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werden wir rechtzeitig auf der Hütte sein.«

      Die Sonne war gerade erst aufgegangen, als sie sich an den Aufstieg gemacht hatten. Eva, die ihren Urlaub in St. Johann verbrachte und in der Pension Stubler wohnte, hatte den Geistlichen auf Anraten der Wirtin gefragt, ob er sie einmal mit auf eine Bergtour nehmen könne.

      Sebastian, der sich immer freute, wenn er jemandem die Schönheiten seiner Heimat zeigen konnte, hatte die Bitte nicht abgeschlagen. Er holte die angehende Lehrerin von ihrer Unterkunft ab, und sie stiegen über den Höllenbruch und die Hohe Riest auf.

      »Nehmen S’ auf jeden Fall ihren Fotoapparat mit«, hatte der Geistliche ihr bei der Verabredung gesagt, und Eva bekam reichlich Gelegenheit, den Auslöser zu drücken.

      »Wunderschön ist es hier«, sagte sie und atmete die frische, würzige Bergluft ein.

      »Sie kommen vom Niederrhein, wenn ich’s recht verstanden hab’?« erkundigte sich Sebastian.

      Die junge Frau nickte. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne, die blauen Augen waren geschlossen, und das blonde Haar lugte unter einem Hut hervor.

      »Ja, ein kleiner Ort, nicht viel größer als St. Johann«, antwortete sie. »Es ist zwar dort auch schön, aber natürlich haben wir da nicht solche gewaltigen Berge. Das hier ist schon ein Erlebnis.«

      Sie unterhielten sich eine ganze Weile, und die Vierundzwanzigjährige erzählte, daß es nicht mehr lange dauerte bis zum zweiten Staatsexamen. Zu Hause waren jetzt Sommerferien. Eva hatte eine Referendariatstelle an einer kleinen Grundschule, und die Eltern hatten etwas zur Urlaubskasse beigesteuert. Schon ein paar Wochen nach den Ferien war es dann soweit; der große Tag stand vor der Tür.

      »Ich habe immer schon Lehrerin werden wollen«, erzählte Eva schmunzelnd. »Als Kind habe ich bereits alle Nachbarskinder ›unterrichtet‹. Ich kann mir für mich gar keinen schöneren Beruf vorstellen.«

      Das konnte Sebastian gut verstehen. Für ihn war seine Berufung zum Geistlichen ein großer Wendepunkt in seinem Leben gewesen. Auf der Seite das Madel, das er liebte, auf der anderen sein innigster Wunsch, als Seelsorger für die Menschen da zu sein.

      »Ich glaub’, jetzt müssen wir uns langsam wieder auf den Weg machen«, sagte der Bergpfarrer, nachdem sie ihre Frühstückspause beendet hatten.

      Sie packten die Sachen zusammen, drückten die Hüte zum Schutz gegen die Strahlen der Sonne fest auf die Köpfe und marschierten weiter.

      Ihr Ziel war die Kandereralm, wo sich der alte Franz Thurecker in Jahrzehnten einen legendären Ruf als Käsemeister gemacht hatte. Es war geraume Zeit her, daß Sebastian dem Senner einen Besuch abgestattet hatte. Bestimmt würde der Alte ihn schon schmerzlich vermissen.

      »Jetzt ist’s net mehr weit«, erklärte der Geistliche knapp drei Stunden später.

      Sie waren über Bergwiesen, Geröllhalden und schmale Pfade gegangen. Eva hatte unablässsig fotografiert, und einige Male war sie selbst das Motiv.

      »Damit Sie ein Andenken für zu Haus’ haben.«

      Sebastian deutete auf einen Hügel.

      »Dahinter liegt die Kandererhütte.«

      Sie stiegen hinauf, und oben angekommen, stieß die angehende Lehrerin einen Ruf des Entzückens aus. Es war wirklich ein malerischer Anblick, der sich ihr bot. In der Senke lag die Sennerhütte mit einer großen Sonnenterrasse davor. Daneben kleine Gebäude, Schuppen und Stall. Auf den Almwiesen standen Ziegen und Kühe, die sich, bewacht von zwei Hütehunden, an dem saftigen und würzigen Gras gütlich taten. Die Grundlage für die gute Alpenmilch, wie Eva später noch erfahren sollte.

      Auf der Terrasse saßen zahlreiche Wanderer, die über andere Wege heraufgekommen waren. Franz Thurecker wieselte zwischen den Tischen umher und erfüllte die Wünsche seiner Gäste nach Speisen und Getränken.

