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nicht zu den Cruchots?«

      »Nein, nein! Das hieße mich ihnen ausliefern und uns von ihnen abhängig machen. Übrigens habe ich mein Teil erwählt. Ich habe recht getan und bereue nichts. Gott wird mich beschützen. Sein heiliger Wille geschehe! Ach, wenn Sie seinen Brief gelesen hätten – Sie würden nur an ihn denken, liebe Mutter.«

      Am andern Morgen, dem ersten Januar 1820, gab die entsetzliche Angst, deren Beute Mutter und Tochter geworden waren, ihnen die allernatürlichste Ausrede ein, um nicht feierlich in Grandets Zimmer erscheinen zu müssen. Der Winter 1819/1820 war außergewöhnlich streng; der Schnee drückte schwer auf die Dächer.

      Sowie Madame Grandet hörte, daß ihr Mann sich in seinem Zimmer rührte, sagte sie: »Grandet, laß doch von Nanon – bei mir ein wenig Feuer machen; der Frost ist so stark, daß ich unter der Decke sogar friere. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mich schonen muß. Übrigens«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »wird Eugénie sich hier bei mir ankleiden. Das arme Kind kann sich eine Krankheit holen, wenn sie sich bei solchem Wetter in ihrem kalten Zimmer anzieht. Wir werden dir dann drunten im Saal beim Kaminfeuer unsere Neujahrswünsche darbringen.«

      »Ta ta ta ta, welche Sprache! Wie du das Jahr schon anfängst, Madame Grandet? Du hast noch nie so viel auf einmal gesprochen. Ich denke doch, du hast nicht etwa schon in Wein getunktes Brot gegessen, wie?«

      Sie erwiderte nichts.

      »Also schön«, fuhr der Biedermann fort, dem der Vorschlag seiner Frau gerade gelegen zu kommen schien, »ich will tun, was du wünschst. Du bist wirklich ein gutes Weib, und ich möchte nicht, daß dir in deinem Alter etwas zustieße, wenn schon die la Bertellière alle recht alt geworden sind. Wie, nicht wahr?« rief er nach einer Pause. »Na, schließlich haben wir sie ja beerbt, ich verzeihe ihnen.« Und er hustete.

      »Du bist heute morgen so fröhlich, lieber Mann«, sagte die arme Frau ernsthaft.

      »Immer lustig . . .

      Lustig, lustig, Böttcher du,

      Flick die Fässer immerzu!«

      fügte er hinzu und trat fertig angekleidet bei seiner Frau ein. »Ja, in drei Teufels Namen, es ist rechtschaffen kalt. Wir wollen gut frühstücken, Frau. Des Grassins hat mir eine Gänseleberpastete geschickt. Ich gehe jetzt zur Post und hole sie. Er wird der Sendung wohl einen doppelten Napoleon für Eugénie beigefügt haben«, sagte der Böttcher ihr leise ins Ohr. »Ich habe kein Gold mehr, liebe Frau. Ich hatte zwar noch so ein paar alte Stücke – dir kann ich es ja sagen –, aber ich mußte sie für die Geschäfte locker machen.« Und zur Feier des ersten Tages im neuen Jahr küßte er seine Frau auf die Stirn.

      »Eugénie«, rief die gute Mutter, als sie wieder allein war, »ich weiß nicht, mit welchem Fuß dein Vater zuerst aufgestanden ist, aber er ist heute bei guter Laune. – Ach was, wir werden uns schon herausziehen!«

      »Was hat er denn, unser Herr?« sagte Nanon, als sie bei ihrer Herrin eintrat, um Feuer zu machen. »Erst hat er zu mir gesagt: ›Guten Morgen, alter Esel! Geh und mach bei meiner Frau ein Feuer an, es ist ihr kalt‹, und dann, ich traute ja meinen Augen gar nicht, dann hielt er mir ein Sechsfrancsstück hin, das noch fast ganz neu ist! Sehen Sie, Madame, sehen Sie's nur an. Oh, der gute Mann! Der ehrenwerte Mann! Es gibt solche, die werden immer härter, je älter sie werden; aber er – er wird milde, wie Ihr Johannisbeerlikör, und immer besser. Das ist wirklich ein prächtiger, ein sehr guter Mann . . .«

      Die geheime Ursache für Grandets gute Laune lag in einem vollkommenen Erfolg seiner Spekulationen. Monsieur des Grassins hatte ihm, nach Abzug der Summen, die der Böttcher ihm für die Diskontierung der hundertfünfzigtausend Francs holländischer Wechsel und für den ihm geliehenen Zuschuß zur Vervollständigung der Ankaufssumme für die hunderttausend Livres Rentenpapiere schuldete, durch Eilpost dreißigtausend Francs als Zinsen für das letzte Halbjahr zugesandt und ihm eine Hausse der Staatspapiere in Aussicht gestellt. Diese standen damals auf neunundachtzig; die bedeutendsten Kapitalisten kauften sie Ende Januar zu zweiundneunzig Prozent. Grandet gewann seit zwei Monaten mit seinem Kapital zwölf Prozent; er hatte seine Rechnungen ins reine gebracht und konnte von jetzt ab alle sechs Monate fünfzigtausend Francs einstreichen, ohne dafür irgendwelche Abgaben zahlen zu müssen. Er faßte für Staatsrenten – eine Kapitalsanlage, gegen die die Provinzler meist eine unwiderstehliche Abneigung bekunden – eine große Zuneigung und sah sich nach kaum fünf Jahren als Besitzer eines Vermögens von sechs Millionen, das ohne große Mühen angewachsen war und das in Verbindung mit dem Grundwert seiner Liegenschaften ein ungeheures Kapital darstellte.

