möchten, dass Sie uns begleiten, um die Identität dieser Menschen festzustellen.«

      »Die Identität feststellen?«

      »Ja, es handelt sich nämlich um Militärfahrzeuge, und ein Mann fragte ganz gezielt nach Ihnen.«

      »Im Ernst?«

      »Sie kennen mich, ich erzähle Ihnen keinen Unsinn. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mit mir zu kommen? Ich setze Sie hinterher auch wieder hier ab. Das Ganze sollte nur geklärt werden.«

      Gordon zögerte einen Moment, in dem er darüber nachgrübelte, wer nach ihm gefragt haben könnte. »Äh, klar. Warten Sie kurz, ich schnappe mir nur meine Jacke und die anderen Sachen. Hat der Mann seinen Namen genannt?«

      »Er gab an, Smitty zu heißen.«

       Elko, Nevada

      »Bitte, bitte, tun Sie uns nichts!«, jammerte eine Frau. Ihr Gesicht war blutüberströmt, weil sie eine tiefe Schnittwunde am Kopf davongetragen hatte.

      »Mama, Mama!«, rief ihre Tochter.

      »Schaff sie mit den anderen Frauen ins Haus«, befahl ein junger Unteroffizier aus Pablos Armee.

      Zwei Soldaten packten ihre Arme und zwangen sie grob zum Aufstehen.

      »Meine Tochter! Bitte tun Sie meiner Tochter nicht weh!«, flehte sie.

      »Stopp!«, brüllte General Alejandro beim Aussteigen aus dem Wagen, der gerade vor dem Haus stehengeblieben war, in dem sich das Drama abspielte.

      Nach General Pasquals Tod war Alejandro – damals noch Major – an dessen Stelle getreten und somit auch zum Kommandanten von Pablos Streitkräften befördert worden. Da er nicht zu den Menschen zählte, die viel redeten, hörten seine Männer umso genauer hin, wenn er einmal das Wort ergriff. Diese Eigenart hatte ihn davor bewahrt, Pablo ein Dorn im Auge zu werden. Alejandro war klein und dünn, doch was ihm an Statur fehlte, machte er durch seinen Ruf wieder wett. Da er nie vor einem Kampf zurückschreckte, hatte er sich unter Freunden den Spitznamen »El Luchador« also »Ringer« eingehandelt.

      Die beiden Soldaten blieben auf der Stelle stehen.

      »Was geht hier vor sich?«, fragte der General.

      Der Unteroffizier trat sofort näher und salutierte.

      Alejandro erwiderte die Geste nicht. Er verzog sein Gesicht in Anbetracht der Unwissenheit des Mannes. »Im Kampfeinsatz salutieren Sie gefälligst niemals vor mir, verstanden?« Der General bezog sich auf eine Order, die er gegeben hatte, sobald er an Pasquals Stelle getreten war. Ihr Guerillakrieg gegen die Amerikaner nötigte sie dazu, andere Methoden anzuwenden und auf typische Militärsitten zu verzichten. Aufständischen Gegnern war es gelungen, Befehlshaber unter Beschuss zu nehmen, nachdem sich diese durch Kleinigkeiten wie einen Salut zu erkennen gegeben hatten. In diesen Zeiten war es unabdingbar, alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

      »Verzeihung, Sir«, antwortete der Unteroffizier, der augenblicklich seine gesunde Gesichtsfarbe verloren hatte.

      »Was geht hier vor sich?«, wiederholte Alejandro.

      »Sir, wir bringen diese Frau ins Haus zu den anderen, die wir gefangen genommen haben.«

      Der General ging zu ihr hinüber und schaute sie intensiv an. Ihre Augen waren rot und verquollen, Tränen vermischten sich mit dem Blut auf ihrem Gesicht. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, zuckte sie zusammen, weil sie mit einem Schlag gerechnet hatte. »Sssch, ich tue dir nichts.« Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht.

      Die Frau konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Sie schaute Alejandro an, doch ihr Blick schnellte immer wieder zu ihrer Tochter.

      »Was ist hier passiert?«, fragte er.

      »Wir … meine Tochter und ich, wir versteckten uns und …«

      »Ihr Ehemann war ein Rebell, wir haben ihn umgebracht«, warf der Unteroffizier ein.

      »Stimmt das?«, fuhr Alejandro in sanftem Tonfall fort.

      Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Nun packte Alejandro sie fest am Kinn und versuchte es noch einmal: »Stimmt es, was der Corporal sagte?«

      »Wir haben uns nur verteidigt!«

      Eine andere Tür an Alejandros Wagen ging auf und Pablo stieg aus. Gleichzeitig sprang einige Männer aus dem Fahrzeug, das dahinter parkte, und umringten ihn. Er zog alle Blicke auf sich, während er raschen Schrittes zu ihnen kam. Nur ein paar Fuß vor der Frau entfernt blieb er stehen.

      »Dein Mann war also ein Rebell?«

      »Bitte, wir hatten keine andere Wahl«, rief die Frau wimmernd.

      Pablo betrachtete sie genauer; ihr dunkles Haar, die olivfarbene Haut und ihre braunen Augen. »Du stammst aus dem Süden, oder?«

      »Oh ja, ja«, antwortete die Frau in der Hoffnung, einen Vorteil daraus zu gewinnen, dass sie sich zu ihrer Herkunft bekannte.

      »Warum also habt ihr euch gegen uns gewehrt?«, fuhr Pablo fort.

      »Mein Mann …«

      »Er kam nicht aus dem Süden?«

      »Nein – ich meine doch, kam er, aber er dachte bloß …«

      »Bloß was?«, bohrte Pablo nach.

      »Bitte tun Sie uns nichts.«

      »Meine Liebe, ich tue dir nichts«, beteuerte Pablo und musterte sie ausgiebig. »Was also dachte er bloß … dein Mann?«

      »Er … ach«, fing sie an und brach wieder ab. Sie wollte eine ehrliche Antwort geben, wusste aber nicht, wie sie es genau ausdrücken sollte.

      »Dann vergiss es eben«, sagte Pablo lapidar.

      »Nein, bitte lassen Sie uns in Ruhe.«

      »Dein Mann hat gegen uns gekämpft, und du vermutlich auch, also …«

      »Nein, bitte, nein!«

      »Liebte dein Mann sein Land?«, stichelte Pablo. »Liebte er Amerika?«

      Die Frau erstarrte vor Angst. Sie sperrte den Mund weit auf, fand aber keine Worte.

      »Na? Antworte mir!«

      »Doch, ja, er liebte Amerika, aber ich – ich liebe Mexiko! Viva México!«, rief die Frau.

      Pablo sah sie finster an, ehe er sich dem General zuwandte. Er prustete los. Sein Gelächter jagte der Frau noch größere Angst ein.

      Ihre Tochter wimmerte so laut, dass Pablo auf sie aufmerksam wurde. Ein anderer Soldat hielt sie an den Schultern fest. In ihrem schmutzigen Gesicht hatten sich durch die Tränen Schlieren gebildet.

      Als Pablo das Kind anschaute, empfand er nichts. Er war

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