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daß er und Elisa sich hier begegneten. Außerdem mochte der Anblick von Nenndorf manche schwermüthige Gefühle in Elisen wecken; wie sie vor neun Jahren als fröhliches Mädchen hier weilte, da hatte sie doch mit andern Erwartungen in die Zukunft geblickt, als sie jetzt erfüllt sah! –

      Im Juli langten sie an ihrem neuen Bestimmungsort an. Elisa fühlte sich dort anfänglich sehr fremd, und die kleine Stadt, die engen Verhältnisse sagten ihr wenig zu. Lützow, dem nach dem bewegten Kriegsleben der leere Friedensdienst gar nicht behagte, suchte sich durch seine Leidenschaft für Pferde in seiner freien Zeit möglichst zu zerstreuen; er schaffte sich deren viele an, die der Gegenstand seiner beständigen Beobachtung waren; auch liebte er es sehr mit Elisen auszureiten, welche eine so ausgezeichnete Reiterin war, daß er oft behauptete, von ihr habe er erst die wahren Feinheiten der Reitkunst gelernt. Konnte er sich nun noch dann und wann mit einigen seiner Kameraden unterhalten, wo dann seine ihm so lieben Pferde beinahe immer den Stoff zum Gespräche lieferten, so war für ihn leidlich gesorgt. Aber Elisens feiner und lebhafter Geist, der sich immer nach Anregung sehnte, konnte hier keine Befriedigung finden. In den begeisterten Kriegsjahren, wo ihr ganzes Wesen in der Liebe zum Vaterlande aufging, war es ihr gewissermaßen nicht möglich gewesen, an sich selbst, an ihr persönliches Geschick zu denken. Jetzt aber konnte sie sich nicht mehr verhehlen, daß der Verkehr mit ihrem Gatten den höheren Ansprüchen, die sie zu machen berechtigt war, nicht mehr genügte.

      Der Abstand zwischen ihr und Lützow trat immer schärfer hervor; gutmüthig und brav und nicht ohne natürlichen Verstand, war er doch weder an Bildung noch an Geist und Feinheit Elisen ebenbürtig. Im Laufe der Jahre hatte sich ihr Wesen immer reicher entwickelt, und überflügelte immer mehr ihre Umgebung. Ihre Heiterkeit verwandelte sich in wehmüthigen Ernst; sie suchte, wie es ihre Art war, Trost in der Natur und bei ihren Dichtern, aber ihr Herz sehnte sich vergeblich nach einem Glücke, das sie einst geträumt, und das ihr nicht beschieden zu sein schien. Sehr wohlthuend war ihr die Freundschaft ihres Schwagers Wilhelm von Lützow, der ihren ganzen Werth zu würdigen wußte, und mit rückhaltsloser Offenheit sie an allem Theil nehmen ließ, was ihn betraf.

      Mochte nun aber auch Münster noch so geistig todt, so steif, so kleinlich und bigott katholisch sein, alles Eigenschaften, die Elisen in tiefster Seele zuwider waren, so konnte sie bei ihrer besonderen Gabe, einen angenehmen und geistig bewegten Kreis um sich zu gestalten, doch nicht lange diesen Ort bewohnen, ohne alle jene Elemente aufgefunden, und um sich gesammelt zu haben, welche sich dazu eigneten.

      Hier machte sie die Bekanntschaft von Henriette Paalzow, geb. Wach, die damals noch nicht als Schriftstellerin aufgetreten war, viel anspruchslose Liebenswürdigkeit besaß, und bis an ihr Lebensende mit Elisen befreundet blieb; hier begegnete sie zuerst der edlen, feinen, liebevollen Adele von A. und ihrem Gatten, die sie sehr lieb gewannen; Adele, eine durchaus weibliche und sinnige Natur, wurde bald ihre Herzensfreundin; hier wurde der Consistorialrath und Schulrath Friedrich Kohlrausch, dessen deutsche Geschichte damals alle Gemüther erfreute, ihr Freund; auch mit Wilhelmine von G. trat sie in lebhafte Beziehung. Eine alte Freifrau von Aachen, die sich in Malerei, Dichtkunst und Musik versuchte, und mit dem damaligen Kronprinzen Ludwig von Baiern, den sie in Italien kennen gelernt hatte, im Briefwechsel stand, wurde zuweilen mit in den Kreis gezogen, so wie einige Offiziere, die Bildung und höheren Sinn besaßen. Hier auch lernte Elisa den würdigen Oberconsistorialrath Anton Möller kennen, der ihr besonders theuer wurde, und dessen segensreiche Wirksamkeit als anregender und begeisternder Universitätslehrer, als Schriftsteller und Prediger vorzüglich in Münster, wo er so lange gelebt, in Aller Andenken steht.