      Die sechs Francs, die er Nanon gegeben hatte, waren vielleicht der Lohn für einen ungeheuren Dienst, den die Magd ihrem Herrn unbewußt geleistet hatte.

      ›Oh, oh! wo geht Vater Grandet denn hin, daß er schon am frühen Morgen daherrennt, als brenne es?‹ fragten sich die Kaufleute, die ihre Läden öffneten.

      Später, als sie ihn vom Hafen zurückkommen sahen, gefolgt von einem Gepäckträger, der auf einem Schubkarren volle Säcke transportierte, sagte einer der Nachbarn: ›Das Wasser rinnt immer zum Fluß, der Biedermann ist nach seinen Talern gelaufen.‹ ›Die erhält er aus Paris, aus Froidfond, aus Holland‹, sagte ein anderer. ›Er wird schließlich noch ganz Saumur in die Tasche stecken‹, rief ein dritter. ›Die Kälte macht ihm gar nichts, seine Geschäfte halten ihn immer warm‹, sagte eine Frau zu ihrem Mann.

      »He, he! Monsieur Grandet, wenn Ihnen diese Last zuviel ist, ich will sie Ihnen gern abnehmen«, scherzte ein Tuchhändler, sein nächster Nachbar.

      »Nichts als Sousstücke«, erwiderte der Winzer.

      »Silber«, sagte der Packträger mit leiser Stimme.

      »Du, ich rate dir, halt dein Maul«, sagte der Biedermann zum Packträger und öffnete das Haustor.

      ›Ha, der alte Fuchs, ich glaubte, er sei taub‹, dachte der Mann; ›es scheint aber, daß er bei Frostwetter gut hören kann.‹

      »Hier hast du zwanzig Sous als Neujahrsgabe – aber Maul halten, du! Und nun mach, daß du fortkommst!« sagte Grandet zu ihm. »Nanon wird dir den Karren zurückbringen.«

      »Nanon, sind die Vöglein in der Messe?«

      »Ja, Monsieur.«

      »Vorwärts, Hände her! An die Arbeit!« schrie er und belud sie mit den Säcken.

      In einer Minute waren die Taler in seinem Zimmer verschwunden. Dort schloß er sich mit ihnen ein.

      »Wenn das Frühstück fertig ist, so klopfe an die Wand«, sagte er zu Nanon. »Bring den Karren zurück zur Posthalterei.«

      Die Familie frühstückte nicht vor zehn Uhr.

      »Hier unten wird dein Vater wohl nicht dein Gold zu sehen verlangen«, sagte Madame Grandet zu ihrer Tochter, als sie von der Messe heimkamen. »Im übrigen mußt du recht frostig tun und dich nicht gern vom Feuer rühren. Später haben wir Zeit genug, den Schatz wieder zusammenzubekommen bis zu deinem Geburtstag . . . .«

      Als Grandet zum Frühstück hinunterging, war er ganz in Gedanken an seine Pariser Taler; er beabsichtigte, sie in gutes Gold umzutauschen. Dann fiel ihm der Erfolg seiner großartigen Spekulation mit Staatsrenten ein. Er war entschlossen, alle seine Einnahmen darin anzulegen, bis die Papiere auf hundert standen. Dieser Gedanke sollte für Eugénie unheilvoll werden.

      Sowie er ins Zimmer trat, brachten die beiden Frauen ihm ihre Glückwünsche dar. Seine Tochter fiel ihm um den Hals und schmeichelte ihm; Madame Grandet beglückwünschte ihn ernst und würdevoll.

      »Sieh, sieh, mein Kind«, sagte er, die Tochter auf die Wangen küssend, »für dich arbeite ich, siehst du! . . . Für dein Glück! Man braucht Geld, um glücklich zu sein. Ohne Geld ist das ganze Leben verfehlt. Hier, sieh! da hast du einen neuen Napoleondor, ich habe ihn aus Paris kommen lassen. Zum Teufel auch, hier gibt es ja nicht ein Körnchen Gold! Außer dir gibt es hier keine Seele, die ein Goldstück besäße. Zeig mir dein Gold, Töchterchen!«

      »Ach, es ist zu kalt; komm frühstücken«, antwortete Eugénie.

      »Na, dann also später. Das wird uns verdauen helfen. Der

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