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      Die Dahlheimer Sägemühle ist bekanntlich der anmutigste Vergnügungsort für die elegante Badewelt in Hofgeismar. Sie wird täglich von dem Badeorte aus besucht, zu Fuße, zu Wagen, zu Pferde, und es mag selten ein Tag vergehen, an dem nicht gemeinschaftliche Partien dahin gemacht werden.

      Sie liegt aus jener Strecke, auf welcher die Diemel Preußen und Kurhessen scheidet, an deren linkem Ufer, also auf kurhessischem Gebiete.

      Am zweiten Tage nach den im vorigen Kapitel er zählten Begebenheiten saß auf einer Bank vor dem freundlichen Hause in dem Schatten eines großen Birnbaums ein hübsches junges Mädchen. Sie schien eine Kellnerin des Hauses zu sein. Sie war mit Stricken beschäftigt.

      Es war noch sehr früh am Nachmittage, kaum zwei Uhr. Da waren noch keine Gäste aus der Sägemühle und auch sobald noch keine zu erwarten. Die Badegäste haben überall des Vormittags vollauf mit Baden und Brunnentrinken zu tun und mit dem, was dazu gehört.

      Dann müssen sie mit Bequemlichkeit ihr Mittagsmahl genießen, und nun erst dürfen sie an ihre Landpartien denken.

      In jenem Jahre 1815 war überdies das Bad zu Hofgeismar nur sehr spärlich besucht.

      Was damals in Deutschland Mannesmut hatte, wenn auch erst die Kräfte des Knaben, war in jenen gewaltigen Heereshaufen über den Rhein gezogen, den deutschen Erbfeind noch einmal niederzuwerfen; Männer, Jünglinge, Greise, Knaben, selbst schwache Weiber hatten sich ihnen zugesellt. Die nicht mitziehen konnten, waren nur in umso bangerer Sorge um die Lieben zurückgeblieben, die sie in allen Beschwerden und Gefahren eines schweren Kriegs wussten.

      Das war keine Zeit für ein fröhliches, lustiges Bade leben.

      Die Leere des Bades Hofgeismar wirkte auch auf den Besuch der Dahlheimer Sägemühle zurück.

      Dennoch war von dieser alles auf Gäste eingerichtet. Die Pfade des Gärtchens waren frisch mit weißem Sand bestreut, in den Lauben standen Tische und Bänke geordnet. Der große grüne Rasenplatz war vor wenigen Tagen gemäht; das Gras hatte soeben wieder seine zarten spitzen Hälmchen bekommen; man sah darüber hin, als ob es der feinste Samt wäre. Rund um den Platz herum unter den Linden und Weiden, die ihn umgaben, waren ebenfalls in bester Ordnung weiß und blank gescheuerte Tische mit Stühlen und Bänken aufgestellt. Das alles war so freundlich in der hellen Mittagssonne und in dem Schatten unter den Bäumen, in der engen Schlucht zwischen den hohen, steilen Bergen, in der tiefen Stille, die in der ganzen Schlucht herrschte; man vernahm keinen Laut als das Rauschen der vorbeifließenden Diemel, die Sägemühle hinten stand während der Mittagszeit still, und selbst die Vögel in Berg und Wald schienen ihre Mittagsruhe zu halten. Nur ein munterer Kuckuck rief zuweilen oben auf dem Berge, als wenn er seine trägen Kameraden herausfordern wolle, erhielt aber keine Antwort.

      Die hübsche junge Kellnerin saß bei ihrer Arbeit, die ja nur eine fast mechanische Beschäftigung ihrer Hände war, in tiefen Gedanken. Auf die Tische, Bänke und Stühle und darauf, ob sonst alles ordentlich und sauber sei, hatte sie wohl schon vorher die Blicke gerichtet; sie konnte auf der Bank vor dem Hause alles, beinahe die ganze kleine Schlucht übersehen. Die klaren hübschen braunen Augen schweiften weiter über den Strom, über die Berge jenseits hinüber, nach links, nach Westen hin. Die klaren Augen wollten ihr dabei trüber werden. Seufzer wollten sich der jugendlichen Brust entringen.

      Sie musste mit ihren Gedanken in die Nähe zurückkehren.

      Das Knallen einer Peitsche wurde laut, gleich darauf das Rollen eines Wagens. Es war noch jenseits der Schlucht, rechts vom Hause, wohin die Diemel abfloss.

      Der Weg von Hofgeismar mündete dort in die Schlucht.

      Der Wagen, den man hörte, musste von dem Bade kommen.