      Eine so eigenthümliche Erscheinung wie Möller, dürfte selten zu finden sein; damals war er schon in den Fünfzigen, aber vereinigte jugendliche Frische mit einem enthusiastischen Gemüthe. Er war ein eifriger Anhänger der Kantischen Philosophie, liebte feurig das classische Alterthum der Griechen und Römer, die er häufig zu citiren pflegte, las Goethe mit Entzücken, und mit einer Vorurtheilslosigkeit, welche einem geistlichen Herrn doppelt hoch anzurechnen ist; an der Natur, der Musik, den schönen Künsten hatte er die innigste, reinste Freude; er war ein durch und durch edler Mensch, sein ganzes Wesen war von Poesie durchglüht; eine seltene Gabe der Beredtsamkeit, die dem lebhaften Manne fortwährend von den Lippen strömte, verlieh nicht nur seinen Vorträgen, sondern auch seiner Unterhaltung eine fortreißende Gewalt. Ohne alle priesterliche Salbung war er immer menschlich offen, freien Sinnes, natürlich, anspruchslos wie ein Kind, und verbarg nie seine warme Freude an der Schönheit dieser Welt. Eine Schilderung von ihm, die im »Westphälischen Merkur« erschien, beschreibt ihn folgendermaßen: »Von Charakter war Möller ein echter deutscher Mann, und wie gediegen auch sein Geist, so war doch auch sein Gemüth nicht minder tief und zart. Seine äußere Erscheinung war stattlich, freundlich und ehrwürdig. Seine hohe, gewölbte Stirn verrieth sofort den Denker, seine Lippen umschwebten Anmuth und Heiterkeit; seine ganze Persönlichkeit war liebenswürdig und herzgewinnend, und gewährte den Eindruck eines im Dienste der Ideen ergrauten Lebens. Zeigte er schon ein rein menschliches Wohlwollen und eine aus dem Herzen kommende Freundlichkeit gegen Jedermann, so war insbesondere seine Freundschaft ihm selbst ein Seelenbedürfniß – hingebend und treu, und für Geist und Gemüth gleich genußreich. Die Gesellschaft, welche er angenehm zu unterhalten und zu beleben wußte, liebte und suchte er, besonders solche erlesenere Kreise, wo der Geist den Vorsitz führt, und war in ihnen gern gesehen, bis in seine letzten Tage.« –

      In Münster sind noch viele Charakterzüge und kleine Anekdoten von dem seltsamen Manne aufbewahrt. Als er einmal bei einem Festmahl einen begeisterten Toast ausbrachte, lehnte er sich in seiner Lebhaftigkeit etwas zu weit zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor, und mit sammt seinem Stuhl hinten über auf die Erde fiel; dadurch ließ er sich aber in seiner feurigen Beredtsamkeit nicht stören, und erst als er seinen langen Vortrag ganz beendet hatte, richtete er sich vom Boden auf. – Schon früh zum Wittwer geworden, lebte er lange für sich allein, aber so sehr in seine Studien und Gedanken vertieft, daß er seiner Umgebung wenig achtete. Als später seine würdige Freundin, die alte, vortreffliche Christiane Engels zu ihm zog, um seine Wirthschaft zu führen, fand sie nicht nur, daß er von seinen Leuten um beträchtliche Summen bestohlen worden war, sondern auch, daß in seiner großen, wüsten Wohnung sich Ratten vollauf, groß wie junge Katzen, umhertrieben, die Abends oft drei, vier zugleich, in Gegenwart der Mägde auf den Tisch sprangen, und den Talg von den Leuchtern fraßen. Hatte Möller dies alles nicht bemerkt, so bemerkte er doch das neue Behagen im Hause und den neu geordneten Garten, und dankte der Freundin ihre Fürsorge. – Wie Möller Besuchsreisen zu seinen verheiratheten Kindern machte, geschah es zweimal, daß er nahe daran war, ihnen das Haus anzustecken, da er in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Abends sein Licht auszulöschen; es fehlte wenig, daß in solcher Weise das Feuer, welches er in seinem Gemüthe trug, oben zum Dach herausgeschlagen wäre! –

      Für Elisen faßte Möller eine schwärmerische Zuneigung, wie die Briefe beweisen mögen, welche wir von ihm im Anhang mittheilen, da sie, wie wir glauben, von ihm so wie von Elisen ein lebhaftes Bild geben, denn es ist eigenthümlich, daß man diese weit mehr aus den von ihren Freunden an sie gerichteten Briefen, in denen sich der Eindruck, den sie hervorbrachte, abspiegelt, kennen lernt, als aus ihren eigenen Aufzeichnungen und Briefen, die zwar sehr fein und anmuthig sind, aber doch nur einige Seiten ihres Wesens wiedergeben. Sie brauchte darin nie eine leere Phrase, jedes Wort war beseelt, innig, und ihr aus dem Herzen kommend, und entzückte wohl den Empfänger, der sie kannte, und gewissermaßen den Duft ihrer Seele darin empfing, aber die ganze Bedeutsamkeit und Tiefe ihres Innern war daraus nicht wahrzunehmen. Auch in ihrer Art zu sprechen, konnte sie leicht von Andern, selbst von solchen, die geistig weit unter ihr standen, überglänzt werden, denn sie besaß keine Beredtsamkeit, wie zum Beispiel der edle Möller, und wenn sie sich auch wohl graziös und artig auszudrücken wußte, so war dies doch nicht das Hervorstechendste an ihr.

      Dagegen konnte sie nicht übertroffen werden an seltenem Schönheitssinn, an Tiefe, Feinheit und Schärfe der Auffassung. Es lag ein Zauber darin, sich mit ihr über Lebensverhältnisse und über Gegenstände der Kunst und Literatur zu unterhalten, weil sie mächtig von allem Schönen ergriffen wurde, und es, wie mit seinen Fühlfäden begabt, überall herausfand; eine edle Regung in einem Menschen, eine bedeutende Idee in einer Dichtung,

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