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ein derartiges Ultimatum zu stellen. Mancher Mann steht lieber auf freiem Feld einem Gegner gegenüber, der ihn mit dem blanken Degen bedroht, als etwa einer Frau, die zwei Stunden lang elegisch schluchzt, um dann ohnmächtig zu werden und Riechsalz zu verlangen. So saß in diesem Augenblick Herr d'Ajuda-Pinto wie auf Kohlen und wollte sich verabschieden, denn er sagte sich, daß Madame de Beauséant die Nachricht schon irgendwie erfahren, daß er ihr schreiben würde, daß es bequemer sei, diesen galanten Mord schriftlich als mündlich zu vollziehen. Als der Diener der Vicomtesse Eugen de Rastignac meldete, fiel Herrn d'Ajuda-Pinto ein Stein vom Herzen. Aber eine verliebte Frau ist noch feinfühliger in ihren Zweifeln als in der Entdeckung neuer Freuden. Wenn sie verlassen werden soll, so errät sie die Bedeutung einer Geste schneller als jenes Rennpferd Virgils die Liebe, die in der Ferne verheißungsvoll winkt.

      So war Madame de Beauséant dieses freudige Auffahren ihres Freundes nicht entgangen, das für sie ein naives, aber ebenso bestürzendes Bekenntnis enthielt. Eugen wußte noch nicht, daß man sich in Paris bei niemandem präsentieren darf, wenn man sich nicht zuvor von den Freunden des Hauses die Geschichte des Gatten, der Frau und der Kinder hat erzählen lassen. Andernfalls läuft man Gefahr, Dummheiten zu begehen, von denen man in Polen so hübsch sagt: Spannen Sie fünf Ochsen vor Ihren Wagen! (Offenbar um sich aus der Patsche, in die man geraten ist, herausziehen zu lassen.) Wenn es für solche gesellschaftliche Entgleisungen in Frankreich noch keine Bezeichnung gibt, so ist dies wohl dadurch zu erklären, daß man sie in Anbetracht der allgemeinen Verbreitung solcher Klatschgeschichten für unmöglich hält. Nachdem Eugen bei Madame de Restaud seinen Karren so in den Dreck gefahren hatte, daß ihm nicht einmal Zeit blieb, seine fünf Ochsen anzuspannen, war er ganz der geeignete Mann, um seinen Beruf als Karrentreiber bei Madame de Beauséant fortzusetzen. Aber wenn er Madame de Restaud und Monsieur de Trailles in Verlegenheit gebracht hatte, zog er hier Herrn d'Ajuda-Pinto aus einer unangenehmen Lage.

      »Auf Wiedersehen«, sagte der Portugiese, der sich eilig zur Tür zurückzog, als Eugen in den kleinen koketten Salon in Grau und Rosa eintrat, dessen Luxus sich nur als schlichte Eleganz gab.

      »Aber doch heute abend«, sagte Madame de Beauséant, indem sie sich umwandte und den Marquis scharf ansah. »Gehen wir nicht ins Theater?«

      »Ich kann nicht«, sagte er, den Türknopf fassend.

      Madame de Beauséant erhob sich und rief ihn zu sich zurück, ohne im geringsten Eugen zu beachten, der vom Glanz dieses fabelhaften Reichtums geblendet war. Alle arabischen Märchen schienen ihm Wirklichkeit geworden, und er war so verwirrt, daß er nicht wußte, wohin er sich vor dieser Frau, die ihn nicht beachtete, verkriechen sollte. Die Vicomtesse hatte den Zeigefinger ihrer rechten Hand erhoben und wies mit einer Geste dem Marquis von neuem einen Platz ihr gegenüber an. In dieser Gebärde lag so viel von der wilden Despotie der Leidenschaft, daß der Marquis den Türknopf fahren ließ und näher kam. Eugen betrachtete ihn nicht ohne Neid.

      Das ist also der Mann mit dem eleganten Kupee! sagte er sich. Aber muß man denn rassige Pferde, Livreen und Gold in Strömen besitzen, um von einer Pariserin eines Blickes gewürdigt zu werden?

      Der Dämon des Luxus nagte ihm am Herzen, ein fieberndes Verlangen nach Gewinn ergriff ihn, der Durst nach Gold trocknete ihm die Kehle. Er hatte noch 130 Francs für sein Semester. Sein Vater, seine Mutter, seine Brüder, seine Schwestern und seine Tante gaben zusammen im Monat noch keine 200 Francs aus. Dieser schnelle Vergleich zwischen seiner gegenwärtigen Lage und dem Ziel, das es zu erreichen galt, machte ihn vollends verwirrt.

      »Warum ›können‹ Sie nicht ins Theater kommen?« fragte die Vicomtesse den Portugiesen lächelnd.

      »Geschäfte! Ich diniere beim englischen Botschafter.«

      »Sie werden absagen.«

      Wenn ein Mann zu täuschen sucht, so ist er unvermeidlich gezwungen, Lügen auf Lügen zu türmen. Herr d'Ajuda sagte lachend:

      »Sie fordern das?«

      »Ja, gewiß!«

      »Das hatte ich nur hören wollen«, antwortete er, indem er ihr einen Blick zuwarf, der jede andere Frau beruhigt hätte.

