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das etwa Moms altes Haus?«

      »Jepp.«

      »Ich dachte … Mom sagte doch, es gehöre nicht mehr uns, sie hätte es verkauft.«

      »Das war ihre erste Lüge«, erwiderte Sebastian prompt. Er konnte kaum mehr verbergen, dass er darauf brannte, seinen Bruder einzuweihen. »Komm schnell!«, rief er, als er bereits zu einer Seitentür neben der Garage lief. Dort zog er einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte sie auf. Beim letzten Klicken des Schlosses bellte ein Hund, der zumindest dem Geräusch nach riesig sein musste.

      Sebastian hielt den Griff fest und öffnete die Tür nur langsam, damit der Hund, ein Pitbull, nicht herauskam. »Oh, bist du nicht ein braver Junge?«, raunte er ihm zu. Der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und leckte eifrig Sebastians Hand. Die Zutraulichkeit des Tieres stand im extremen Gegensatz zu seinem Aussehen.

      »Das ist Irish«, stellte ihn Sebastian vor.

      »Hallo Irish«, sagte Hunter, der nun direkt hinter seinem Bruder stand. Er war kein ausgesprochener Hundeliebhaber und kannte sich auch nicht sonderlich gut mit ihnen aus, weil Haley ihren Söhnen, während sie aufgewachsen waren, nie erlaubt hatte, einen Vierbeiner zu halten.

      »Das ist Hunter!«, rief Sebastian.

      Sie betraten eine enge Diele. Die einzigen Möbelstücke in dem kleinen Raum waren eine Bank, ein Kleiderständer und Körbe, in denen Stiefel und Schuhe standen. Irish rannte voraus in die Wohnung. Nachdem die beiden Männer ihre Schuhe ausgezogen hatten, folgten sie ihm. Als Nächstes betraten sie eine große Küche. Die Geräte darin waren mindestens fünfzig Jahre alt, doch was sofort auffiel, war der penibel gepflegte Zustand, in dem sich alles befand. Wer auch immer hier wohnte, trug Sorge dafür, dass es so sauber blieb. Die Küche ging in ein geräumiges, stattliches Zimmer über, das bestimmt knapp acht Meter hoch war. Der Schacht eines massiven Steinkamins verschwand an den Holzsparren unter der Decke. Ließ man sich auf der breiten Couchgarnitur nieder, konnte man das Tal und einen Bach überblicken, der ungefähr hundert Yards hinter dem Haus verlief. Weitab stach der Jug Handle Mountain hervor.

      Hunter war hingerissen von der Aussicht und trat zum Fenster, um mehr zu sehen. Es war atemberaubend schön. Er verstand langsam, was seinen Großeltern an diesem Landstrich von Idaho so gefallen hatte. Die Schwärmerei verging ihm jedoch sofort wieder, als ihm bewusst wurde, was in den Jahren zuvor geschehen war. In einiger Entfernung lag unter einer gewaltigen Kiefer ein umzäunter Friedhof mit einem Eingangstor. Diese waren heutzutage allgegenwärtig. Nach dem Zusammenbruch hatte es den Luxus von Bestattungsinstituten und Gemeindefriedhöfen nicht mehr gegeben. War ein Verwandter gestorben, hatte man den Leichnam selbst präparieren und begraben müssen. Zu wissen, was diese Gräber jedoch bedeuteten – die Geschichte dahinter –, raubte Hunter den Atem.

      »Mom erzählte mir, es sei eine Hütte gewesen, kein weitläufiges Anwesen«, sagte er.

      »Ich weiß.«

      »Dieses Haus ist riesig. Was schätzt du? Mehr als dreitausend Quadratfuß?«, fragte Hunter.

      »Eher viertausend«, hallte plötzlich eine Stimme aus dem angrenzenden Flur.

      Hunter fuhr herum. Der Gang war dunkel, doch er erkannte, dass sich jemand im Schatten auf sie zubewegte.

      Sein Herz klopfte in ängstlicher Erwartung, als ein älterer Mann mit Gehstock erschien. Er näherte sich Hunter und streckte eine Hand aus.

      Dieser wusste nicht, woran er war. Etwas an diesem wettergegerbten Gesicht kam ihm bekannt vor. Als ihm die Narbe an der rechten Wange des Mannes auffiel, wurde ihm flau im Magen.

      Das kann nicht sein, dachte Hunter. Er war doch tot! Seine Mutter hatte ihm erzählt, er sei vor vielen Jahren gestorben. Geschichtsbücher behandelten seinen Niedergang, man hatte ihm ein Staatsbegräbnis gegönnt. Laut Haley war die Republik untröstlich gewesen, als einer ihrer Gründerväter dahinschied. Eine Fülle von Fragen drängte sich Hunter auf. Seine Verwirrung überwältigte ihn fast.

