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großen Dienst – und noch dazu umsonst; er regelt die Geschäfte des armen verstorbenen Grandet aufs beste. Hm, hm!« machte er mit vollem Munde »das ist mal was Gutes! Iß nur tüchtig, Frau! Davon kann man sich zwei Tage nähren.«

      »Ich habe keinen Hunger; du weißt ja, daß ich einen schwachen Magen habe.«

      »Ach was! Du brauchst nicht zu fürchten, daß dein Magen platzt; du verträgst schon was; du bist eine la Bertellière, eine kräftige Frau. Du bist allerdings ein klein wenig gelb, aber ich liebe ja das Gelbe.«

      Einem zum Tode Verurteilten mag der Gedanke, öffentlich und schmachvoll hingerichtet zu werden, weniger entsetzlich sein, als für Madame Grandet und ihre Tochter der Gedanke an das Ereignis, das eintreten würde, sowie das Frühstück beendet war. Je heiterer der Weinbauer wurde, desto mehr krampfte sich ihnen das Herz zusammen. Dennoch hatte die Tochter einen Trost in dieser furchtbarem Lage: die Kraft ihrer Liebe gab ihr einen gewissen Halt. ›Für ihn, für ihn‹, sagte sie sich, ›könnte ich tausendmal den Tod erleiden.‹ Bei diesem Gedanken warf sie ihrer Mutter flammende, ermutigende Blicke zu.

      »Räume alles ab«, sagte Grandet zu Nanon, als gegen elf Uhr das Frühstück beendet war; »den Tisch aber laß hier stehen. Da können wir uns deinen kleinen Schatz so recht behaglich betrachten«, fuhr er, zu Eugénie gewendet, fort. »Klein? Meiner Treu, nein! Du besitzest an wirklichem Wert fünftausendneunhundertneunundfünfzig Francs, dazu vierzig von heute morgen, macht zusammen sechstausend Francs weniger einen. Gut, da will ich dir den einen Francs noch geben, damit du eine runde Summe hast; denn siehst du, Töchterchen . . . – Na, was horchst du denn, Nanon? Marsch, kehrt! Geh an deine Arbeit!« sagte der Biedermann. Nanon verschwand.

      »Höre, Eugénie, du mußt mir dein Gold geben. Du wirst das deinem Väterchen nicht verweigern, was, Töchterchen?«

      Die beiden Frauen blieben stumm.

      »Ich, ich habe nämlich kein Gold mehr. Ich habe wohl etwas gehabt, aber jetzt habe ich keins mehr. Ich werde dir sechstausend Francs in Livres geben, und du wirst sie anlegen, wie ich es dir sagen werde. An das ›Dutzend‹ brauchen wir nicht weiter zu denken. Wenn ich dich verheiraten werde, was bald geschehen soll, werde ich dir einen Zukünftigen aussuchen, der dir das herrlichste Dutzend bieten wird, von dem jemals in der Provinz die Rede war. Hör also zu, Töchterchen. Es bietet sich da eine prächtige Gelegenheit: du kannst deine sechstausend Francs bei der Regierung anlegen; da bekommst du alle Halbjahr fast zweihundert Francs Zinsen, ohne Steuern, ohne Hagel, ohne Frost, kurz, ohne irgendwelche Abgaben oder Schäden, die wohl sonst die Einnahmen verkürzen. Vielleicht möchtest du dich von den schönen Goldfüchsen nicht gern trennen, wie Töchterchen? Komm, gib sie mir trotzdem! Ich werde wieder Goldstücke für dich sammeln: Holländer, Portugiesen, Rupien, Genueser; und mit dem, was ich dir an deinen Geburtstagen gebe, wirst du in drei Jahren die Hälfte deines kleinen Goldschatzes wieder beisammen haben. Was sagst du,Töchterchen? So sieh mich doch an! Geh und hole es, mein Herzchen. Du solltest mir eigentlich um den Hals fallen dafür, daß ich dich so in das Geheimnis von Tod und Leben des Talers einweihe. Ja, wahrhaftig! Die Taler leben und regen sich wie die Menschen: das kommt und geht, das schwitzt und pflanzt sich fort.«

      Eugénie erhob sich; nachdem sie aber ein paar Schritte zur Tür gemacht hatte, wandte sie sich plötzlich um, blickte ihrem Vater fest ins Gesicht und sagte: »Ich habe mein Gold nicht mehr.«

      »Du hast dein Gold nicht mehr?« rief Grandet und zuckte zusammen wie ein Pferd, neben dem ein Kanonenschuß abgefeuert wird.

      »Nein, ich habe es nicht mehr.«

      »Du irrst dich, Eugénie.«

      »Nein.«

      »Beim Winzermesser meines Vaters! Ich sage dir . . .«

      Wenn der Böttcher so fluchte, zitterten die Balken.

      »Alle Heiligen, großer Gott, Madame fällt in Ohnmacht!« rief Nanon.