      Eine offene Equipage fuhr nach wenigen Augenblicken in die Schlucht. Ein einzelner Herr saß darin, ein kleiner alter Herr mit lebhaften, blitzenden Augen, mit grauem, krausem Haar; das Domherrnkreuz trug der Domherr von Aschen immer auf der Brust.

      Der Wagen fuhr vor dem Hause vor; der Domherr sprang heraus.

      Er sah sich mit ein paar kurzen schnellen Blicken Haus und Umgebung an.

      Dann wandte er sich zu der Kellnerin, die sich von der Bank erhoben hatte und, Befehle erwartend, dastand.

      »Das ist ja alles neu und hübscher hier geworden.«

      »Das Haus ist im Frühling vorigen Jahres neu gebaut«, sagte ihm die Kellnerin.

      »Ich meine nicht bloß das Haus«, erwiderte der Domherr.

      Er zeigte auf das Gärtchen, auf den Rasenplatz.

      »Und auch die Kellnerin!« sagte er dann galant.

      Das Mädchen wurde rot.

      »Nun, nun«, sagte der Domherr, »zu schämen brauchen Sie sich nicht; wenn man jung ist, muss man hübsch sein.«

      »Befehlen Sie etwas?« fragte das Mädchen.

      »Hm, ich bitte um eine Tasse Kaffee und für meinen Kutscher um einen Schoppen Wein und um Brot und Käse, soviel er will.«

      Das Mädchen wollte in das Haus gehen, um das Verlangte zu besorgen. Sie wurde aufgehalten.

      Oben in der Gegend der alten Sägemühle wurde an dem jenseitigen Ufer der Diemel eine Stimme laut.

      »Hol’ über!« wurde gerufen.

      Gleich oberhalb der Mühle war eine Fährstelle. In einer kleinen Bucht lagen dort zwei kleine Nachen und ein etwas größerer Kahn zum Übersetzen von dem einen Ufer zu dem andern. Sie waren aber nur zum Übersetzen von Menschen bestimmt. Die Fähre gehörte zur Mühle.

      Die Kellnerin hatte gestutzt, als sie den Ruf hörte, wie wenn sie eine bekannte Stimme vernommen habe. Sie hemmte den Schritt, den sie schon zum Hause gelenkt hatte; dann sprang sie rasch ein paar Schritte zur Seite. Sie hatte dort den Blick nach der Fährstelle frei.

      »Er ist’s!« rief sie.

      Ihr hübsches Gesicht war dunkelrot geworden, aber die lebhafte Freude, die man im ersten Augenblicke darin sah, machte bald einem bekümmerten Blicke Platz. Sie stand einen Augenblick schwankend, sah auf den Domherrn, wieder zu der Fährstelle.

      »Gehen Sie nur erst dahin, ich habe Zeit!« sagte der Domherr.

      Aber sie hatte sich anders besonnen, sie flog in das Haus.

      Der Domherr setzte sich unter einem der Lindenbäume an dem Rasenplatz.

      Der Kutscher, der ihn gefahren hatte — es war ein Lohnkutscher des Bades — trat zu ihm.

      »Der gnädige Herr wollte mir seine Befehle erteilen.«

      »Ja, ja. Man kann von hier nach Ovelgönne nicht fahren?«

      Nach Ovelgönne wollte der alte Herr also. Morgen oder übermorgen, hatte er ja der Mamsell Karoline versprochen. Er hatte doch bis übermorgen warten können, vielleicht warten müssen. Fräulein Gisbertine hatte viel leicht anderweite Befehle für ihn gehabt.

      »Nur in einer Bergchaise«, antwortete ihm der Kutscher, »und ich wüsste nicht, wo Sie die hier in der Nähe finden sollten.«

      »Da ist also noch Alles beim Alten geblieben!« bemerkte der Domherr.

      »Im Gebirge verändert sich wenig, Euer Gnaden. Und jetzt, da wir hier wieder hessisch und die dort drüben wieder preußisch geworden sind, wird noch weniger geschehen«.

      »Warum das?«

      »Wegen des Schmuggelns, Euer Gnaden. An der preußischen Grenze sind sie gewaltig streng. Da steht hinter jedem Busch ein Grünrock mit Büchse und Säbel, und je besser und fahrbarer also die Wege wären, desto mehr Grenzwächter müssten da sein.«

      »Mitten in Deutschland!« sagte der Domherr für sich.

      »Ja, ja, Euer Gnaden«, sagte der Kutscher. »Unter den Franzosen war doch wohl manches besser, wenigstens hier in Kurhessen, da war kein Zopf, da regierte kein Stock. Nun, und in Preußen —«

      »Schweigt

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