      »Großvater?«

      »Hallo Hunter.«

      »Großvater, das ist unmöglich. Es hieß doch, du seist tot!«, rief er fassungslos.

      »Man sollte nicht alles glauben, was man liest«, entgegnete Gordon.

      Hunter war zutiefst bestürzt, nahm aber trotzdem die Hand seines Großvaters und schüttelte sie. Gordon packte fest zu.

      »Setzen wir uns doch in mein Büro«, schlug er vor.

      Die Brüder folgten ihm durch den Flur zu einer breiten Flügeltür, hinter der ein dunkles Zimmer lag. Hunter stieg sofort Zigarrenqualm in die Nase. Zur Einrichtung zählten zwei schwere Ledersessel mit passenden Polsterhockern, die vor einem Kamin standen, der aus Kieselsteinen gebaut war. An der Wand hinter den Sesseln stand ein ebenfalls lederner Zweisitzer. Hier sah es aus wie in einem Museum. Als Hunter den Blick durch den Raum schweifen ließ, fielen ihm Fotos seiner Familie und Gegenstände aus alter Zeit auf: Männer in Uniform, Flaggen und Medaillen, die nun in Setzkästen lagen. Über dem Kamin hing ein M4-Gewehr. Hunter entsann sich der vielen Bilder von seinem Großvater während des Bürgerkriegs, auf denen er stets eine Waffe in den Händen hielt.

      »Nimm Platz«, bot Gordon an, indem er auf einen Sessel zeigte. »Sebastian, bitte komm herein.«

      Gordon ließ sich in einen der Sessel fallen und Hunter nahm den anderen. Sebastian setzte sich ihnen gegenüber. Ihr Schweigen bedrückte sie zunächst alle.

      Sebastian brach es endlich, als er meinte: »Großvater, ich sagte dir doch, er würde kommen.«

      Gordon nickte ihm zu und wandte sich dann an den Älteren. »Hunter, es tut mir leid, dich unter diesen Umständen kennenlernen zu müssen, und noch mehr bedauere ich, dass du dein ganzes Leben lang glauben musstest, ich sei tot.«

      »Ich verstehe das nicht … was geht hier vor sich?«

      »Eines nach dem anderen. Ich werde dir alles erzählen, so wie auch deiner Mutter vor vielen Jahren.«

      Hunter fühlte sich benommen angesichts dieser Offenbarung. Er war außerstande, die Tragweite des Ganzen zu begreifen.

      »Warum sollen alle glauben, du wärest gestorben? Selbst Mom geht davon aus.«

      »Jeder tut es, nur wenige Auserwählte kennen die Wahrheit«, erwiderte Gordon. »Deine Mutter ist eine davon.«

      »Warum sollte sie uns anlügen?«

      »Weil ich sie darum gebeten habe. Wir mussten …«

      »Mussten?«, unterbrach ihn Hunter mit aufbrausender Stimme.

      »Ich lernte vor langer Zeit, dass unser Leben voller schwieriger Entscheidungen steckt«, fuhr Gordon fort. »Meine Entscheidung belief sich darauf, es so zu machen, und zwar aus einem guten Grund. Du solltest es deiner Mutter nicht übelnehmen.«

      »Aber was ist passiert, das dich dazu gebracht hat, so etwas zu tun?«, fragte Hunter.

      »Dies zu erklären, dauert lange und ist nicht so einfach, aber lass mich dir zunächst versichern, dass ich dich Zeit deines Lebens beobachtet und auf dich achtgegeben habe. Dass wir beide uns jemals treffen würden, war nicht vorgesehen, weil … na ja, die Wahrheit zu kennen, hätte gefährlich für dich werden können, doch vor zwei Wochen stand jemand vor meiner Haustür, und das führt jetzt zu unserer Begegnung. Es war dein Bruder, er hat mich gefunden! Hut ab, er ist ein guter Detektiv.« Gordon schmunzelte.

      Sebastian lächelte im Gegenzug, er bildete sich etwas darauf ein, dass sein berühmter Großvater ihn lobte. »Ich würde gerne sagen, es sei schwierig gewesen, doch eigentlich fiel es mir sozusagen in den Schoß – die Gewissheit, dass du noch am Leben bist.«

      Gordon grinste. »Ein altes Sprichwort lautet: Drei können ein Geheimnis wahren, wenn zwei von ihnen tot sind.«

      Hunter schaute seinen Bruder ernst an und fragte: »Wer war es: die Frau in Neuseeland?«

      »Genau. Brittany hieß sie. Ich hatte diesen beschissenen

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