      Er küßte der Vicomtesse die Hand und entfernte sich.

      Eugen strich sich durch die Haare und bemühte sich, seine Verbeugung anzubringen, in der Hoffnung, sie würde schließlich an ihn denken. Da erhob sie sich plötzlich, eilte in das Vorzimmer und ans Fenster und verfolgte mit ihren Blicken Herrn d'Ajuda, hörte, wie der Jäger dem Kutscher wiederholte:

      »Zu Herrn de Rochefide!«

      Diese Worte und die Art, wie Herr d'Ajuda sich in die Kissen warf, wirkten wie Blitz und Donner auf die Frau, die die furchtbarsten Ahnungen überkamen. Die schrecklichen Katastrophen der großen Gesellschaft vollziehen sich meist ähnlich. Die Vicomtesse ging in ihr Schlafzimmer, setzte sich an einen Sekretär und nahm einen Bogen ihres eleganten Briefpapiers.

      »Da Sie bei Rochefide dinieren«, schrieb sie, »und nicht beim englischen Botschafter, schulden Sie mir eine Erklärung. Ich warte auf Sie!«

      Nachdem sie einige Buchstaben verbessert hatte, die durch das Zittern ihrer Hand undeutlich geworden waren, unterzeichnete sie mit einem C, das »Claire de Bourgogne« bedeutete, und klingelte.

      »Jacques«, sagte sie zu dem Kammerdiener, der sofort eintrat. »Sie gehen um halb acht Uhr zu Herrn de Rochefide und verlangen dort den Marquis d'Ajuda. Wenn der Marquis anwesend ist, so übergeben Sie ihm dieses Billett, ohne auf Antwort zu warten. Wenn er nicht dort ist, bringen Sie mir den Brief zurück.«

      »Frau Gräfin haben Besuch im Salon.«

      »Ach richtig«, sagte sie, indem sie die Tür öffnete.

      Eugen begann sich in seiner Lage bereits recht unbehaglich zu fühlen. Endlich erblickte er die Vicomtesse, die ihm in einem Ton, dessen Erregung ihm das Herz zittern machte, sagte: »Verzeihen Sie, ich hatte einige Zeilen zu schreiben. Ich stehe jetzt ganz zu Ihrer Verfügung.«

      Sie wußte gar nicht, was sie sagte; sie dachte immer nur: Ah! Er will Fräulein de Rochefide heiraten! Aber ist er denn frei? Heute abend ist es mit dieser Heirat aus, oder … Aber morgen wird man schon nicht mehr davon sprechen!

      »Liebe Cousine …«, sagte Eugen.

      »Wie?« Die Vicomtesse warf dem Studenten einen Blick zu, dessen Hochmut ihn erstarren machte.

      Eugen verstand dieses »Wie?« Seit drei Stunden hatte er so viel Neues gelernt, daß er nun auf seiner Hut war.

      »Madame …«, stammelte er errötend. Er zögerte und fuhr dann fort: »Verzeihen Sie mir, ich habe so viel Protektion nötig, daß ein Stückchen Verwandtschaft nichts verderben würde.«

      Madame de Beauséant lächelte traurig: Sie fühlte bereits das Herannahen des Unheils, das sie bedrohte.

      »Wenn Ihnen die Lage meiner Familie bekannt wäre«, fuhr er fort, »so würden Sie gern die Rolle der guten Fee übernehmen, die ihrem Patenkind den Weg ebnet.«

      »Also, lieber Cousin«, erwiderte sie lachend, »womit kann ich Ihnen behilflich sein?«

      »Weiß ich selbst? Mit Ihnen durch irgendeine entfernte Verwandtschaft, die sich ins Dunkel verliert, verbunden zu sein, ist schon ein großes Glück. Sie haben mich ganz verwirrt gemacht, ich weiß nicht mehr, was ich Ihnen sagen wollte. Sie sind die einzige Dame, die ich in Paris kenne … Ach! ich wollte Sie um Rat fragen, ich wollte Sie bitten, mich aufzunehmen, wie ein armes Kind, das sich an Ihre Röcke hängt, das gerne für Sie sterben würde.«

      »Könnten Sie jemanden für mich töten?«

      »Auch zwei, wenn Sie befehlen«, erwiderte Eugen.

      »Sie Kind! Ja, Sie sind noch ein Kind«, sagte sie und unterdrückte eine Träne. »Sie würden sicher aufrichtig lieben.«

      »Ah!« Er warf den Kopf zurück.

      Die Vicomtesse hatte den verhaltenen Ehrgeiz des jungen Mannes mit großem Interesse erkannt. Die erste Rechnung des jungen Südfranzosen war also aufgegangen. Zwischen dem blauen Boudoir der Madame de Restaud und dem rosa Salon der Madame von Beauséant hatte er drei Jahre jener Pariser Rechtswissenschaft absolviert, von der man nicht spricht,

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