      »Suchen S’ sich schon mal einen Platz«, meinte Sebastian zu seiner Begleiterin. »Ich werd’ dem Franz mal ein bissel unter die Arme greifen.«

      Erstaunt schaute Eva wenig später zu, wie der gute Hirte von St. Johann ein großes Tablett balancierte, auf dem Gläser und Flaschen standen. Pfarrer Trenker hielt das Ganze mit solch einer Sicherheit, als habe er sein Leben lang als Kellner gearbeitet.

      Ria Stubler, die Pensionswirtin, hatte ihrem Gast schon erzählt, wie unkompliziert Hochwürden in solchen Dingen war. Dazu paßte auch seine Erscheinung, die so ganz und gar nicht an einen Landpfarrer erinnerte. Sportlich und durchtrainiert, das markante Gesicht von vielen Aufenthalten im Freien stets leicht gebräunt, erinnerte der schlanke und hochgewachsene Geistliche eher an einen prominenten Sportler oder Schauspieler.

      »Hochwürden, schön, daß Sie mal wieder vorbeischau’n«, hatte der Thurecker-Franz den Bergpfarrer begrüßt. »Ist ja schon eine Weile her.«

      »Na ja, Franz, du weißt ja, die Arbeit…«

      Nachdem die anderen Gäste zufriedengestellt waren, setzte sich Sebastian zu Eva an den Tisch. Franz brachte eine große Terrine Eintopf und einen Korb mit Brot. Sie aßen mit gutem Appetit, und die junge Frau wunderte sich insgeheim, daß sie schon wieder solchen Hunger hatte, wo es doch so ein reichhaltiges Frühstück gegeben hatte.

      »Das macht die gute Bergluft«, schmunzelte Sebastian und forderte Eva auf, noch mal von der leckeren Graupensuppe zu nehmen.

      *

      Ulli Vogler schob den Hut zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      Himmel, war es heiß geworden!

      Der Bursche legte den Rucksack ab und beschloß, die Jacke auszuziehen. Nachdem er sie sich um die Hüften gebunden hatte, schaute er auf die Wanderkarte. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis er die Hütte erreichte. Eigentlich müßte er sie schon bald sehen können.

      Oder hab’ ich mich etwa verlaufen?

      Ein wenig vom Weg war er schon abgekommen. Ulli war leidenschaftlicher Fotograf und hatte ein paar besonders schöne Motive entdeckt. Um sie auf den Film zu bannen, mußte er einige Male vom Pfad abweichen, über Anhöhen klettern und auf Felsbrocken steigen. Der Sohn eines Unternehmers aus Aachen mußte zugeben, daß er im Moment nicht recht wußte, wo er sich befand.

      Anhand der Karte orientierte er sich und entschied, erst einmal über die mit Steinen übersäte Geröllhalde zu steigen, hinter der er den Weg zur Kandererhütte vermutete. Er hätte nie gedacht, daß eine Wanderung in den Bergen so zeitraubend sein könne.

      Nach einem Schluck aus der Wasserflasche marschierte er los. Dabei mußte er aufpassen; die Steine unter seinen Füßen lagen lose auf dem Boden. Über die größeren konnte er hinwegsteigen, doch bei den kleinen geschah es hin und wieder, daß sie wegrollten und ihn ins Rutschen brachten.

      Plötzlich passierte, was Ulli die ganze Zeit schon befürchtet hatte. Er verlor das Gleichgewicht und konnte sich nicht mehr halten, als die kleinen Steine unter seinen Schritten in Bewegung gerieten. Mit einem lauten Schrei stürzte er zu Boden und rutschte ein ganzes Stück den Abhang hinunter.

      Endlich wurde der Sturz abgebremst. Mit einem Stöhnlaut richtete sich Ulrich Vogler auf und betastete das schmerzende Gelenk an seinem rechten Fuß.

      Es dauerte eine Weile, bis dieser Schmerz nachließ. Offenbar war der Wanderer umgeknickt und hatte sich dabei das Gelenk verdreht. Humpelnd kam Ulli auf die Füße. Seine Sachen waren schmutzig geworden, die Hose hatte gar ein Loch abbekommen, und am Rucksack war ein Riemen losgerissen worden. Der Fotoapparat schien nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, lediglich die Lederhülle war ein wenig verschrammt.

      Aber das war alles nicht so schlimm wie der Fuß. Der junge Bursche konnte kaum auftreten, so weh tat er.

      Allerdings kann ich hier auch nicht sitzen bleiben, überlegte er. Wer weiß, wann hier jemand vorbeikommt?

      Ulli wartete, bis der rasende Schmerz aufgehört hatte. Wenn er jetzt auftrat, klopfte es zwar in dem Fuß, aber zumindest konnte er sich humpelnd fortbewegen.

      Aufatmend

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