      »Grandet, dein Zorn wird mich töten!« sagte das arme Weib.

      »Ta ta ta ta! Ihr da, in eurer Familie stirbt man nicht so leicht!«

      »Eugénie, was hast du mit deinen Goldstücken gemacht?« schrie er ganz außer sich.

      »Monsieur«, sagte das Mädchen, das zu Füßen von Madame Grandet hingesunken war, »meine Mutter leidet namenlos . . .sehen Sie nur . . .töten Sie sie nicht!«

      Grandet entsetzte sich über die Leichenblässe seiner Frau.

      »Nanon, hilf mir ins Bett«, sagte die Mutter mit schwacher Stimme. »Ich sterbe . . .«

      Sofort reichte Nanon ihrer Herrin den Arm, Eugénie machte es ebenso, und nur mit endloser Mühe gelang es ihnen, sie hinauf in ihr Zimmer zu bringen, da sie von Schritt zu Schritt ohnmächtig wurde.

      Grandet blieb allein. Nach ein paar Augenblicken aber stieg er sechs, sieben Stufen hinauf und schrie: »Eugénie, wenn deine Mutter im Bett liegt, kommst du herunter!«

      »Ja, Vater.«

      Nachdem sie ihre Mutter versorgt hatte, zögerte sie nicht, hinunterzugehen.

      »Mein Kind«, sagte Grandet, »du wirst mir nun mitteilen, wo dein Gold hingekommen ist.«

      »Mein Vater, wenn Sie mir Geschenke machen, über die ich nicht vollkommen verfügen kann, so nehmen Sie sie zurück«, sagte Eugénie kalt, holte den Napoleondor vom Kaminsims und hielt ihn ihm hin. Grandet ergriff hastig das Goldstück und steckte es in die Westentasche.

      »Das glaube ich wohl, daß ich dir nichts mehr geben werde! Nicht einmal so viel!« sagte er und schnippte mit den Fingern. »Du mißachtest also deinen Vater? Du hast also kein Vertrauen zu mir? Du weißt also gar nicht, was das ist: ein Vater? Wenn er dir nicht alles bedeutet, so liebst du ihn eben gar nicht. Wo ist dein Gold?«

      »Mein Vater, ich liebe und ehre Sie, trotz Ihres Zornes; aber ich möchte Sie ganz bescheiden darauf hinweisen, daß ich zweiundzwanzig Jahre alt bin. Sie haben mir oft genug gesagt, daß ich mündig sei. Ich habe mit meinem Geld gemacht, was ich wollte.«

      »Wo?«

      »Das ist ein unverletzliches Geheimnis«, sagte sie. »Haben Sie nicht auch Ihre Geheimnisse?«

      »Bin ich nicht das Haupt der Familie? Kann ich nicht meine Geschäfte haben?«

      »Und das ist mein Geschäft.«

      »Das muß ein schlimmes Geschäft sein, wenn du deinem Vater nichts davon sagen kannst, Mademoiselle Grandet.«

      »Es ist ein ausgezeichnetes, und ich kann meinem Vater nichts davon sagen.«

      »Sage mir wenigstens, wann hast du das Gold weggegeben?«

      Eugénie schüttelte den Kopf.

      »Du hattest es noch an deinem Geburtstag, wie?«

      Eugénie, die durch ihre Liebe ebenso schlau geworden war, wie ihr Vater es durch seinen Geiz war, schüttelte nur wieder den Kopf.

      »Aber das ist unerhört! Hat man je solchen Starrsinn gesehen und solchen Raub?« sagte Grandet mit einer Stimme, die immer stärker anschwoll und durch das ganze Haus dröhnte. »Wie! Hier in meinem eigenen Hause, hier bei mir, hat irgendeiner dein Gold genommen? Das einzige Gold, das hier zu finden war! Und ich soll nicht erfahren, wer? Gold ist eine teure Sache. Die ehrbarsten Mädchen können einen Fehltritt begehen, ich weiß nicht was hingeben, das kommt bei den vornehmsten Leuten vor und sogar in Bürgerkreisen; aber Gold weggeben – denn du hast es doch irgendwem gegeben, he?«

      Eugénie blieb unbeweglich.

      »Hat man je solch ein Kind gesehen? Bin ich dein Vater oder nicht? Wenn du es irgendwie angelegt hast, so mußt du eine Quittung haben . . .«

      »Stand es mir nicht frei, damit zu machen, was mir gut schien? Ja oder nein? Gehörte es mir?«

      »Aber du bist ein Kind.«

      »Mündig!«

      Verwirrt durch die Logik seiner Tochter, erbleichte Grandet, stampfte mit den Füßen, fluchte. Als er endlich wieder Worte fand, schrie er: »Elende Schlange von Tochter! Du Unkraut, du! Du weißt wohl, daß ich dich liebe, und mißbrauchst das. Sie

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